Bundesregierung will Wachstums- und Innovationskapital in Deutschland beflügeln
Im Blickfeld
Berlin will Wachstums- und Innovationskapital beflügeln
Die WIN-Initiative befindet sich inzwischen auf der Zielgeraden.
Von Angela Wefers, Berlin
Der neue Anlauf in Berlin zur Mobilisierung von Wagnis- und Innovationskapital in Deutschland mündet in die Zielgerade. Flankiert von führenden Finanzmarktakteuren sind Kanzleramt, Bundesfinanzministerium und Bundeswirtschaftsministerium praktisch über konkrete Punkte einig, wie mehr Wagnis- und Innovationskapital in die deutsche Wirtschaft fließen kann. Die Start-up-Beauftragte der Bundesregierung, Anna Christmann (Grüne), hatte Anfang Mai bei einer Fachtagung des Industrieverbands BDI angekündigt, konkrete Vorschläge wolle die Bundesregierung noch im Mai vorlegen.
Angestoßen hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) das Vorhaben zum Jahresbeginn. Es trägt den Namen WIN-Initiative (WIN – Wagnis- und Innovationskapital). Lindner hatte das Nachbarland Frankreich vor Augen. Ihn irritierte, dass bei gleicher Regulierung dort mehr Kapitalsammelstellen in Private Equity und Venture Capital investierten als hierzulande. Seine Schlussfolgerung: Die Rahmenbedingungen in Deutschland müssen geändert werden. Hierzulande waren die Finanzierungsrunden zuletzt sehr zäh.
Vorbild Tibi-Initiative
Frankreich hatte 2020 die Tibi-Initiative gestartet, die kein geringeres Ziel hat, als die „Vierte Industrielle Revolution“ zu finanzieren. Ideengeber Philippe Tibi ist Wirtschaftsprofessor der renommierten École Polytechnique. Er hatte in einer Studie die ungenügenden Finanzressourcen für Technologiefirmen in späteren Wachstumsphasen aufgedeckt. Staatspräsident Emmanuel Macron nahm institutionelle Investoren des Landes in die Pflicht, über drei Jahre 6 Mrd. Euro in den Sektor zu geben. Inzwischen ist die Initiative in der Phase 2 angekommen, in der zunehmend Investoren dazustoßen. Aktuell sind es 35.
Der größte Teil des Kapitals hierzulande kommt bislang von ausländischen Investoren. In Deutschland geht es vorerst nicht um Geld, sondern um gute Rahmenbedingungen für Investitionen im Tech-Sektor und im Green-Tech-Bereich. Ein umfassendes und ausgefeiltes finanzielles Förderinstrumentarium gibt es schon. Es ressortiert bei Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Wachstumsfirmen in Schlüsseltechnologien und dem Deep-Tech-Sektor haben dem Industrieverband BDI zufolge hierzulande aber noch Förderbedarf.
Die Investitionszyklen in diesen Branchen sind ausgedehnter. Investoren brauchen einen längeren Atem. „Wir sehen, dass das Risikokapital nach wie vor Investitionen in spätere Wachstumsphasen und in Technologien scheut, die viel geduldiges Kapital benötigen“, sagte Klaus Deutsch, Leiter der Abteilung Research; Industrie- und Wirtschaftspolitik beim BDI, der Börsen-Zeitung. „Das Finanzierungsökosystem für Innovationen braucht viel mehr Kapital, um die großen Ideen nicht nur anzufinanzieren, sondern auch in den Absatzmärkten erfolgreich verwerten zu können.“ Nur dann werde es nachhaltige Effekte geben.
Experten aus den Chefetagen
Die Regierungsratgeber der WIN-Arbeitsgruppe aus dem Finanzmarkt kommen aus den Chefetagen. KfW-Vorstandsvorsitzender Stefan Wintels koordiniert sie. Mit dabei sind Christian Sewing für die Deutsche Bank oder Oliver Bäte für die Allianz. Aber auch die Deutsche Börse und dem Vernehmen nach Münchener Rück, Bayerische Versorgungskammer, Blackrock und die DekaBank arbeiten mit. Die Defizite bei Innovations- und Wachstumskapital hatte die Expertengruppe nach Informationen der Börsen-Zeitung unter vier verschiedenen Aspekten analysiert: investierbare Assets, Strukturen und Vehikel, die Investments selbst und den Exit. Darüber hinaus wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen bei Steuern und Aufsicht unter die Lupe genommen.
Diskutiert hat die Arbeitsgruppe im Laufe des Prozesses zehn zentrale Maßnahmen. Welche davon politisch durchsetzbar sind, dürfte sich in Kürze klären. Das Haus von Lindner gab sich bedeckt. „Das Bundesfinanzministerium arbeitet fortlaufend an Maßnahmen zur Stärkung des Finanzstandorts“, erklärte eine Sprecherin auf Anfrage. Dazu stehe es auch mit Marktteilnehmern wie denen der WIN-Initiative im Austausch. Christmann hatte bei der BDI-Fachtagung über weit gediehene Überlegungen berichtet, einen Wachstumsfonds II als Nachfolgemodell für institutionelle Investoren aufzulegen. Dies ist einer der zehn Punkte in der Expertengruppe. Der aktuelle „Wachstumsfonds Deutschland“ wird von der KfW gemanagt und gehört nach deren Angaben mit seinem Zielvolumen von 1 Mrd. Euro zu den größten VC-Dachfonds in Europa. Der Fonds speist sich mehrheitlich aus privaten Mitteln von mehr als 20 bedeutenden institutionellen Investoren – Versicherern, Versorgungswerken, Stiftungen, Vermögensverwaltern und großen Family Offices. Ankerinvestoren sind der Bund und KfW Capital.
„Ökosystem weiterentwickeln“
Der BDI forderte jüngst einen Innovations- und Wachstumsfonds speziell für Schlüsseltechnologien. Die Industrie erkennt zwar die bisherigen Förderaktivitäten für mehr Risikokapital in Kernbereichen der Industrie an. Nach rund drei Jahren seien die Investitionen gemessen im BIP immer noch deutlich geringer als in den USA und Asien, aber auch als in Frankreich und Großbritannien, konstatierte Deutsch. „Wir müssen bereit sein, unser Ökosystem weiterzuentwickeln.“
Verschiedene Vorschläge der Expertengruppe zielen darauf, mehr privates Geld für VC zu mobilisieren. Für institutionelle Investoren könnte die Anlageverordnung flexibler werden, indem die maximale Risikokapitalanlagen- und Beteiligungsquote erhöht wird. Im Bereich von Banken und Assetmanagern könnten Gelder von vermögenden Kunden über neu zu etablierende Feeder Vehicles in den VC-Bereich gelenkt werden. Diese Finanzinstrumente hätten etwa die Möglichkeit, in den Wachstumsfonds II zu investieren. Schließlich sollten öffentliche Kapitalsammelstellen verstärkt in VC anlegen. Dies dürfte politisch noch eine Rolle bei der kapitalgedeckten Altersvorsorge, dem sogenannten Generationenkapital, spielen.
Der Beteiligungsverband BVK dringt auf einen funktionierenden Exit-Markt hierzulande. Die WIN-Expertengruppe hat sich die Fungibilität von VC-Fonds und Exit-Möglichkeiten angesehen. Ein noch aufzubauender Sekundärmarkt mit einer Plattform, die Käufer und Verkäufer zusammenbringt, könnte die Assetklasse liquider machen. Mehr Spielraum beim Exit über die Börse könnte ein Nominalwert der Anteile von nur noch einem Cent geben. Zudem könnten Preise bei Kapitalerhöhungen flexibler festgesetzt werden.
Neue Steuerregelungen
Wünsche, Überlegungen und auch Hoffnung gibt es auch für Steuerregelungen. Ulrike Hinrichs, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Beteiligungsverbands BVK, mahnt eine rechtliche Klarstellung an, nachdem Finanzbehörden mancher Bundesländer vor allem im Private-Equity(PE)-Bereich für große Unruhe sorgen. VC und PE sind nach einem alten steuerlichen Verwaltungsschreiben des Bundesfinanzministeriums für die Länder vermögensverwaltende Anlagen und werden entsprechend besteuert. Einige Finanzbehörden stufen sie indessen als gewerblich ein. Staatsanwaltschaften ermitteln in zahlreichen Fällen. Hinrichs zufolge muss die Definition der Vermögensverwaltung dringend im Gesetz verankert werden. In Berlin bewegt sich möglicherweise etwas: „Im Rahmen der WIN-Initiative haben die Unternehmen auch steuerrechtliche Vorschläge gemacht, die unter anderem das BMF-Schreiben zur Besteuerung von Private-Equity-Fonds betreffen“, sagte eine Sprecherin des Ministeriums. „Diese prüfen wir – auch in Zusammenarbeit mit den Ländern – intensiv.“