Handel mit Russland

Die schwierige Neujustierung der EU-Russland-Beziehung

In den ersten vier Monaten nach Kriegsausbruch hat Russland einen um mehr als 40 Mrd. Euro höheren Handelsüberschuss gegenüber der EU verbucht. Die Neujustierung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ist für die EU nicht ganz einfach, wie auch eine neue Studie zeigt.

Die schwierige Neujustierung der EU-Russland-Beziehung

Von Andreas Heitker, Brüssel

Dass der Krieg in der Ukraine auch eine Zäsur für die EU-Wirtschaftsbeziehungen zu Russland bedeutet und die Finanz- und Handelsströme zwischen beiden Seiten ganz grundsätzlich neu auf den Prüfstand stellt, ist bereits wenige Tage nach dem russischen Einmarsch klar geworden. Doch auch wenn Russland nicht zu den wichtigsten Handelspartnern der EU zählt – die Neujustierung ist alles andere als einfach, wie eine bislang unveröffentlichte Analyse der strukturellen Risiken durch die EU-Ratspräsidentschaft zeigt. Denn zu den nicht so schnell ersetzbaren Lieferungen fossiler Brennstoffe, die mehr als 80% der EU-Importe aus Russland ausmachen, kommt auch noch die Abhängigkeit von einzelnen Rohstoffen, bei denen Russland eine dominante Stellung einnimmt.

„Während die kurzfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft im Vergleich zum vorherigen Pandemieschock von geringerer Größenordnung zu sein scheinen, können die längerfristigen Folgen äußerst relevant sein“, heißt es daher in den Schlussfolgerungen der Studie. „Dies wird wahrscheinlich eine tiefgreifende strukturelle Anpassung erfordern.“

Russland stand bislang lediglich für 3% der gesamten EU-Einfuhren und 1,7% der Exporte. Die EU ist zugleich bei nur 1% ihrer Wertschöpfung direkt von russischen Vorleistungen abhängig. Russische Nachfrage steht für gerade einmal 0,7% der gesamten Produktion in der EU. Umgekehrt sind die Abhängigkeiten stärker: 7,4% der russischen Wertschöpfung sind von direkten Vorleistungen aus der EU abhängig, und die Nachfrage aus der EU absorbiert 9,4% der gesamten russischen Produktion. Keine andere Region ist für Russlands Wirtschaft so wichtig. China folgt erst an zweiter Stelle.

Eine andere Statistik, auf die die EU-Ratspräsidentschaft verweist, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Danach steht Russland bei 820 Produkten, die mehr als 15% der Gesamteinfuhren des Landes ausmachen, in strategischer Abhängigkeit von der EU. Und knapp 70% dieser Produkte haben nur ein geringes Diversifizierungspotenzial.

Für die Brüsseler Sanktionspolitik sind dies eigentlich hervorragende Voraussetzungen. Die EU-Abhängigkeiten von Russland fokussiert die Studie hingegen nur auf etwa zehn Produkte, insbesondere auf kritische Rohstoffe. Anteil an allen Importen: 0,2%. Allerdings hatte Russland bislang einen dominanten Anteil an EU-Rohstoffimporten, etwa bei Nickel, Phosphatstein, Palladium, Kupfer oder Selenium. Der geringe Importanteil trügt daher. Experten erwarten zudem, dass der Krieg bei Rohstoffen wie Magnesium und Tellur zu Lieferproblemen führen könnte, zum Teil auch bei Cadmium.

Seit Ausbruch der Krieges ist das Handelsvolumen der EU mit Russland in fast allen Bereichen stark rückläufig. Viele Unternehmen haben sich mehr oder minder freiwillig zurückgezogen. Die sechs großen EU-Sanktionspakete haben ein Übriges bewirkt. Bei dem Vorhaben, die Abhängigkeiten zu verringern, hat sich die EU zunächst auf die Energieimporte konzentriert. Mitte Juni lagen die Gaslieferungen bei nur noch rund einem Drittel des Vorjahres. Die Ölimporte hatten sich halbiert, die Kohlelieferungen lagen ein Drittel unter Vorjahr. Dabei war das bereits beschlossene Einfuhrverbot von Öl und Kohle zu dieser Zeit noch gar nicht in Kraft.

Den sinkenden Mengen stehen allerdings deutlich gestiegene Preise gegenüber – bei nahezu allen Rohstoffen, aber vor allem natürlich bei den Energielieferungen. Der Ge­samtwert der EU-Importe aus Russland ist damit in den vier Monaten nach Kriegsausbruch um fast 25 Mrd. Euro im Vergleich zu 2021 gestiegen. Da die EU-Exporte nach Russland in dieser Zeit um 17,5 Mrd. Euro (etwa 50%) zurückgegangen sind, konnte der Kreml in den vier Monaten bis Mitte/Ende Juni einen um 42,5 Mrd. Euro höheren bilateralen Handelsüberschuss gegenüber der EU verbuchen als in den gleichen Monaten im vergangenen Jahr – eine Summe, die immerhin für 2,7% des jährlichen Bruttoinlandsprodukts Russlands steht. „Dies dürfte ein treibender Faktor für die Stärkung des Rubels sein“, heißt es in der Analyse der EU-Ratspräsidentschaft.

Auch im Bereich der finanziellen Engagements und Direktinvestitionen werden seit der Invasion Russlands in der Ukraine die Beziehungen neu und auf einem deutlich niedrigeren Level ausgerichtet. Bislang waren EU-Investoren mit knapp 308 Mrd. Euro in Russland engagiert, was knapp 2% des russischen Gesamtkapitalstocks entspricht. Es geht hier unter anderem um Beteiligungskapital, Aktien oder auch Anleihen. Auf der anderen Seite halten Russen in der EU nach derzeitigen Informationen Vermögenswerte von 461 Mrd. Euro (0,5% des EU-Kapitalstocks). Nach dem recht resoluten Vorgehen der EU gegen Oligarchen in den letzten Monaten dürften diese sich aktuell aber auf breiter Basis nur noch mit Exit-Optionen beschäftigen.

Russische Rohstoff-Macht
ProduktRuss. Anteil an EU-Importen (%) *Russ. Position unter Herkunftsländern
Nickel54,31
Phosphatstein40,71
Palladium37,41
Kupfer36,61
Selenium31,01
Pottasche23,33
Neon, Krypton, Xenon20,23
Rhodium15,33
Cadmium13,82
*) 2021Quelle: EU-RatspräsidentschaftBörsen-Zeitung
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