Konjunktur

Chinas Lockdown-Taktik ist entscheidend

Die chinesische Regierung sieht ihr Wachstumsziel für 2022 nicht im Konflikt mit der ultraharten Corona-Politik und ihren wirtschaftlichen Konsequenzen, der Internationale Währungsfonds und andere China-Ökonomen aber sehr wohl.

Chinas Lockdown-Taktik ist entscheidend

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Gut schaut sie aus, die chinesische Wirtschaft, lautet die fachmännische Diagnose des Pekinger Statistikamtes nach dem Verlauf des ersten Quartals. Auf dem Papier stehen 4,8% Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), nachdem man im Schlussquartal 2021 nur bei 4% gelandet war. Die Formkurve zeigt also wieder nach oben, Industrieproduktion und Anlageinvestitionen ziehen zum Teil sogar kräftig an. Klar, der Konsum hinkt ein wenig hinterher, aber da Regierung und Zentralbank gerade dabei sind, alle möglichen Stimulierungs- und Dopingmittelchen zusammenzustellen und zu verschreiben, kann man sicherlich zum Schluss kommen, dass es China gelingen wird, auch in diesem Jahr die offizielle Wachstumszielmarke bei „etwa 5,5%“ zu erreichen. Also wieder einmal kein Grund zur Sorge für den Rest der Welt, der sich voll und ganz auf seine globale Wachstumslokomotive verlassen kann.

Beim Internationalen Währungsfonds (IWF) sieht man es freilich ein wenig anders. Das gerade veröffentlichte Update zum World Economic Outlook mit aufgefrischten Wachstumsprognosen für das Jahr 2022 nimmt zwei wesentliche Faktoren zum Anlass, der Weltwirtschaft eine absteigende Formkurve zu bescheinigen. Zum einen sind da natürlich die Auswirkungen des sich immer weiter in die Länge ziehenden Ukraine-Krieges und zum anderen die Herangehensweisen der chinesischen Regierung, um der ersten größeren Corona-Ansteckungswelle seit Winter 2020 mit immer umfangreicheren Lockdown-Maßnahmen Herr zu werden. Letzteres ist nicht nur wegen ihrer unmittelbaren Bremswirkung für den chinesischen Konsum und das Dienstleistungsgewerbe, sondern auch wegen der rapiden Ausbreitung von Lieferkettenstörungen beim Exportweltmeister und Importriesen auf globaler Ebene ein beherrschendes Thema.

Was den zu erwartenden Konjunkturverlauf in China angeht, nehmen die IWF-Ökonomen kein Blatt vor den Mund und schrauben die Wachstumsprognose für die weltweit zweitgrößte Volkswirtschaft von bislang 4,8% auf nunmehr 4,4% zurück. Das hat natürlich auch Konsequenzen für den weltwirtschaftlichen Ausblick, nämlich eine trübere Perspektive bei erhöhter Prognoseunsicherheit be­züglich des sogenannten „Downside Risk“. Im Klartext heißt dies, besser wird es kaum, aber es kann noch deutlich schlimmer kommen; sei es, weil russische Kriegshandlungen sich noch weiter ausdehnen, oder aber chinesische Lockdown-Maßnahmen wie in Schanghai kein Ende finden und die harschen wirtschaftsschädigenden Methoden der chinesischen „Nulltoleranzpolitik“ in Sachen Corona immer mehr Großstädte im Reich der Mitte lahmlegen.

In den vergangenen Jahren ist es nie vorgekommen, dass die von IWF-Ökonomen verantwortete BIP-Prognose für China um mehr als 1 Prozentpunkt tiefer liegt als das von der heimischen Regierung in Aussicht gestellte offizielle Wachstumsziel. Einer müsste also am Ende falsch liegen, und zwar nicht zu knapp. Peking ist mit seinen ambitiösen Wachstumszielen, die man als eine wichtige „Motivation“ der Wirtschaft und des Behördenapparates ansieht, zwar schon öfter einen ziemlich heißen Reifen gefahren, hat aber stets am Ende noch die Kurve gekriegt und sein Versprechen sozusagen eingelöst (siehe Grafik).

Aus der chinesischen „Erfolgsgeschichte“ ist über die Jahre hinweg die Zuversicht entstanden, dass sich staatliche Wirtschaftslenkungskunst in Verbindung mit den Governance-Methoden der Kommunistischen Partei als ein überlegenes System gegenüber der parlamentarischen Demokratie und reinen Marktwirtschaft westlicher Prägung erweist. Und entsprechend ist auch das Selbstbewusstsein gewachsen, sich über westliche China-Ökonomen mit ihrem offensichtlich fehlgeleiteten Dauer-Pessimismus zu mokieren und bisweilen auch niedrige Beweggründe beziehungsweise den Hang zum „China-Bashing“ zu unterstellen. In diesem Jahr allerdings wandelt sich die kühle Herablassung zu westlichen „Untergangspropheten“ zu einer Form der trotzigen Hybris, die zu denken gibt.

China hat sich beim Volkskongress Anfang März und damit zu einem Zeitpunkt, als die russische Invasion der Ukraine bereits begonnen hatte, die Lockdown-Welle in Schanghai und anderen chinesischen Großstädten aber so noch nicht absehbar war, ohne Not einem Wachstumsziel verschrieben, das nur bei einem Schönwetterszenario realistisch erscheint. Zurückrudern und damit sozusagen „das Gesicht verlieren“ geht nicht im chinesischen Führungssystem – eher versucht man die Realität dem Ziel anzupassen, als umgekehrt.

Trotzige Bekenntnisse

Am Dienstag haben sich Regierungsverantwortliche nochmals mit voller Inbrunst zum diesjährigen Wachstumsziel bekannt, von dem abzurücken man keinen Anlass sehe. Am selben Tag hat sich Chinas Gesundheitsminister noch einmal wortreich zum absoluten Festhalten an der „Zero-Covid-Strategie“ und der Anwendung von härtesten Maßnahmen zur Pandemiekontrolle mit unbegrenztem Zeithorizont geäußert. Chinas Vize-Außenminister wiederum bekräftigte bei einem Treffen mit seinem russischen Gegenpart in Peking die von allen weltpolitischen Ereignissen unberührte und unverrückbare Freundschaft und strategische Kooperation der beiden Länder. Man muss nicht unbedingt Ökonom sein, um zu erkennen, dass diese drei Konstanten nicht richtig zusammenpassen. So gesehen sollte man in diesem Jahr auf jeden Fall den China-Konjunkturpessimisten den Zuschlag geben.

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