Madrid

Der Traum vom Tunnel zwischen Europa und Afrika lebt wieder auf

Seit 150 Jahren hat es zahlreiche Projekte für eine Verbindung zwischen Europa und Marokko an der Meerenge von Gibraltar gegeben. Die Krise von 2008 beendete die sehr konkreten Pläne für einen Tunnel. Nun will Madrid die Machbarkeitsstudie aktualisieren.

Der Traum vom Tunnel zwischen Europa und Afrika lebt wieder auf

Europa und Afrika haben keine geografische Landgrenze. Am nächsten kommen sich beide Kontinente an der Meerenge von Gibraltar, die an ihrem engsten Punkt nur 14 Kilometer breit ist. An den meisten Tagen ist das gegenüberliegende Ufer klar zu sehen. Es herrscht ein reger Fährbetrieb zwischen den Häfen des spanischen Algeciras und Tanger in Marokko, der jeden Sommer an Intensität zunimmt, wenn hunderttausende Marokkaner aus Europa in ihr Heimatland oder die Heimat ihrer Vorfahren reisen. Pläne für einen Tunnel gibt es bereits seit dem 19. Jahrhundert. In den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts arbeiteten Madrid und Rabat sehr konkret an dem Projekt, bevor die große Wirtschaftskrise 2008 das Vorhaben begrub.

Nun lebt die Idee wieder auf. Im neuen spanischen Haushaltsplan für 2023 sind 750000 Euro für die eigens für das Tunnelprojekt gegründete staatliche Firma Secegsa vorgesehen. Mit dem Geld soll die letzte Machbarkeitsstudie aus den Nullerjahren aktualisiert werden. Denn seitdem hat es allerlei technische Fortschritte gegeben, die neue Möglichkeiten eröffnen. Eine konkrete Ansage dafür, dass der Tunnel zwischen Europa und Afrika tatsächlich gebaut wird, sei dies jedoch nicht, wie Regierungskreise in spanischen Medien zitiert werden.

Schon 1869 hatte der französische Ingenieur Jean-Baptiste Berlier erstmals Pläne für einen Tunnel unter der Meerenge vorgelegt. In den 1920er Jahren wurden geologische Tests gemacht, ehe der Spanische Bürgerkrieg 1936 der Idee den Garaus machte. Später gab es sogar Pläne für eine Brücke über diesen Eingang vom Atlantik zum Mittelmeer, eines der am stärksten befahrenen Gewässer der Welt. Doch auch dieses Projekt wurde als nicht realisierbar verworfen. Dafür nahmen Spanien und Marokko die Pläne für einen Tunnel wieder auf, inspiriert vom Eurotunnel unter dem Ärmelkanal zwischen Frankreich und Großbritannien, der 1994 seinen Betrieb aufgenommen hatte. So verwarf man auch in Madrid und Rabat die Idee einer Röhre für den Autoverkehr und setzte auf die Schiene. Zur Zeit des spanischen Baubooms schien alles möglich, und das Projekt wurde sehr konkret, bevor die Immobilienblase 2008 platzte und damit auch die Träume einer Verbindung zwischen den Kontinenten.

Der jüngste Plan sieht den Transport von Passagieren, Frachtgütern und Autos vor. Die Züge sollen für die 42 Kilometer lange Strecke zwischen dem Nordterminal in der spanischen Provinz Cádiz und dem Südeingang nahe Tanger eine halbe Stunde benötigen. Die tiefste Stelle läge 284 Meter unter dem Meeresspiegel. Das ist deutlich mehr als der relativ flache Ärmelkanal. Hinzu kommt die Erdbebengefahr in der Region. Die Staatsfirma hat bereits Kontakte zum deutschen Familienunternehmen Herrenknecht, einem der führenden Tunnelbauspezialisten der Welt, aufgenommen.

Die Fantasie über das Projekt einer Röhre unter der Meerenge von Gibraltar wurde auch dadurch beflügelt, dass die spanische Regierung die lange Zeit angespannten Beziehungen zu Marokko verbessert hat. Im Frühjahr überraschte Ministerpräsident Pedro Sánchez Freund und Feind mit einer drastischen Kehrtwende im langjährigen Konflikt um die Westsahara. Der Sozialist versprach in einem Brief an Marokkos König Mohammed VI., fortan die von Rabat vorgeschlagene Lösung eines Autonomiestatus für die ehemalige spanische Kolonie an der afrikanischen Westküste zu unterstützen. Bis dahin hatte Spanien, wie andere Staaten, auch ein Referendum zum Status der an Rohstoffen reichen Region für gut befunden, so wie es die saharauische Befreiungsbewegung fordert und auch die Vereinten Nationen erwägen.

Sollte es tatsächlich zum Tunnelbau kommen, wollen die Spanier dafür auch Geld aus dem europäischen Aufbaufonds verwenden, da die Infrastruktur Teil eines europäischen Netzes sein soll, das bis nach Afrika reicht. Doch derzeit kommt der seit Jahren geplante Ausbau der Mittelmeerschiene, einer potenten Zugverbindung von den Pyrenäen bis nach Algeciras bei Gibraltar, nur schleppend voran, sehr zum Verdruss der Wirtschaft in Katalonien, Valencia und Andalusien. Der Unterseetunnel dürfte also auch weiterhin eine Idee bleiben.

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