Die Rückkehr der Liebeswurst
Mal ganz ehrlich, würden Sie Ihrer Liebsten zum Frühstück am Valentinstag eine Wurst in den Ofen schieben? Das klingt doch irgendwie unfein. Doch das britische Traditionskaufhaus Marks & Spencer (M&S) hat seine „Love Sausage“ wieder aufgelegt, zwei in Bacon eingewickelte und in einer Aluschale in Herzform zusammengelegte Würste, die „ein Hauch von Trüffel“ hochwertiger erscheinen lassen soll. Seit 2019 taucht sie in unterschiedlichen Erscheinungsformen im Kühlregal auf, stets begleitet von doppeldeutigen Kommentaren auf den Selbstentblößungsplattformen im Internet, wo insbesondere die Chorizo-Version des vergangenen Jahres –„Spice Up Your Love Sausage“ – mit Begeisterung aufgenommen wurde. M&S hat auch dieses Jahr an alles gedacht. Wer den Tag mit einem englischen Frühstück in Herzform begonnen hat, kann zum Mittagessen mit einer „Pie Love You“-Pastete nachlegen. Alternativ dazu gibt es auch noch einen handgearbeiteten Melton Mowbray Pork Pie mit einer herzigen Botschaft.
Die Schweinezüchter dürften sich freuen, hat die Branche doch mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen – wegen der Pandemie, des Arbeitskräftemangels in den Schlachthöfen, der hohen Futter- und Energiepreise sowie der sich verändernden Essgewohnheiten. Immerhin hatte sich dieses Jahr eine halbe Million Menschen vorgenommen, im „Veganuary“ nur pflanzliche Lebensmittel zu sich zu nehmen. Bildschirmarbeiter benötigen morgens auch die 2 000 Kalorien nicht, die ein ausgiebiges traditionelles Frühstück mit Bacon, Black Pudding und Würstchen liefert.
Derweil warten mehr als 170 000 Schweine darauf, geschlachtet zu werden. Für den Mangel an Schlachtern wird gerne der Brexit verantwortlich gemacht, doch wurden sie auch vor dem britischen EU-Austritt so jämmerlich bezahlt, dass den Job kaum jemand machen wollte. Von den vorwiegend osteuropäischen Arbeitskräften kehrten viele in ihre Heimatländer zurück, nicht unbedingt aus europapolitischen Erwägungen, sondern um während der Pandemie Familienangehörigen zur Seite zu stehen. Rund 35 000 gesunde Schweine mussten bereits gekeult und vernichtet werden. Man hätte sie problemlos verzehren können, doch waren sie zu groß und zu alt geworden und entsprachen damit nicht mehr den starren Qualitätsstandards der Abnehmer. Coronavirus hin oder her, Ordnung muss sein. Ist ja angeblich alles zum Wohle des Verbrauchers.
Die National Pig Association und der Bauernverband NFU fordern nun vom zuständigen Staatssekretär George Eustice, alle Beteiligten zu einem Krisengipfel einzuberufen. Im vergangenen Jahr hätten die Züchter im Schnitt 25 Pfund Verlust pro Schwein gemacht. Manchen Bauern sei lediglich die Hälfte der vertraglich vereinbarten Tiere zur Schlachtung abgenommen worden. Die von der Branche erhoffte Lösung, man ahnt es schon, besteht nicht darin, die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen zu verbessern und höhere Löhne zu zahlen, sondern darin, Billigarbeitskräften aus den Armutsregionen der EU Freizügigkeit zu gewähren. Wer 2016 für den Austritt gestimmt hat, sollte sich fragen, wo eigentlich die Brexit-Dividende für die Verbraucher und Arbeitnehmer geblieben ist. Wer auf niedrigere Lebensmittelpreise durch radikalen Freihandel gehofft hatte, wurde jedenfalls enttäuscht. Die britischen Landwirte werden weiter verhätschelt und vor Wettbewerb geschützt, auch jenseits der EU-Mitgliedschaft. Das schlimmste Ergebnis eines solchen Krisengipfels wären weitere Subventionen. Die Schweinezucht ist schließlich keine strategisch wichtige Branche. Die Landwirtschaft muss sich anpassen, nicht nur in Großbritannien. Dänische Schweinezüchter haben sich übrigens dieser Tage gegen EU-Hilfen ausgesprochen. Sie haben keine Probleme, im Wettbewerb zu bestehen. Ihr Bacon findet sich auch in britischen Kühlregalen. Wer mehr für Schweinefleisch aus heimischer Freilandhaltung bezahlen will, tut das bereits – etwa wenn er den Melton Mowbray Pork Pie aus der Valentinstagskollektion von M&S erwirbt. Wer „Bio“-Fleisch bevorzugt, greift noch tiefer in die Tasche. Allen anderen sollte ermöglicht werden, nicht mehr für landwirtschaftliche Produkte zu zahlen als den Weltmarktpreis.
(Börsen-Zeitung,