Der drohende Chipkrieg
Von Martin Fritz, Tokio
Das „Silicon Valley“ von Taiwan liegt im Nordwesten der Insel: Im Hsinchu Science Park stehen die Entwicklungslabore, Wafer- und Chipfabriken von rund 20 Auftragsfertigern für Prozessoren mit integrierten Schaltkreisen. Zusammen bedienen sie 63% dieses Marktes mit einem Weltumsatz von über 100 Mrd. Dollar. Der Platzhirsch mit 56,6 Mrd. Dollar heißt Taiwan Semiconductor Manufacturing Company. TSMC löste in diesem Jahr den chinesischen Internetkonzern Tencent als Asiens wertvollstes Unternehmen ab und bringt über 40% der Marktkapitalisierung der Börse in Taiwan auf die Waage.
Brennpunkt
Genau diese Dominanz macht Taiwan nun zum Brennpunkt des Kalten Krieges zwischen den USA und China, weil beide Streithähne auf die Versorgung mit Chips von der Insel angewiesen sind. Laut einer Studie des Verbandes SIA und der Boston Consulting Group fertigt TSMC 92% aller Prozessoren mit „Knoten“ unter 10 Nanometer (Nm), den Rest stellt Samsung Electronics her. Schon eine größere oder längere Störung dieser Produktion würde die Weltwirtschaft heftig erschüttern und mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Börsencrash auslösen. Ohne eine kontinuierliche Belieferung mit diesen Chips stünden weltweit viele Fabriken der Auto-, Elektronik- und sogar der Rüstungsindustrie still. TSMC beliefert u.a. Apple, Nvidia, AMD, Broadcom und Qualcomm. Schätzungen zufolge würde allein das Bruttoinlandsprodukt der USA um 5 bis 10% einbrechen.
Chinas erklärtes Ziel, Taiwan ins Reich der Mitte zu holen, bedroht daher direkte Wirtschaftsinteressen der USA. „Die Tatsache, dass nur TSMC und Samsung Chips mit weniger als 5 Nm herstellen können, gefährdet die Fähigkeit, den Bedarf der gegenwärtigen und künftigen nationalen Sicherheits- und kritischen Infrastruktur zu bedienen“, heißt es im 100-Tage-Lieferketten-Report der US-Regierung. Hier liegt das wohl stärkste Motiv, warum die USA Taiwan gegen eine chinesische Invasion verteidigen und einen Krieg mit China riskieren würden. „Für die USA ist es undenkbar, dass die TSMC-Werke eines Tages in von China kontrollierten Gebieten liegen“, meint die Historikerin Maria Ryan von der Universität Nottingham.
Aber auch China fürchtet eine Abkoppelung von Taiwan. Man ist weit davon entfernt, wie geplant bis 2025 bei Halbleitern für die inländische Fertigung autark zu werden. Ohne die Prozessoren aus Taiwan würde Chinas Wirtschaft in ihrer Entwicklung ebenfalls schwer zurückgeworfen. Doch TSMC ist nicht mehr „jedermanns Freund“, wie Chairman Mark Liu bisher beschwichtigend formulierte, sondern gehört inzwischen dem Team USA an. Zum Beispiel stoppte TSMC auf US-Wunsch die Chipfertigung für Huawei, die Chinesen verloren dadurch ihren Vorsprung in der 5G-Netzwerktechnik. Auch baut TSMC zwei heftig subventionierte Werke für Chinas Rivalen – eins für 12 Mrd. Dollar in den USA und eins für 7 Mrd. Dollar in Japan.
Chinas heftige Reaktionen auf den Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan lassen sich auch damit erklären, dass die Sprecherin des Repräsentantenhauses mit TSMC-Chairman Liu zusammenkam und auf ihrer Pressekonferenz über den „CHIPS and Science Act“ des US-Kongresses für die Förderung der heimischen Fertigung redete – Biden unterzeichnete das Gesetz am Dienstag. Wer Subventionen erhält, darf die Technologien nicht an China weitergeben. Des Weiteren plant Biden Zugangsbeschränkungen zu den fortschrittlichsten Halbleitertechnologien. So soll die niederländische ASML ihre besten Litografiemaschinen für die Waferbearbeitung nicht mehr an China liefern.
Säbelrasseln
Die Entwicklungen bedeuten aus chinesischer Sicht: Die Abhängigkeit von TSMC lässt sich nur langsam verringern. Ein chinesischer Ökonom forderte daher bereits, man sollte Taiwan möglichst bald besetzen, um sich den Zugriff auf die Chipfabriken zu sichern. Die Parallele zu Japan 1941 ist offensichtlich: Als Reaktion auf das von den USA organisierte Ölembargo eroberte Japan damals Südostasien, um an das Öl in Niederländisch-Indien zu gelangen.
Durch die Kombination der Fabriken im Hsinchu Science Park und der eigenen Vorräte an Silizium und Seltenen Erden würde China zur führenden Halbleiterweltmacht aufsteigen. Vor diesem Hintergrund forderten die Politologen Jared McKinney und Peter Harris, die USA sollten China mit der Zerstörung der TSMC-Fabriken im Falle einer Invasion drohen. TSMC-Chairman Liu warnte China auf seine Weise: „Militärische Kraft oder eine Invasion machen unsere Fabriken inoperabel, weil sie von einer Echtzeitverbindung zur Außenwelt abhängen, von Chemikalien, Ersatzteilen, Betriebssoftware und Diagnosen. „Niemand kann TSMC mit Gewalt kontrollieren“, meinte Liu.
Ein schnelles Ende der Spannungen ist nicht in Sicht. Die USA subventionieren die Halbleiterproduktion im eigenen Land bis 2031 mit fast 53 Mrd. Dollar. Die EU schnürte ein Hilfspaket von 43 Mrd. Euro für Auftragsfertiger, um ihren Weltmarktanteil bis zum Jahr 2030 auf 20% zu verdoppeln. Aber der Bau dieser Fabriken dauerte Jahre. Vor allem hat TSMC schon klargestellt, dass man die leistungsfähigsten Prozessoren weiter in Taiwan herstellen wird.
Selbst wenn den USA und Europa also die Fabrikansiedlungen gelingen sollten, können sie ihre Abhängigkeit von der Insel lediglich abbauen. Damit bleibt die Gefahr eines Chipkrieges um Taiwan auf mittelfristige Sicht hoch. Daher sollten die USA gegenüber China versichern, dass man es nicht von der Versorgung mit TSMC-Chips abschneiden wolle, schlägt der Politologe Dale Copeland von der Universität Virginia vor. Auf diese Weise ließe sich die Wahrscheinlichkeit einer Krise oder eines Krieges verringern.