BlickfeldSpace-Technologien

Space-Technologie eröffnet ein Beratungsuniversum

Weltraumtechnologie beeinflusst immer mehr Anwendungen auf der Erde, es entsteht ein Milliardenmarkt. Für Juristen und Strategieberater öffnet sich ein neues Beratungsuniversum.

Space-Technologie eröffnet ein Beratungsuniversum

Zu den Sternen

Weltraumtechnologie beeinflusst immer mehr Anwendungen auf der Erde, es entsteht ein Milliardenmarkt. Für Juristen und Strategieberater öffnet sich ein neues Beratungsuniversum.

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

Der Weltraum, unendliche Weiten – und enormes wirtschaftliches Potenzial. Die Unternehmensberatung McKinsey und das World Economic Forum sagen der weltraumbasierten Wirtschaft in den kommenden Jahren ein Umsatzwachstum von derzeit 630 Mrd. Dollar auf 1,8 Bill. Dollar im Jahr 2035 voraus. Das Wachstum kommt dabei einerseits aus den Kernthemen wie Satelliten oder GPS-Diensten (Backbone-Anwendungen), die derzeit mit 330 Mrd. Dollar gut die Hälfte der Space-Industrie ausmachen. Hinzu kommt der Einsatz von Weltraumtechnologie in anderen Industrien (Reach-Anwendungen).

„Die Space-Industrie wächst zunehmend in den Non-Space-Bereich hinein“, beobachtet Ulrich Hermann, General Partner bei dem auf New Space spezialisierten Fonds Einstein Industries Ventures. Er geht davon aus, dass in zehn Jahren in allen Industriesektoren an irgendeinem Punkt Space-Anwendungen enthalten sein werden. „Die Schnittstellen zwischen Space-Infrastruktur und Anwendungen in der Industrie herzustellen, ist ein neuer Wachstumsmarkt.“

Weltraumtechnologie verändert Wertschöpfungskette

Für Strategie- und Technologieberater entsteht da ein neues Betätigungsfeld. Hermann selbst ist auch Senior Partner der Unternehmensberatung Einstein Space Consulting. Ihn treibt die Frage um, wo Weltraumtechnologie in anderen Industrien entlang der Wertschöpfungskette zu Mehrwert führen könnte – und wann der richtige Zeitpunkt ist, sich damit zu befassen. „Die Zielbilder und Fähigkeiten sind häufig schon da, man muss sie übereinanderlegen und die Kosten modellieren“, erklärt er.

Anwendungsfälle für den Einsatz von Space-Technologien gibt es schon, etwa im Bereich Mobilität. „Erdbeobachtungsdienste können der Bahn vorausschauend Hinweise darauf geben, ob und wann Reparaturen an Schienen anstehen – ohne dass ein Mitarbeiter dafür die Strecke abgehen muss“, sagt Hermann. In der Landwirtschaft könnten die Bilder Rückschlüsse darauf zulassen, ob ein Feld bereits bewässert und gedüngt werden muss, oder ob man damit noch warten und die Ressourcen einsparen kann.

Agrarbranche führend

Auch in der Automotive-Branche werden Space-Komponenten immer wichtiger – allerdings sieht Hermann die Autoindustrie in Europa in dieser Hinsicht noch „überraschend weit am Anfang“. Das liege auch an der noch spärlichen Infrastruktur. „Ohne eine europäische Infrastruktur wird das autonome Fahrzeug sonst an chinesischen Satelliten hängen – dann baut Europa das Metall drum herum, aber nicht das Fahrerlebnis, das man eigentlich verkaufen will.“

Deutlich weiter sind aus seiner Sicht die maritime Logistik, die etwa für Routenplanung traditionell mit Space-Technologien ihren Ressourceneinsatz steuert. Auch die Landwirtschaft baut durch die gesunkenen Kosten des New Space massiv das „Smart Farming“ aus. „Dort sind Kernanwendungen von Space Teil des digitalen Geschäftsmodells und liefern die Grundlage für Kostenvorteile im Wettbewerb oder für die Einhaltung von Umweltstandards“, sagt Hermann.

Smart-Farming-Technologie zeigt, wo ein Feld bewässert werden muss. Foto: zapp2photo/stock.adobe.com

Umgekehrt kann auch der Einsatz bekannter Technologien im Weltraum eine Erweiterung darstellen. Der Maschinenbauer Trumpf beispielsweise befasst sich damit, wie man 3D-Druck in der Luft- und Raumfahrt nutzen kann. Allerdings ist ein Produkt, das auf der Erde funktioniert, nicht automatisch weltraumtauglich: „Wer auf dem Mond additive Herstellungsverfahren wie 3D-Druck einsetzen will, muss seine Maschine oder das Verfahren für extreme Bedingungen wie Kälte, Strahlung, Staubbelastung und Schwerelosigkeit qualifizieren“, sagt Hermann. Um diese Herausforderungen zu lösen, müssten Unternehmen verschiedener Branchen beginnen, mit der Luft- und Raumfahrtbranche, etwa den Satellitenherstellern, zu kooperieren.

Space ist mehr als Raketen

Der McKinsey-Erhebung zufolge dürften die Bereiche Lieferkette und Transport, Landwirtschaft, Verteidigung, Einzelhandel/Konsumgüter und Lifestyle sowie digitale Kommunikation bis 2035 mehr als 60% des Wachstums der Raumfahrtwirtschaft ausmachen. „Viele denken bei der Raumfahrt noch ganz klassisch an Raketenstarts und Satelliten. Die gibt es immer noch – aber der Wirkungsgrad der weltraumbasierten Wirtschaft ist viel höher“, kommentiert Björn Hagemann, Senior Partner von McKinsey, die Ergebnisse. Services wie Kommunikation, Ortung, Navigation, Zeitgebung und Erdbeobachtung seien ohne weltraumgestützte Technologie nicht denkbar. „Gerade diese Bereiche werden stark wachsen.“ Zudem drängten neue, kommerzielle Anbieter auf den Markt und ergänzten mit ihren Angeboten die staatlichen Aktivitäten. 

Der neue Wettbewerb bei Space-Angeboten ist ein wesentlicher Treiber dafür, dass die Technologien zu vertretbaren Kosten in der Breite nutzbar werden. Viele Fähigkeiten sind nicht neu, werden jetzt aber preislich attraktiver. Die Rolle privater Akteure wird McKinsey zufolge tendenziell größer: Die Investitionen des privaten Sektors erreichten 2021 und 2022 mit insgesamt mehr als 70 Mrd. Dollar ein Allzeithoch. Die Zahl der gestarteten Satelliten stieg zwischen 2019 und 2023 um 50% pro Jahr, getrieben durch die sinkenden Startkosten. Diese lagen zuletzt um 90% niedriger als noch vor 20 Jahren.

Neue Rahmenbedingungen gesucht

Sinkende Kosten durch Angebote wie von Space X beflügeln Pläne für die beginnende Bewirtschaftung des Weltraums. Doch das wirft ganz neue Fragen auf: Welche Gesetze gelten dort? Wem gehört eigentlich was? Und welche Instanz schlichtet bei Konflikten? „Wir brauchen Spielregeln für eine völlig neue Ökonomie – wenn ich eine Kanzlei hätte, würde ich sofort einen Bereich dafür eröffnen“, sagt Unternehmensberater Hermann.

Wir brauchen Spielregeln für eine völlig neue Ökonomie – wenn ich eine Kanzlei hätte, würde ich sofort einen Bereich dafür eröffnen.

Ulrich Hermann, Einstein Industries Ventures

Für Kanzleien entsteht durch die Kommerzialisierung von Weltraumtechnologie ein großer Markt, erste Häuser bündeln bereits ihr Angebot zu dem Themenspektrum. Bei Heuking passiert dies in dem zu Jahresbeginn gegründeten Fokus-Bereich „Space, New Space & Space Tech“. Dort soll neben der Rechtsberatung zu weltraumbezogenen Vorhaben auch das Wissen zu angrenzenden Bereichen wie Technologie, Intellectual Property, Venture Capital, Vergabe- und Gesellschaftsrecht einbezogen werden. „Ein Team von sechs Juristen mit unterschiedlichen Schwerpunkten steht regelmäßig zu Space-bezogenen Themen im Austausch“, sagt Heuking-Partner Andreas Lenz, der die Aktivitäten zusammen mit dem Münchner Technologie-Partner Thomas Jansen für Heuking koordiniert.

Andere Kanzleien besetzen das Thema ebenfalls. SKW Schwarz hat beispielsweise dem Bereich Space ein Fokusthema gewidmet, die Webseite listet zwölf Experten zu Schwerpunkten wie Intellectual Property, M&A, öffentlichem Wirtschaftsrecht oder Datenschutz. Bei der Kanzlei GvW Graf von Westphalen beraten Juristen zum Weltraum- und Satellitenrecht.

Neue Player auf dem Spielfeld

Der Space-Bereich komme mit Blick auf die wirtschaftliche und technologische Relevanz, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend „aus dem Orchideen-Bereich heraus“, berichtet Lenz. Die Grundlagen des internationalen Weltraumrechts datieren allerdings teils noch aus den sechziger und siebziger Jahren. „Vieles, was heute bereits Realität ist, war aus damaliger Perspektive noch Science Fiction“, gibt Lenz zu bedenken. Seither behelfe man sich auf internationaler Ebene mit Spezialregelungen, etwa zu Orbits und Frequenzen, sowie mit bi- und multilateralen Abkommen.

Private Anbieter wie Space X erweitern die Angebotspalette. Foto: picture alliance / Sipa USA | Ted Soqui

Ein deutsches Weltraumrecht ist dem Juristen zufolge offenbar in Vorbereitung, ein Themen-spezifisches EU Weltraumrecht ist für 2025 angekündigt. Eine weltweit einheitliche rechtliche Regelung sieht er kurzfristig jedoch nicht: „Das ist noch ein weiter Weg, der vor allem politisch gestaltet werden muss.“ Im Investmentbereich rechnet Lenz dagegen mit nachhaltig steigender Aktivität, befördert durch Makroeffekte wie Digitalisierung, Umwelt-Monitoring, das Streben nach Sicherheitsautonomie und ein neues Wettrennen um Plätze im Erd-Orbit und zum Mond. „Es sind neue Player auf dem Spielfeld, sowohl staatliche als auch private.“ Viele Innovationen würden durch die Unterstützung von Unternehmen und Ideen etwa im Rahmen von Accelerator-Programmen oder durch Investments im Start-up-Umfeld erst ermöglicht und von öffentlichen Institutionen sowie durch privatwirtschaftliche Initiativen gezielt gefördert.

Start-ups erfahren Zuspruch

Junge Unternehmen im Space-Bereich profitieren vom derzeitigen Zufluss von Venture Capital, auch Förderbanken sind aktiv. „Die Start-up-Szene des New Space erinnert an den Boom der Internetjahre vor 20 Jahren“, beobachtet Unternehmensberater Hermann. Bald dürften auch Geschäftsbanken sich stärker engagieren.

Heuking-Partner Lenz bezeichnet den Fokus-Bereich Space als Zukunftssektor, der großes Potenzial biete, weil das Expertenwissen vieler Bereiche zusammenkomme. „Oft geht es auch darum, Themen und Akteure klug miteinander zu vernetzen.“ Die Entwicklungen im Space-Bereich hat er zunächst aus persönlichem Interesse verfolgt, seine beruflichen Schwerpunkte sind Private Equity, M&A und Gesellschaftsrecht.

Was ihn an dem Thema Space fasziniert? „Begeisterung für Entdeckungen und Technologieentwicklung und – aus rechtlicher Sicht – dass immer mehr Expertise-Bereiche hinzukommen“, sagt Lenz. New Space bietet nicht nur für Kanzleien Potenzial, ist er sicher: „Unternehmen aller Größen und Bereiche haben durch die Nutzung von Weltraumtechnologie viel zu gewinnen.“

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