Leitartikel Automobilindustrie in der Krise

Die große Pleitewelle in der Zuliefererbranche

Die deutsche Automobilindustrie wird durchgeschüttelt. Die Zahl der insolventen Zulieferer wird weiter steigen. Keine andere Branche trifft es hierzulande so hart.

Die große Pleitewelle in der Zuliefererbranche

Autozulieferer

Die große Welle

Von Joachim Herr

Die deutsche
Automobilindustrie wird
durchgeschüttelt.
Und die Zahl der
insolventen Zulieferer
wird weiter steigen.

Es kommt ganz dick für die Branche: Mitten im teuren Wandel zur Elektromobilität stockt die Nachfrage, während die Energie-, Material- und Personalkosten kräftig gestiegen sind. Die Kapazitäten der Autozulieferer sind bei weitem nicht ausgelastet, der Abbau von Arbeitsplätzen kostet erst einmal reichlich Geld. Hinzu kommt das drohende Unheil hoher Zölle für Exporte in die USA und möglicher Gegenschläge der Handelspartner.

Im vergangenen Jahr traf jede sechste größere Insolvenz in Deutschland die Automobilindustrie. Keine andere Branche leidet mehr. Und in diesem Jahr nimmt die Zahl der Unternehmen, die aufgeben müssen, weiter zu. Die Welle wird immer höher. Branchenkenner überbieten sich mit düsteren Szenarien: Nur die Hälfte der Zulieferer in Deutschland werde diese Krise überstehen, wird in den Reihen der Insolvenzverwalter geunkt.

Investitionen bleiben aus

43% der mittelständischen Unternehmen nehmen an, dass sich ihre Geschäftslage in diesem Jahr verschlechtern wird, wie eine Umfrage des Branchenverbands VDA ergeben hat. Nur 13% rechnen mit einer Verbesserung. Manchen Unternehmen bleibt angesichts knapper Liquidität und erschwerten Zugangs zu Bankkrediten keine andere Wahl, als Investitionen zu stornieren. Wenn Innovationen ausbleiben, ist das auf längere Sicht jedoch fatal für die Wettbewerbsfähigkeit.

Andererseits sind Unternehmen, die frühzeitig in die Elektromobilität investiert haben, nun in der Bredouille. Der Markt für E-Autos wächst in Europa und Nordamerika viel schleppender, als es die meisten in der Branche angenommen und gehofft hatten. Ehe sich für solche Produkte Skaleneffekte in der Fertigung einstellen, wird das Hochlaufen jetzt jäh gebremst.

Hilfe von den Kunden

Autohersteller und große Zulieferer wie Bosch unterstützen Lieferanten finanziell. Das machen sie freilich aus eigenem Interesse, um ihre Versorgung mit Bauteilen zu sichern. Zum Teil geht es um das Überleben von Herstellern ganz spezieller Produkte. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die nach wie vor Technik für Verbrennungsmotoren im Angebot haben, fällt es besonders schwer, Kredite von Banken zu erhalten. Das liegt nicht nur an der klar dominierenden Erwartung, dass der Elektromobilität die Zukunft gehört – auch wenn diese weiter in die Ferne gerückt ist. Ein anderer Grund sind die Anforderungen der Europäischen Union an Nachhaltigkeit: Stichwort Taxonomie.

Unternehmen mit leicht austauschbaren Produkten wie Bauteilen aus Aluminiumdruckguss haben in Krisen schlechte Karten. In großen Schwierigkeiten stecken auch Zulieferer, die sich auf sehr konjunktursensible Segmente konzentrieren – etwa Europas Lkw-Industrie. Entscheidungen von Managern für eine wenig ausgewogene Strategie stellen sich nun als gravierende Fehler heraus. Auf der anderen Seite gibt es fast keine Insolvenzen von Zulieferern, die Software entwickeln.

Neustart mit Chancen

Zudem fehlt kleinen Unternehmen häufig ein professionelles Liquiditätsmanagement. Im Konjunkturtal bedroht dieser Mangel ihre Existenz. Da helfen die besten Produkte nichts. Engpässe und Notlagen erkennen die KMU nach den Erfahrungen von Restrukturierungsexperten und Insolvenzverwaltern häufig zu spät. Rechtzeitig mit Gesellschaftern, Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und Banken nach Lösungen zu suchen kann die Rettung sein. Es geht um die wichtigste Währung: das Vertrauen der Geschäftspartner.

Die Konsolidierung in der Zuliefererbranche ist längst im Gange und geht weiter. Wie stark die Branche durchgeschüttelt wird, hängt von der Entwicklung der Nachfrage ab, von den Rahmenbedingungen der Politik, aber vor allem vom Geschick des Managements und den Fähigkeiten aller Beschäftigten. Eine Insolvenz muss nicht das endgültige Ende sein. Eine schlankere Organisation, ein straffes Portfolio mit wettbewerbsstarken Produkten und weniger Kapazität – ein schmerzhafter Stellenabbau ist nicht zu vermeiden – sind die Mindestvoraussetzungen für einen Neustart. Der kann ohne eine anziehende Nachfrage aber kaum gelingen.

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