Im BlickfeldUS-Präsidentschaftswahl

Das „Biden-Dilemma“ der US-Demokraten

Nach Präsident Joe Bidens Debakel beim TV-Duell mit Donald Trump bangen die US-Demokraten um den Chefsessel im Weißen Haus. Biden will seine Kandidatur nicht zurückziehen, dennoch steht seine Vizepräsidentin Kamala Harris Gewehr bei Fuß.

Das „Biden-Dilemma“ der US-Demokraten

Das „Biden-Dilemma“ der US-Demokraten

Parteifreunde fordern Bidens Ausstieg – Harris als aussichtsreichste Alternative

Von Peter De Thier, Washington

Die US-Demokraten verstärken den Druck auf Präsident Joe Biden (81), seine Bewerbung um eine zweite Amtsperiode zurückzuziehen. Mittlerweile haben sich zahlreiche Parlamentarier zu Wort gemeldet und Biden aufgefordert, das Handtuch zu werfen. Der Grund: Zuerst gab Biden bei der Fernsehdebatte mit seinem republikanischen Gegner Donald Trump eine katastrophale Figur ab. Danach sah der Präsident in einem Fernsehinterview, das darauf abzielte, sein Image aufzupäppeln, kaum besser aus.

Doch wer bietet sich als mögliche Alternative an? Und würde ein neuer Kandidat weniger als vier Monate vor der Präsidentschaftswahl bessere Chancen gegen den mittlerweile klar favorisierten Trump haben? Einige Demokraten befürchten die Folgen, wenn sie die logische Alternative, Vizepräsidentin Kamala Harris, ins Rennen schicken. Dies könne Chaos auslösen und wäre ein Wahlgeschenk für Trump, meinen sie.

Traumkandidatin Michelle Obama

Andere Namen, die an der Gerüchtebörse gehandelt werden, sind die ehemalige First Lady Michelle Obama, die allerdings nicht kandidieren möchte, und Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom. Außenseiterchancen geben Wettbüros, die Trump nach Bidens Implosion zu einem nahezu unbezwingbaren Favoriten erklärt haben, Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer. So oder so steht fest: Die Regierungspartei steckt in einem Dilemma, das aller Voraussicht nach erst bei dem Parteikonvent im August gelöst werden kann.

Seit dem Rededuell mit Trump bangen die Demokraten nämlich nicht nur um die Präsidentschaft, sondern befürchten auch Niederlagen bei Kongress- und Gouverneurswahlen. In dem Bemühen, die sich anbahnende Krise in den Griff zu bekommen, organisierte das Weiße Haus ein Interview mit dem Fernsehsender ABC. Darin wies der Präsident Zweifel an seiner Gesundheit und seinem geistigen Zustand energisch zurück. „Meine Kritiker wissen nicht, wovon sie reden“, sagte er.

Auch weigerte er sich, einen kognitiven Test zu machen, und bezweifelte die Korrektheit von Umfragen, die übereinstimmend signalisieren, dass Trumps Vorsprung gewachsen ist. Verblüfft reagierten Demokraten, als Biden auf die Frage, wie er sich fühlen würde, wenn Trump gewinnt und kommenden Januar ins Amt eingeführt wird, antwortete: „Ich wäre zufrieden, wenn ich weiß, dass ich mein Bestes gegeben habe.“

Demokratische Parteifreunde bemängeln, der Präsident verstehe offenbar nicht, dass nicht ein persönlicher Sieg im Vordergrund stehen muss, sondern es vielmehr um den Erhalt der US-Demokratie geht. Schließlich hat sich Trump nicht nur bei Autokraten wie Wladimir Putin, Kim Jong-un und Viktor Orbán angebiedert und signalisiert, dass ihm eine Präsidentschaft auf Lebenszeit vorschwebt. Auch hat er angekündigt, (mindestens) am ersten Tag einer zweiten Amtszeit „ein Diktator“ sein zu wollen. Zudem will er das Justizministerium einbinden, um politische Gegner strafrechtlich zu verfolgen.

Harris unpopulärer als Biden

Wer aber hätte die besten Chancen, als Präsidentschaftskandidat in Bidens Fußstapfen zu treten, und wie würden die Demokraten eine solche Wachablösung überhaupt abwickeln? Die besten Chancen hätte Kamala Harris (59), die seit dreieinhalb Jahren Biden loyal zur Seite steht. Ihr Problem: Die Vizepräsidentin wurde vom Weißen Haus politisch marginalisiert.

Eine ihrer vorrangigen Aufgaben war es, mehrmals an die mexikanische Grenze zu fahren und bei Wählern für Bidens Einwanderungspolitik zu werben. Hinzu kommt, dass sie Umfragen zufolge noch unpopulärer ist als der Präsident. Gleichwohl hätte sie Zugang zu Bidens Wahlspenden in dreistelliger Millionenhöhe. Auch hätte Harris mehrere Monate Zeit, um das Ruder herumzureißen und unschlüssige Wähler zu gewinnen, die Trump für keine tragfähige Alternative halten.

Als Traumkandidatin, die aber bisher Spekulationen über einen möglichen Einstieg ins Rennen zurückgewiesen hat, gilt die frühere First Lady Michelle Obama (60). Umfragen zufolge hätte sie gute Chancen, Trump zu bezwingen. Insbesondere könnte sie afroamerikanische Wähler, bei denen die Republikaner behaupten, bedeutende Fortschritte gemacht zu haben, zurückgewinnen. Auch hat Gavin Newsom (56), seit 2019 Gouverneur von Kalifornien, während der vergangenen Monate sein nationales Profil geschärft. Der Unternehmer, der früher stellvertretender Gouverneur und davor Bürgermeister von San Francisco war, gilt vielen aber als zu sozialliberal.

Sollte Biden dem Druck zum Ausstieg nachgeben und kapitulieren, dann würde sich die Ablösung selbst ausgesprochen schwierig gestalten. „Schließlich sind die Vorwahlen längst vorbei“, so Larry Sabato, Professor der Politologie an der University of Virginia. „Die knapp 4.000 Delegierten stehen fest, und die Partei kann diese nicht einfach auswechseln“, stellt Sabato fest. Käme es zu einer sogenannten „Brokered Convention“ – wie zuletzt 1952 bei den Republikanern und Demokraten –, müsste sich eine einfache Mehrheit der Delegierten auf einen Kandidaten verständigen.

„Verrauchte Hinterzimmer“

Neben Harris könnten andere ihren Hut in den Ring werfen – auch Demokraten, die bisher in dieser Frage noch gar nicht in Erscheinung getreten sind. Es würde bei dem Parteikonvent zum klassischen Szenario der „verrauchten Hinterzimmer“ kommen, in denen Anwärter in eigener Sache werben. Die Abstimmungen würden dann so lange fortgesetzt werden, bis ein Kandidat eine Mehrheit auf sich vereinigen kann. 

Relevant wäre die Diskussion aber nur dann, wenn Biden freiwillig aussteigt. Zwischenzeitlich haben mehr als ein halbes Dutzend demokratische Mitglieder des Repräsentantenhauses ihm nahegelegt, seine Kandidatur zu beenden. Auch hat Mark Warner, der Chef des Geheimdienstausschusses im Senat, sich mit Kollegen zusammengetan und um ein direktes Treffen mit dem Präsidenten gebeten. Warner hofft damit, Biden zu einem würdevollen Abgang zu überreden.

Am Wochenende beschleunigte sich die Lawine der Biden-Gegner. So hielt Hakeem Jeffries, der demokratische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, eine Videokonferenz mit Parteifreunden ab. Allesamt wollen sie den Präsidenten überzeugen, dass es im Interesse der Nation liegt, das Zepter einem anderen Kandidaten zu übergeben. Bisher deutet aber nichts darauf hin, dass die gemeinsamen Anstrengungen zum Erfolg führen werden.

Wie dem Präsidenten nahestehende Quellen berichten, hört Biden nur auf einen kleinen Personenkreis. Dazu zählen seine Familie und einige politische Vertraute, unter anderem Ex-Präsident Barack Obama. Unterdessen bestehen sowohl der Präsident als auch seine Frau darauf, dass der 81-Jährige seine Kandidatur fortsetzen wird. „Nur der liebe Gott könnte mich überreden auszusteigen, und das wird er nicht tun“, sagte Biden.

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