Die EU vor dem Stresstest
US-Wahlen
Die EU vor dem Stresstest
Von Detlef Fechtner
Immerhin einer dürfte Feierlaune haben. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wollte bekanntermaßen eine Flasche Schampus köpfen, wenn Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewinnt. Und das konnte er überraschend früh, weil die Wahl deutlich klarer zugunsten Trumps ausfiel, als viele Beobachter erwartet hatten. So offen wie der Ungar hat sich vor der Wahl kein anderer europäischer Premier als Trump-Fan geoutet. Mit der Rückkehr des Republikaners ins Weiße Haus ändert sich das freilich. Italiens Regierungschefin Georgia Meloni hat erklärt, dass sie davon überzeugt ist, dass die strategische Verbindung zwischen den USA und der Brudernation Italien mit Trump noch weiter gestärkt werde.
EU-Diplomaten und EU-Beamte waren zuletzt darum bemüht, die Botschaft zu vermitteln, die Europäische Union sei dieses Mal viel besser auf einen Wahlsieg von Trump vorbereitet als im November 2016. Das ist insofern richtig, als etwa die EU-Kommission in vertraulichen Gremien seit längerer Zeit detaillierte handelspolitische Reaktionen vorbereiten lässt, um konkrete Gegenmaßnahmen androhen zu können, falls Trump seiner Ansage von flächendeckenden Importzöllen Taten folgen lässt. Und ja, es war vorausschauend, das Unterstützungspaket für die Ukraine vor der Wahl so weit voranzutreiben, dass zumindest kein akuter Engpass bei den Hilfen entsteht.
Große Abhängigkeit von den USA
Trotzdem ist die Behauptung, die EU sei dieses Mal besser gewappnet, nur die halbe Wahrheit. Europa hat sich wirtschaftlich noch stärker in Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten gebracht. Der transatlantische Warenhandel hat sich binnen eines Jahrzehnts verdoppelt. Die USA sind – auf einer Stufe mit China – wichtigster Handelspartner der EU. Ökonomen haben viel gerechnet: Importzölle oder andere Barrieren für den transatlantischen Warenverkehr würden die USA hart treffen. Aber die EU noch härter.
Eine Präsidentin Kamala Harris hätte womöglich – in handelspolitischer Sicht – die EU ebenfalls vor große Probleme gestellt. Dennoch setzt der Wahlsieg Trumps die EU weitaus stärker unter Stress. Denn der politische Hauptnenner der EU – zumindest nach Verständnis der EU-Kommission, der Mehrheit des EU-Parlaments und der meisten nationaler Regierungen – fußt vor allem auf drei Überzeugungen. Dass der Binnenmarkt von Vorteil ist und deshalb intensiviert werden soll. Dass der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung ist und die EU daher Vorreiter der Dekarbonisierung der Wirtschaft sein soll. Dass der Aggressor Russland die Ukraine überfallen hat und Kiew darum auf anhaltende Unterstützung zählen kann.
Störfeuer aus den USA
In allen drei Punkten muss sich die EU nun auf Störfeuer aus dem Weißen Haus einstellen. Sei es, weil das ernsthafte Risiko besteht, dass Trump die 27 EU-Staaten auseinanderzutreiben versucht – zumal er die EU weniger als Partner denn als Kontrahent sieht. Sei es, weil Trump ein zweites Mal aus dem Pariser Klimaabkommen austreten und damit die Bemühungen um globale Antworten auf die Klimakrise erschweren könnte. Oder sei es, weil er mit Druck einen „Friedensplan“ verfolgen könnte, der in der Ukraine als Kapitulation wahrgenommen würde. Hinzu kommt, dass die EU wirtschaftlich zusätzlich unter Stress gerät, falls Trump Einfuhren aus China in die USA mit drakonischen Aufschlägen belegen würde. Denn dann würde die Volksrepublik ihre Produkte noch aggressiver auf den europäischen Markt schieben.
Und letztlich muss die EU fürchten, dass die Tonalität im Auftritt Trumps und seine Verächtlichkeit gegenüber demokratischen Institutionen auch in Europa gerade jenen politischen Kräften Auftrieb verschaffen, die dafür sorgen werden, dass sich die EU in den nächsten Jahren in einem andauernden Stresstest befinden wird. Mancher hofft zwar, dass Trumps Wiederwahl Europas Regierungen enger zusammenschweißt, um ihm mit gebündelten Kräften zu begegnen. Aber das dürfte Wunschdenken sein. Viel konkreter ist das Risiko, dass europakritische Parteien das US-Wahlergebnis als Rückenwind zu nutzen verstehen und die politischen Fliehkräfte aus der Europäischen Union stärker werden.
Das Risiko besteht, dass Trump die EU-Staaten auseinanderzutreiben versucht – zumal er die EU als Kontrahent sieht.