Food Tech

Das Geschäft mit Alternativen für Fleisch, Milch & Co.

Vegetarische Alternativen zu Fleisch, Milch und Käse gelten als Geschäft der Zukunft. Doch bekannte Namen wie Beyond Meat oder Oatly sind an der Börse unter die Räder gekommen. Der Markt ist noch nicht verteilt.

Das Geschäft mit Alternativen für Fleisch, Milch & Co.

Tierfreunde können aufatmen: Pünktlich zum Beginn der Adventszeit hat Nestlé eine vegane Alternative zur Foie gras vorgestellt. Auch Rezepte für vegetarische Varianten zur Weihnachtsgans oder für einen fleischfreien Weihnachtsbraten bietet das Internet zuhauf. Fleischersatz ist auf dem Vormarsch, vom Burger-Patty auf Insektenbasis über künstlich im Labor gezüchtetes Fleisch bis zur Alternative auf Pflanzenproteinen.

Die Ersatzprodukte sind weniger belastend für die Umwelt – und sie bieten ein enormes Marktpotenzial. PwC schätzt das Marktvolumen für vegetarische und vegane Ersatzprodukte in Deutschland für 2021 auf 2 Mrd. Euro und prognostiziert, dass der deutsche Markt bis 2030 auf rund 10 Mrd. Euro anwachsen könnte. Dabei läge das jährliche Wachstum fast viermal so hoch wie das des deutschen Lebensmitteleinzelhandels im Zeitraum 2016 bis 2021.

Einstige Stars im freien Fall

Allen Wachstumshoffnungen zum Trotz sind die bekannten börsennotierten Namen der Branche zuletzt abgestürzt. Beyond Meat hat nach schwachen Quartalszahlen angekündigt, 19 % ihrer Mitarbeiter zu entlassen. Im dritten Quartal 2022 verbuchte Beyond Meat einen Nettoverlust von fast 102 Mill. Dollar, die Nettoumsätze schrumpften auf nur noch gut 82 Mill. Dollar. Der einstige Börsenstar ist an der Nasdaq abgerauscht: Über einen Ausgabepreis von 25 Dollar und einen ersten Handelskurs von 46 Dollar steigerte sich die Aktie im Sommer 2019 in ihren besten Tagen auf über 200 Dollar. Zurzeit gibt es sie für etwa 12 Dollar.

Auch Oatley, der Vorreiter im Bereich Hafermilch, kommt an der Börse auf keinen grünen Zweig. Das schwedische Unternehmen debütierte im Mai 2021 an der Nasdaq mit einem Ausgabepreis von 17 Dollar und einer Erstnotiz von 22 Dollar. Zuletzt kostete die Aktie mit weniger als 2 Dollar nur noch einen Bruchteil. Und auch der Kurs der deutschen Veganz Group verlor in den vergangenen zwölf Monaten mehr als 80 %.

Das sinkende Investoreninteresse trifft Food Tech dennoch deutlich weniger stark als andere Branchen, sagt Manon Sarah Littek, die als Co-Gründerin des „Green Generation Fund“ in den Bereich investiert. Ihr Fonds engagiert sich in Food-Tech-Unternehmen der zweiten Generation: „Diese setzen verstärkt auf Verfahren wie Präzisionsfermentierung“, erklärt sie. Ziel sei es, dem Original möglichst nahe zu kommen und dabei kaum Zusatzstoffe zu verarbeiten. „Bei Unternehmen dieser zweiten Generation sehen wir von einem Markteinbruch bislang nichts, im Gegenteil, die Technologien boomen, weil sie die regionale Nahrungssicherheit stärken.“

Beyond Meat, Oatly und Veganz setzen als Unternehmen der ersten Food-Tech-Generation auf andere Technologien und verändern beispielsweise pflanzliche Proteine durch Extrusionsverfahren. Ralf Marinoni, der als Analyst der Quirin Privatbank die Veganz Group beobachtet, sieht den Absturz der Food-Tech-Unternehmen im Strudel des generell schwachen Börsenumfelds. „Viele Investoren verlagern ihr Geld weg von Wachstumswerten und eher hin zu Substanzwerten. Darunter leiden Food-Tech-Unternehmen, aber auch viele Technologiewerte.“

Hinzu kommt, dass viele Ersatzprodukte sich als höherpreisige Premium-Marken positionieren. Den Markt haben aber auch Supermärkte und Discounter erkannt und bieten ein wachsendes Sortiment an Eigenmarken an. In Zeiten hoher Inflation greifen viele Kunden zu diesen günstigeren Produkten. Das trifft beispielsweise Veganz. Deren Umsatz lag mit knapp 19 Mill. Euro in den ersten neun Monaten 2022 deutlich unter dem Vorjahr (24,5 Mill. Euro).

Das Discountergeschäft, in dem Veganz noch keine Festlistungen hat, steuerte im Vorjahr durch Verkaufsaktionen immerhin 14 % zum Umsatz bei. In den ersten neun Monaten dieses Jahres blieben die Aktionen jedoch aus, der Umsatzanteil brach auf nur noch 1 % ein. Bei Veganz läuft nun ein Sparprogramm, unter anderem Marketing und Vertrieb fahren die Berliner deutlich zurück.

Auch Beyond Meat muss seine operativen Ausgaben senken. Neben dem schwierigen Marktumfeld und sinkender Nachfrage haben Preisnachlässe in den USA sowie der EU das Ergebnis belastet. Oatly hatte nach Lieferschwierigkeiten einige neue Produktionsstandorte eröffnet, zuletzt aber die Vereinfachung seiner Organisationsstruktur in den Fokus gerückt. Auch bei den Schweden sind Stellenstreichungen im Gespräch.

Gekommen, um zu bleiben

Am grundlegenden Trend zu Ersatzprodukten ändert die Konsumflaute allerdings nichts, ist Analyst Marinoni sicher. „Das Konsumverhalten, insbesondere bei jüngeren Verbrauchern, geht eindeutig in diese Richtung.“

Die großen Lebensmittelkonzerne wollen daran ihren Anteil. Ihr Vorteil liegt darin, dass sie in sämtlichen Supermarktregalen bereits vertreten sind. Bei Nestlé geht man davon aus, dass beispielsweise das Segment mit Pflanzenproteinen perspektivisch 30 bis 40 % des globalen Proteinmarktes ausmachen könnte. Chief Technology Officer Stefan Palzer sagte der Agentur Bloomberg, er bereite sich auf ein stetiges Verbrauchswachstum in den kommenden Jahren vor. Im globalen F&E-Team ist der Anteil der Spezialisten für Pflanzenproteine auf 10 % erhöht worden, das sind etwa 300 Mitarbeiter.

Neben Ersatz für Fleisch entwickeln Firmen Alternativen für Milch und Käse, zu denen oft auch Menschen mit Laktoseunverträglichkeit greifen. Sogar Ersatz für Eier entsteht, komplett mit Eigelb und Eiweiß. Der US-Konzern Kraft Heinz kooperiert seit einigen Monaten mit dem Start-up Notco, in das auch Jeff Bezos investiert hat. Zu den ersten Ergebnissen zählen vegetarische Käsescheiben und Mayonnaise.

Neuer Produktmix

Auch klassische Fleisch- und Wurstproduzenten besetzen zunehmend den Markt für Ersatzprodukte. „Der Fleischverbrauch ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren pro Kopf um über 10% zurückgegangen“, sagt Christian Wulff, Industry Leader Retail & Consumer bei PwC. „Einige Produzenten stellen ihre Produktion um und präsentieren verstärkt vegetarische Produkte im Supermarktregal.“ Tönnies hat veganen Lachs auf Stärke-, Raps- und Reis-Basis sowie vegetarische Alternativen zu Chicken-Nuggets, Hähnchenschnitzel und Fischstäbchen im Sortiment. Veggie macht dem Unternehmen zufolge rund 10 % des Umsatzes der Marke Gutfried aus, Tendenz steigend.

Rügenwalder Mühle hat sich kürzlich an dem Schweizer Start-up Mirai Foods beteiligt, das seit 2019 zum Thema kultiviertes Fleisch forscht. Zusammen wollen sie ein hybrides Produkt aus pflanzlichen Proteinen und kultiviertem Rinderfett entwickeln. Zum Sortiment der Rügenwalder Mühle zählen neben rund zwei Dutzend klassischen Fleisch- und Wurstwaren inzwischen etwa 30 vegetarische und vegane Produkte.

Gemessen am gesamten Lebensmittelgeschäft ist der Markt mit Ersatzprodukten bislang allerdings noch überschaubar. „Erst wenn der Markt wächst, werden die neuen Anbieter von Ersatzprodukten zunehmend auch als potenzielle Übernahmeziele für etablierte Konzerne interessant“, glaubt Analyst Marinoni. Noch hätten viele einfach nicht die kritische Größe.

Nach Einschätzung von Investorin Littek, die selbst mehrere Jahre den Venture-Arm Greenfood bei Katjes mit aufgebaut hat, wird in den nächsten Jahren kein Nahrungsmittelkonzern mehr am Thema vegetarischer und veganer Alternativen vorbeikommen. Auch wenn große Konzerne eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilungen auf den Trend ansetzen – die höhere Innovationskraft schreibt sie jungen Food-Tech-Unternehmen zu: „Innovationen kommen selten aus Konzernen.“ Die jungen Marken hätten auch mehr Glaubwürdigkeit bei Konsumenten. Das heißt nicht, dass die beiden Welten nicht zusammenfinden. „Der Exit durch Verkauf an einen Strategen ist ein häufiges Szenario für Food-Tech-Unternehmen“, sagt Littek. So manche innovative Marke könnte in einigen Jahren also einen großen Strategen im Hintergrund haben.

Für Verbraucher dürfte die Trennung zwischen innovativem Ersatzprodukt und herkömmlichem Nahrungsmittelanbieter ohnehin zunehmend verschwimmen, glaubt Christian Wulff von PwC. „Wir nutzen heute Bezeichnungen wie ‚vegetarische Wurst‘. Die nächste Generation wird den Verweis auf ein Fleischprodukt nicht mehr benötigen. Für sie wird es einfach ein pflanzliches Gericht sein, das auch nicht mehr in die Form einer Wurst gepresst sein muss.“

Von Sabine Reifenberger, Frankfurt

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