KommentarGeldpolitik

Die EZB hat ein Problem mit der Glaubwürdigkeit

Weder Anleger noch Verbraucher kaufen der EZB derzeit ihre Prognosen ab. Die Notenbank bringt das in Bedrängnis.

Die EZB hat ein Problem mit der Glaubwürdigkeit

EZB

Beschädigte Glaubwürdigkeit

Von Martin Pirkl

Selten ist der EZB-Rat in den vergangenen Jahren öffentlich so geschlossen aufgetreten wie bei der Frage nach einer ersten Zinssenkung im Frühjahr 2024. Die Nuancen im Tonfall unterscheiden sich, doch sowohl die Verfechter einer restriktiven Geldpolitik (Falken) als auch die Anhänger einer eher lockeren (Tauben) sprechen sich deutlich gegen eine Zinssenkung in den kommenden Monaten aus. Gedanken daran sind nach Ansicht der Währungshüter der Europäischen Zentralbank (EZB) wahlweise „kindisch“, „Science Ficton“ oder „verfrüht“. Man habe überhaupt nicht über Zinssenkungen gesprochen, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde auf der Pressekonferenz nach dem Zinsentscheid auf Nachfrage. Trotz der Geschlossenheit und des deutlichen Tonfalls ist an den Finanzmärkten eine erste Lockerung bereits für März, spätestens April eingepreist.

Für die EZB ist es durchaus ein Problem, dass die Anleger ihren Aussagen keinen Glauben schenken. Die Erwartung einer baldigen Zinssenkung lockert die Finanzierungsbedingungen, was wiederum die Rückkehr zum 2-Prozent-Inflationsziel der EZB erschwert.

Selbsterfüllende Prophezeiung

Für die Märkte sind ihre eigenen Prognosen übrigens ebenfalls kontraproduktiv. Je stärker die langfristigen Zinsen in Erwartung einer frühen geldpolitischen Lockerung fallen, umso weniger wahrscheinlich werden zeitnahe Zinssenkungen unter diesen Umständen.

Auch die Erwartungen der Verbraucher in der Eurozone verstärken derzeit den Preisdruck. Sie glauben aktuell nicht, dass die EZB innerhalb eines Jahres auch nur ansatzweise in die Nähe des Inflationsziels kommt. Für Oktober 2024 sagen sie im Median eine Teuerung von 4% voraus. Das sind deutlich mehr als die November-Inflationsrate von 2,4% und auch deutlich mehr als die EZB-Prognose, die nun für 2024 bei 2,7% liegt. Verschieben die Verbraucher Ausgaben in Erwartung einer hohen Inflation nach Möglichkeit von der Zukunft in die Gegenwart, erhöht das die Inflation. Eine selbsterfüllende Prophezeiung also.

Falsche Prognose

Lange Zeit hat die EZB die Inflation unterschätzt. Lagarde hatte den Anstieg der Teuerung Ende 2021 noch als „temporäres“ Phänomen abgetan, das quasi von selbst verschwindet. Fairerweise muss man sagen, dass sie damals vom bald folgenden russischen Angriff auf die Ukraine und den Folgen des Krieges für die Energiepreise nichts wissen konnte. Doch auch ohne den Kriegsausbruch hätte die EZB über längere Zeit ihr Inflationsziel deutlich verfehlt. Die sehr hohe Teuerung der vergangenen Jahre hat vor allem bei Verbrauchern die Glaubwürdigkeit der Notenbank beschädigt. Die EZB muss das verloren gegangene Vertrauen nun mühsam zurückgewinnen. Sonst wird das Preisstabilitätsziel noch beschwerlicher zu erreichen sein als ohnehin schon – in diesem Zinszyklus, wie auch in den folgenden.

Weder Anleger noch Verbraucher kaufen der EZB ihre Prognosen ab. Die Notenbank bringt das in Bedrängnis.

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