Cum-ex-Nebel in Düsseldorf
Es ist schon eine gewaltige Summe: Rund 900 Mill. Euro sind aus den Reihen der Landesbanken bisher als Rückzahlungen aus Cum-ex-Geschäften an die Finanzbehörden geflossen. Die öffentlich-rechtlichen Institute waren in den Nuller-Jahren tief in den Sumpf unerlaubter Aktienkreisgeschäfte rund um den Dividendenstichtag verstrickt.
Am wildesten trieb es nach allem, was bisher bekannt ist, die frühere WestLB. Darauf lassen die Ansprüche der Steuerbehörden schließen. Mit Bescheiden aus den Jahren 2019 und 2020 forderte das Finanzamt von der WestLB-Rechtsnachfolgerin Portigon die Rückzahlung erstatteter Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag und Zinsen für die Jahre 2005 bis 2008 in Höhe von rund 1 Mrd. Euro. Bekannt ist diese Zahl nicht durch das Finanzinstitut selbst. Die milliardenschwere Forderung geht aus dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt im Streit zwischen Portigon und der Bad Bank Erste Abwicklungsanstalt hervor. Die beiden Häuser ringen darum, wer letztendlich die Cum-ex-Altlasten zu tragen hat. Nach der jüngsten Entscheidung des OLG muss Portigon für die Rückzahlungen aufkommen.
Portigon selbst gibt sich bis heute bemerkenswert zugeknöpft. Über die dürftigen Angaben in den Jahresabschlüssen hinaus verweigert das Institut jegliche Stellungnahme. Das Kommunikationsverhalten der Bank, die sich zu 100% im Besitz des Landes Nordrhein-Westfalen befindet, steht damit in krassem Gegensatz zu dem Vorhaben, das die neue schwarz-grüne Landesregierung Mitte vergangenen Jahres in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hat. Es steht weit hinten auf Seite 140 des Koalitionsvertrags, doch der Anspruch ist unmissverständlich: „Bei dem Cum-Ex-Skandal werden wir die Rolle der früheren WestLB aufklären.“
Erst mal wird geprüft
Davon ist bisher nicht viel zu sehen. Sowohl das von den Grünen geführte Justizministerium als auch das unionsgeführte Finanzministerium bleiben bislang äußerst unkonkret. Die Landesregierung prüfe mögliche Schritte, um dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag gerecht zu werden, heißt es unisono aus beiden Häusern. Zu Zeitplänen oder Vorhaben, wie die Aufklärung denn konkret vorangetrieben werden soll, geben die Ministerien keine Auskunft.
So viel ist bislang aus den Jahresabschlüssen von Portigon bekannt: Im Jahr 2021 hat die Bank einen erheblichen Teil ihrer mutmaßlichen Cum-ex-Gewinne an das Finanzamt zurückgezahlt. Aus den Angaben errechnet sich eine Summe von 550 Mill. Euro. Denn die im Jahresabschluss ausgewiesenen Steuerverbindlichkeiten sanken von rund 600 auf etwa 50 Mill. Euro. Begründet wurde das mit Steueränderungsbescheiden von Ende 2020. Sie enthielten Forderungen „für die Jahre 2005 bis einschließlich 2008 im Zusammenhang mit den Dividendenarbitragegeschäften der ehemaligen WestLB“. Weiter hieß es dort jedoch auch: „Die Steuer- sowie Zinsänderungsbescheide wurden angefochten und sind nicht bestandskräftig.“ Wie sich die Differenz zu der von den Gerichten angegebenen Steuerschuld von 1 Mrd. Euro begründet, bleibt im Dunkeln.
Parlamentarier wollen das Thema WestLB und Cum-ex vorantreiben. „Der Gesamtsachverhalt ist noch nicht ausreichend aufgeklärt“, sagt Volkhard Wille, grüner Landtagsabgeordneter und Mitglied im Finanzausschuss. „Da muss für die Öffentlichkeit Transparenz hergestellt werden und darf nicht über die Jahre versanden.“ Die Aufarbeitung werde jedoch nicht leicht: „Ich glaube auch, dass das eine größere Aufgabe ist.“
Suche nach Verantwortlichen
Wille, der im vergangenen Jahr neu in den Landtag gewählt wurde, arbeitet sich derzeit intensiv in das Thema ein. „Wir müssen uns erst ein hinreichend gutes Bild davon machen, wie weit die politische Aufarbeitung schon gediehen ist, um dann die richtigen Instrumente für die Fortsetzung wählen zu können.“ Für Wille ist das Cum-ex-Thema dringlich: „Ich habe den Ehrgeiz, dass wir noch in diesem Jahr sagen können, wie wir das machen.“ Das folge allein aus der Dimension des Steuerbetrugs. „Die WestLB war ein Hauptplayer, das zeigen die bisher bekannten Zahlen. Und dann muss es dafür ja auch Verantwortliche geben, die gegebenenfalls in Regress genommen werden sollten.“
Andere Landesbanken – die nach den bisherigen Erkenntnissen in deutlich geringerem Umfang sich an der milliardenschweren Steuerhinterziehungsmasche Cum-ex beteiligen – haben zumindest die von ihnen verursachten Schäden für den Fiskus schon vor Jahren beglichen. So zahlten LBBW, Helaba und HSH Nordbank (heute: Hamburg Commercial Bank) nach eigenen Angaben vor rund zehn Jahren Millionensummen an die Finanzämter zurück. Auf die LBBW entfiel dabei mit 200 Mill. Euro inklusive Zinsen die größte Summe.
Zögerliche Rückflüsse
Die knappe Milliarde, die aus dem Landesbankenkreis bislang an illegalen Cum-ex-Gewinnen an die Finanzbehörden zurückgezahlt wurde, macht einen signifikanten Teil der bislang zurückgeholten Gelder aus: Bis Ende 2021 – neuere Zahlen liegen nicht vor – seien Ermittlungen in 137 Cum-ex-Fällen mit einem Volumen von 3,1 Mrd. Euro bestands- und rechtskräftig abgeschlossen worden, teilt das Bundesfinanzministerium auf Anfrage mit. Die Finanzbehörden arbeiteten Ende 2021 darüber hinaus an 429 weiteren Verdachtsfällen, in denen unrechtmäßig 4,5 Mrd. Euro Steuern rückerstattet worden sein könnten.
Noch mehr im Dunkeln liegt die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-ex-Geschäfte in der deutschen Landesbanken-Landschaft. Bislang ist keine einzige Anklage erhoben worden, die Ermittlungen laufen zum Teil seit einem Jahrzehnt.
Neubau für Prozesse
Die große Prozesswelle in Sachen Cum-ex steht noch bevor, doch es ist immer noch eher eine Frage von Jahren als von Monaten. Bislang sind elf Banker und Berater in Strafprozessen in Hessen und Bonn wegen Cum-ex-Geschäften verurteilt worden – Transaktionen mit Landesbanken waren dabei bis dato nicht Gegenstand der Verfahren.
Das Landgericht Bonn, das wegen seiner Zuständigkeit für das Bundeszentralamt für Steuern mit zahlreichen Cum-ex-Fällen befasst ist, plant mit einer höheren dreistelligen Zahl von Verfahren. Dazu wird extra ein Gerichtsgebäude errichtet – wegen Platzmangels in der ehemaligen Bundeshauptstadt ist es im benachbarten Siegburg geplant. Die Bauarbeiten sollen in diesen Wochen losgehen, bezugsfertig wird das geschätzt 35 Mill. Euro teure Gebäude nach Auskunft einer Gerichtssprecherin jedoch nicht vor Oktober 2024.
Bis dahin muss das Landgericht mit den vorhandenen Verhandlungssälen in Bonn auskommen und will den Bedarf gegebenenfalls durch einen Sitzungsbetrieb in Schichten sowie Samstagstermine ausgleichen. Die zuständige Schwerpunktstaatsanwaltschaft in Köln bearbeitet aktuell rund 100 Cum-ex-Verfahrenskomplexe mit mehr als 1500 Beschuldigten. Bis sich der Nebel lichtet, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterlaufen.
Von Antje Kullrich, Düsseldorf