Die Stimmungsmacher sind gefordert
Chinas Parteiplenum
Die Stimmungsmacher sind gefordert
China steckt im atmosphärischen Tief. Ein Parteitag soll Abhilfe schaffen. Die Erfolgsaussichten sind aber gering.
Von Norbert Hellmann
In China steht in Kürze das sogenannte Dritte Parteiplenum an. Mit dieser Klausurtagung der politischen Führung und der Top-Funktionäre hat es eine besondere Bewandtnis. Die dritte von insgesamt sieben Plenarsitzungen im politischen Führungsjahreszyklus dient insbesondere wirtschafts- und sozialpolitischen Weichenstellungen, die in längerfristiger Perspektive Tragweite entfalten sollen. Es ist die Bühne, mit der die Partei ihre Impulsgeberrolle für Reform- und Öffnungsschritte zelebriert.
Ganz andere Atmosphäre
Über dreißig Jahre hinweg war das Dritte Plenum von einer Aura der Aufbruchsstimmung und entsprechend gespannter Erwartungshaltung in der Bevölkerung umweht. Diesmal sieht es etwas anders aus. Man stößt auf völlig veränderte atmosphärische Bedingungen. Angefangen hat es damit, dass die Parteiführung aus der ehernen Terminkalendertradition ausgebrochen ist und das im Herbst abzuhaltende Plenum mit neunmonatiger Verspätung ansetzt. Im Herbst, als Chinas Konjunktursorgen und Immobilienmarktprobleme das Finanzmarktklima und Wirtschaftsvertrauen im Krisenmodus hielten, schien Peking nicht willens oder in der Lage zu sein, eine neue programmatische Agenda vorzugeben.
Mittlerweile hat sich die Lage stabilisiert. Bei den Marktteilnehmern ist die Panik gewichen, eine bleierne Grundstimmung ist allerdings verblieben. Erstmals wird das Plenum von den Marktteilnehmern wie auch in der breiteren Bevölkerung nicht mit Vorschusslorbeeren, sondern resignativer Gleichgültigkeit bedacht. Der Glaube an einen Durchbruch in der Reform- und Öffnungsagenda ist schlichtweg nicht vorhanden.
Stolperstein
Man könnte die niedrige Erwartungshaltung als eine Chance für Peking ansehen, sich unaufgeregt ans Werk zu machen. Es gibt viel zu tun, was unter Staats- und Parteichef Xi Jinping nie angepackt wurde, allen voran Wirtschafts- und Sozialreformen struktureller Natur und eine marktorientiertere Ausrichtung des Kräfteverhältnisses zwischen staatlicher und privater Unternehmenswelten. Spätestens mit der Pandemie sind die Versäumnisse deutlich zum Vorschein gekommen. Die Kollateralschäden der Corona-Politik sind zu einem Stolperstein geworden, der Chinas Konjunkturerholungskräfte überfordert. Neben einer natürlichen zyklischen Abschwächung von Chinas Wachstumsdynamik nach drei Wirtschaftswunder-Jahrzehnten hat das sträflich vernachlässigte Angehen der Immobilienmarktkrise einen zusätzlichen Tribut gefordert.
Peking versucht seitdem konjunkturelle Missstände und ein so noch nie dagewesenes Tief im allgemeinen Verbraucher- und Anlegervertrauen im Troubleshooting-Modus anzugehen, ohne dass sich eine breitere planerische Linie erkennen lässt. Dem staatsverordneten Zweckoptimismus fehlt ein sozial- und wohlfahrtspolitischer Unterbau, an dem sich Arbeitnehmer und Verbraucher aufrichten und Zuversicht schöpfen können, härtere Zeiten zu überstehen.
Fehlende Stabilisatoren
Die kommunistische Parteiführung misstraut allerdings dem Wohlfahrtsstaat und setzt auf geballte Industriepolitik und die Zugkraft von öffentlichen Anlageinvestitionen, um die Wachstumskräfte auf Trab zu halten. Das mag reichen, um die Bremswirkung der Immobilienkrise rechnerisch zu kompensieren und das offizielle Wachstumsziel bei 5% gerade so einzuhalten. Was jedoch fehlt, sind die berühmten automatischen Stabilisatoren, die es den Verbrauchern erlauben, ihren Lebensstandard zu halten und das Konsumverhalten nicht drastisch zurückschrauben zu müssen.
Chance für Neuanfang
Will Peking den Grundstein für eine nachhaltige Erholung der Konsumkräfte und Binnennachfrage legen, ist sozialpolitisches Umdenken nötig. So gesehen bietet das Plenum die Chance, einen Neuanfang zu wagen, der Chinas Wirtschaftspolitik besser ausbalanciert und langfristig tragfähiger macht. Es fehlt jedoch die Zuversicht, dass die Partei tatsächlich bereit ist, neue Wege zu gehen. Sicherlich werden aus dem taktisch verzögerten Plenum neue Parolen für Chinas wirtschaftliche Zukunftssicherung resultieren, die aber herzlich wenig mit Reform und Öffnung zu tun haben.