Dilettantisches Schuldenmanagement des Bundes
Die Zinswende steht vor der Tür und anders als die politische Zeitenwende ist sie eine Wende mit Ansage. Private Schuldner haben sich darauf vorbereitet: Unternehmen ersetzten beispielsweise kurzfristige durch langlaufende Schuldtitel und die privaten Haushalte wählten beispielsweise bei Immobilienfinanzierungen deutlich längere Laufzeiten von 15 und mehr Jahren. Nur der deutsche Staat als Schuldner hat die vergangenen Jahre nicht genutzt, um angesichts historisch niedriger Zinsen – mit deutlich negativen Renditen selbst langlaufender Bundeswertpapiere – den Schuldenberg fiskalisch besser verdaulich zu machen. Dem Schuldner Deutschland, und damit dem deutschen Steuerzahler, wird dieses Versäumnis in den nächsten Jahren gewaltig auf die Füße fallen und den Finanzierungsspielraum im Staatshaushalt, zumal nach Rückkehr zur Schuldenbremse, erheblich einschränken.
Überwiegend Kurzläufer
Bis zur Pandemie, nämlich in den Jahren 2014 bis 2019, haben stabile Konjunktur und niedrige Zinsen ermöglicht, dass sich der Bund nicht neu verschulden musste. Die Kreditaufnahme diente lediglich der Anschlussfinanzierung fällig werdender Bundeswertpapiere. Während viele Länder diese Jahre nutzten, um die durchschnittliche Restlaufzeit ihrer Staatspapiere anzuheben, blieben der Bund und die für ihn emittierende Finanzagentur bei den Laufzeiten im alten Trott des Emissionskalenders. Betrugen die Restlaufzeiten beim Bund und im OECD-Durchschnitt 2009 noch jeweils gut sechs Jahre, waren es zehn Jahre später beim Bund knapp sieben Jahre, im OECD-Durchschnitt aber schon acht Jahre. Für deutlich längere Restlaufzeiten ihrer Staatsschuld als Deutschland entschieden sich vor allem Großbritannien (18 Jahre) sowie mit zehn und mehr Jahren Chile, Mexiko und Korea, aber auch Schweiz, Österreich, Irland, Lettland und Belgien. Mit gut acht Jahren rangierten auch Japan und Frankreich noch deutlich vor Deutschland. Übrigens hat Italien, vor drei Jahren noch gleichauf mit Deutschland bei den Restlaufzeiten, seither die niedrigen Renditen intensiv zu längeren Laufzeiten genutzt und auch 50-jährige Anleihen begeben, wohl ahnend, dass die Zeit enger Spreads in der Eurozone bald vorbei sein könnte.
Als sich in Deutschland der Finanzierungsbedarf im Pandemiejahr 2020 von ursprünglich geplanten Emissionen in Höhe von 216 Mrd. Euro auf mehr als 460 Mrd. Euro mehr als verdoppelte, nutzte der Bund überwiegend Bubills, das heißt unverzinsliche Schatzanweisungen des Bundes mit Laufzeiten von unter einem Jahr. Das Emissionsvolumen dieser Instrumente verdreifachte sich gegenüber der ursprünglichen Planung auf 181 Mrd. Euro. Zum Vergleich: 15-jährige Bundesanleihen wurden damals nur im Volumen von 15 Mrd. Euro, 30-jährige im Volumen von 13 Mrd. Euro emittiert. Das Bundesfinanzministerium klopfte sich für die Emission des „außerordentlich hohen Wertpapiervolumens zu günstigsten Konditionen“ (Monatsbericht Februar 2021) selbst auf die Schulter. Die volumengewichtete Durchschnittsrendite betrug minus 0,57 %. „Durch die erhöhte Neuverschuldung entstanden dem Bund bei isolierter Betrachtung des Jahres 2020 somit keine Zinskosten, sondern vielmehr Zinseinnahmen in beträchtlichem Ausmaß.“ Dem Agio bzw. Disagio sei Dank. Wegen der nominalen Untergrenze des Kupons von 0% vereinnahmte der Bund bei negativer Rendite hohe Agien. Im Jahr 2020 waren das 12 Mrd. Euro nach 6 Mrd. Euro im Jahr zuvor. Dieser Agio-Effekt sorgte dafür, dass die Zinslast der Bundesschulden von den 17 Mrd. Euro des Jahres 2018 über 12 Mrd. (2019), 6,5 Mrd. (2020) bis unter 4Mrd. im Jahr 2021 sank.
„Nach mir die Zinsflut“
Nicht erwähnt wurde in den Berichten des Finanzministeriums, dass diese Schulden erstens irgendwann zu tilgen sind und zweitens bis dahin bei steigenden Zinsen das Weiterwälzen teuer wird. Dies Erfahrung machen wir jetzt. Im laufenden Jahr dürfte die Zinslast schon wieder auf dem Niveau des Jahres 2018 liegen, für das kommende Jahr sind in der Haushaltsplanung schon Zinsausgaben von 30 Mrd. Euro berücksichtigt. Für die Jahre 2024 bis 2026 sind es aus heutiger Sicht jährlich zwischen 25 und 30 Mrd. Euro Zinskosten, doppelt so viel wie in der Finanzplanung des vorigen Jahres vorgesehen. Je nach Zinsentwicklung ist das noch nicht das Ende der Fahnenstange. Es sei daran erinnert, dass der bisherige „Bundesrekord“ der Zinszahlung im Jahr 1999 mit gut 43 Mrd. Euro erreicht wurde, damals freilich auf einen 36% niedrigeren Schuldenstand als heute. Damals mussten die Lasten aus der Finanzierung der Deutschen Einheit in einem Hochzinsumfeld refinanziert werden. Demnächst droht die Refinanzierung der Lasten aus Pandemie und Ukraine-Krieg ebenfalls in einem Hochzinsumfeld, wenn die Inflation nicht schnell unter Kontrolle kommt. Dann rächt sich, dass Finanzminister und Finanzagentur den Agio-Verlockungen erlagen und eine Finanzierungsstrategie fuhren nach dem Motto „nach mir die Zinsflut“.
Die Bundesregierungen unter Kanzlerin Angela Merkel und jetzt Olaf Scholz haben mit ihrer hemmungslosen Schuldenpolitik der vergangenen drei Jahre den nachfolgenden Generationen nicht nur eine riesige finanzielle Last auf die Schultern gesetzt. Sie beschweren diese Last jetzt auch noch dadurch, dass sie aus aktuellen Haushaltsgründen die Tilgungen nach hinten schieben und die mit dem Schuldenberg verbundenen Zinslasten zum Zusatzrisiko machen.
Ohne Fiscal Hedge
In den Jahren der Niedrigzinsen wurde der „fiscal hedge“ verpennt. Durch Emission sehr lang laufender oder „ewiger“ Anleihen würden der nächsten Generation zwar Schulden vererbt, aber wenigstens solche, die keine oder nur geringe Zinskosten verursachen. Ob eines solch miserablen Schuldenmanagements hätte man in der Industrie jeden CFO gefeuert. Der Bundesfinanzminister aber wurde Bundeskanzler.
c.doering@boersen-zeitung.de