Interventionismus

Die neue Kriegs­wirtschaft

Die Marktwirtschaft nimmt Züge einer Kriegswirtschaft an. Die neue Art der Ökonomie beschränkt sich nicht auf den Militär-Krieg.

Die neue Kriegs­wirtschaft

Kriegswirtschaft ist ein hässliches Wort. Trotzdem hat der Bundeswehrverband ihre Einführung gefordert. Dies kann als Zuspitzung einer Lobby wahrgenommen werden. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Untertreibung, weil sich die Verbandsaussage nur auf Rüstungsgüter bezieht. Die Realität ist drastischer: Ein Großteil der Marktwirtschaften ist in einen Krisenmodus gewechselt, der von kriegswirtschaftlichen Elementen geprägt ist. Der Gegner kann gestern ein Virus, heute ein Diktator, morgen die Klimaerwärmung und übermorgen etwas anderes sein: Die Reaktionsmuster ähneln sich. Eine neue Kriegswirtschaft entsteht.

Ist diese These die Zuspitzung eines Journalisten? Auszuschließen ist dies nie, wenn man früh versucht, langsam wirkende Langfristig-Veränderungen zu erspüren. Was überhaupt ist eine Kriegswirtschaft? Meist sorgt der Staat mit Interventionen dafür, externe Schocks abzufedern und die Knappheit wichtiger Güter zu beseitigen.

Dieses Neutralisieren externer Schocks haben westliche Staats- und Wirtschaftsführer seit 2008 zu ihrem Ziel gemacht. In der Finanzkrise hatten Notenbanken diesen Job übernommen. Damit war der Grundstein gelegt für das neue Denken: Komme, was wolle, irgendjemand wird es makroökonomisch richten. In der Pandemie schüttete der Staat sein Füllhorn über Branchen von der Gastronomie bis zum Flugverkehr aus. Im Ukraine-Krieg kommt der Energiesektor in den Genuss beeindruckender Transferzahlungen. In der Klimakrise stehen gewaltige Eingriffe an. Die Liste von Einzelmaßnahmen ist endlos: Spareinlagen werden garantiert, Banken gestützt, Flutschäden ausgeglichen, Pleiten großteils abgeschafft, Aktienkurse hoch gehalten, Staatsschulden vergesellschaftet und Arbeitsplatzverluste vermieden. Jeder gewinnt, existenzgefährdende Einbußen sind die Ausnahme. Risiken werden nicht korrekt bepreist.

Hinzu kommt die Bewirtschaftung des Mangels. Nicht mehr Nachfrage und Angebot und damit der Preis regeln jene systemrelevanten Produkte, die in der Krise gefährdet sind. Diese Aufgabe übernimmt der Staat. Intensivbetten fehlen in der Pandemie? Prämien für Krankenhäuser fließen. Es werden zu wenig Windräder gebaut? Das Wirtschaftsministerium denkt über eine garantierte Abnahme nach. Die Gasversorgung ist gefährdet? Der Staat investiert. Aktuell plant die Bundesnetzagentur, lokal den Stromverbrauch zu begrenzen, um eine temporäre Überlastung wegen Elektroautos und Wärmepumpen zu vermeiden. Derartige Rationierungen sind ein Phänomen aus Kriegszeiten. Damit nicht genug. Eine umfassende Kriegswirtschaft wird entstehen, wenn sich die Schlacht in Osteuropa räumlich oder zeitlich ausdehnt. Aber auch ein schnelles Ende führt zu einer Jahrzehnte andauernden Priorisierung von Sicherheit und Waffen. Außerdem greift der Staat weiterhin mit Sanktionen in Entscheidungen von Unternehmen ein.

Ist dies alles nur eine Rückkehr zur Sozialen Marktwirtschaft der frühen Bundesrepublik? Dies wäre quasi ein weicher Systemumbau. Diese Annahme ist aber eine Illusion. Die Zahl politischer Eingriffe samt Abkehr von einer Marktorientierung und die Kaskade von Krisen nährt vielmehr den Interventionsstaat im Geiste einer Kriegswirtschaft. In einem nächsten Schritt werden sich Institutionen wie die Welthandelsorganisation umstrukturieren. Für die EU geht es nicht mehr um Binnenmarkt-Konvergenz, sondern um die Bereitstellung von ökonomischer Sicherheit. Die Forderung nach neuen EU-Schulden und der Industrieplan als Reaktion auf den Inflation Reduction Act der USA sind die konsequente Folge.

Die Wirtschaftsordnung wird radikal umgebaut, aber eine echte Debatte über das Thema fehlt. Sonntagsreden mit Bekenntnissen zur Marktwirtschaft sollte man sich sparen. Stattdessen ist zu entscheiden: Soll der Mix aus Markt- und Kriegswirtschaft fortgeführt werden? Oder bekennt man sich zu einem knallharten Interventionsregime?

Welche Folgen der Umbau für Unternehmen hat, ist nicht ausgemacht. Einerseits verlieren sie die Dominanz, die ihnen der Neoliberalismus gewährt hat. Andererseits besitzen sie jene physischen Güter, die der Staat lenken will. Kriegswirtschaften waren immer von Allianzen zwischen Firmen und Regierungen gekennzeichnet. Wer nur seine Arbeitskraft anzubieten hatte, stand auf der Verliererseite. Im Krieg gegen Corona hat sich dieses Muster wiederholt. Die Rechnungen, die in jeder Kriegswirtschaft geschrieben werden, begleicht am Ende die Steuern zahlende Mittelschicht.