Sanktionsdrohung gegen Russlands Freunde zeigt Wirkung
Sanktionsdrohung gegen Russlands Freunde zeigt Wirkung
Die neue Taktik der USA, Putins Kriegsmaschinerie über die Banken kleinzukriegen, beginnt zu wirken. Russlands starke Partner wie China und Türkei lenken aus Angst vor Sekundärsanktionen allmählich ein. Aber auch die Russen werden findig bleiben.
Von Eduard Steiner, Moskau
Seit Beginn dieses Jahres versuchen die USA, die russische Kriegsmaschinerie mit einer neuen Taktik zu bremsen. Und es mehren sich die Anzeichen dafür, dass dieser neue Ansatz tatsächlich greift: Das Geldüberweisungssystem mit befreundeten Staaten – besonders der Türkei und China – stocke, ließ dieser Tage der russische Ex-Finanzminister Michail Sadornow wissen. Und griff gleich zu einem drastischen Bild. „Blutgerinnsel haben sich in allen Hauptgefäßen gebildet“, so Sadornow gegenüber Forbes Talks. Weil die genannten Staaten sekundäre EU- und US-Sanktionen befürchteten, stünden Russlands Im- und Exporte „ohne einen Blutkreislauf gegenseitiger Abrechnungen“ da.
Die notorische Umgehung der Handelssanktionen insbesondere bei Gütern für die russische Militärindustrie über Staaten wie Türkei, China, Kasachstan oder die Vereinigten Arabischen Emirate war dem Westen seit langem ein Dorn im Auge. Daher drohte er Ende 2023 mit Sekundärsanktionen. Und weil er wusste, dass der indirekte Hebel über ausländische Banken der effizientere ist, legte er den Fokus genau darauf. Von „neuen und mächtigen Werkzeugen“ gegen „Finanzinstitute, die den Nachschub für Russlands Kriegsmaschinerie ermöglichen“, sprach US-Finanzministerin Janet Yellen anlässlich der Unterzeichnung des entsprechenden US-Präsidentenerlasses am 22. Dezember 2023.
Nicht ohne Effekt
Der Schritt war nötig geworden, nachdem der mit Kriegsbeginn erfolgte Ausschluss der russischen Großbanken aus dem Swift-System seine Wirkung verfehlt hatte. Die Cross-Border-Überweisungen sind zum einen von kleineren russischen Banken übernommen worden. Zum anderen sprangen Banken jener Länder in die Bresche, welche die Sanktionen nicht mittragen und von Russland daher als „freundschaftlich“ eingestuft werden.
Der neue Ansatz blieb daher nicht ohne Effekt, wie nicht nur Sadornows Thrombosenvergleich nun zeigt. Einem Bericht der russischen Zeitung „Kommersant“ von Mitte April zufolge begannen chinesische Banken Ende 2023 Finanztransaktionen russischer Unternehmen für die Lieferung von – militärisch relevanter – Mikroelektronik zu verweigern. Habe das anfänglich nur fertige Produkte betroffen, so weitete es sich Anfang April etwa auch auf einzelne Chip-Komponenten aus, um den Aufbau einer eigenen russischen Chipproduktion zu unterbinden. Die von „Kommersant“ befragten Experten gaben an, dass Zahlungen nach China sogar dann verweigert würden, wenn es um die Lieferung nicht sanktionierter Produkte gehe.
Ausfuhren gehen zurück
Auch die Zahlen aus der Türkei bestätigen die Tendenz. So gingen die türkischen Exporte nach Russland im ersten Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahresquartal insgesamt um ein Drittel auf 2,1 Mrd. Dollar zurück. Und was den Wert der gemeldeten Ausfuhren von Gütern mit sogenannter hoher Priorität (vor allem Dual-Use-Güter) nach Russland und in seine Nachbarländer betrifft, so fiel dieser im ersten Quartal gegenüber dem vierten Quartal 2023 um 40% auf 93 Mill. Dollar.
Bedeutsamer als das Volumen ist die Tendenz. Denn wie die „Financial Times“ mit Verweis auf die Statistik von Trade Data Monitor berichtet, waren im Jahr 2023 hochprioritäre Güter für 586 Mill. Dollar aus der Türkei nach Russland und in fünf Ex-Sowjetrepubliken exportiert worden, was einer Verfünffachung des Vorkriegsvolumens entsprochen habe.
Überhaupt scheint der Export von Dual-Use-Gütern nach Russland bis zuletzt regelrecht geblüht zu haben. 2023 habe Russland für 12,5 Mrd. Dollar solche Waren eingekauft, rechnet die Kyiv School of Economics (KSE) vor – wertmäßig fast so viel wie im Vorkriegsjahr 2021. Die positive Entwicklung dabei sei, dass die Warenmenge wohl schon 2023 reduziert worden ist, weil die Lieferungen deutlich teurer geworden sind. Experten beziffern die Preisaufschläge für 2023 auf über 80%.
Die Verteuerung und Verkomplizierung macht freilich nicht nur bei Dual-Use-Gütern Halt, sie verteuert den gesamten Außenhandel. Dazu trägt auch bei, dass die USA am 6. März dieses Jahres ihre „Tri-Seal Compliance Note“ publizierten, mit der auch Europas Banken angehalten werden, sich an US-Gesetze zur Exportkontrolle zu halten. „Um sich diesem Risiko nicht auszuliefern, setzen die Banken sogar auf Overcompliance und machen ihrerseits auf die Unternehmen Druck“, erklärt der Frankfurter Rechtsanwalt und ausgewiesene Sanktionsexperte Viktor Winkler im Gespräch mit der Börsen-Zeitung.
Das alles wird die russische Wirtschaft freilich nicht in die Knie zwingen. Aber „wenn türkische Banken, wie kürzlich geschehen, plötzlich keine Zahlungen mehr für russische Importe annehmen und auch Transaktionen in chinesischen Yuan schwieriger werden, könnten Russland sehr bald wichtige Maschinen und Bauteile aus dem Westen wie etwa Mikrochips fehlen“, schreibt Wassili Astrow, Russland-Experte des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, in der jüngsten Frühjahrsprognose.
Neue Umgehungsversuche
Gewiss, Russland wird neue Wege zur Umgehung der Sanktionen – unter anderem durch die ausgedehnte Verwendung von Rubel und anderen Währungen statt Dollar und Euro – finden. „Sie werden halt immer teurer“, meint Oleg Wjugin, Ex-Vize der russischen Zentralbank, gegenüber der Börsen-Zeitung.
Davon ist auch Sadornow überzeugt – und bleibt beim Bild mit den Blutgerinnseln. „An manchen Stellen werden Stents (künstliche Gefäßstützen, Anm.) eingesetzt, und neue Systeme zur Blutversorgung werden gesucht“, sagte er: „Aber eine Stent-Operation beim Menschen ist sehr teuer, und stellen Sie sich vor, dass es viele Stents braucht.“