Dreifache Zäsur
Bundesbankpräsident Jens Weidmann will nicht mehr. Zum Jahresende gibt er sein Amt auf – fast fünfeinhalb Jahre vor dem eigentlichen Ende seiner erst 2019 gestarteten zweiten Amtszeit. Wer Weidmann kennt, weiß, dass er sich die Entscheidung alles andere als leicht gemacht hat. Umso nachdenklicher muss sie stimmen – zumal zur jetzigen Zeit, mit der Rückkehr der Inflation. Weidmanns Demission bedeutet eine Zäsur für die Europäische Zentralbank (EZB), für die Euro-Geldpolitik und womöglich für die Europäische Währungsunion. Leider spricht aktuell wenig dafür, dass es eine Zäsur zum Besseren wird.
Frustration und Sorgen
Weidmann führt für seinen Rücktritt „persönliche Gründe“ ins Feld. Sicher mag da eine Rolle spielen, dass er sich mit nahe Mitte 50 fragt, was die Zukunft noch bringt – zumal, nachdem es im Jahr 2019 mit der Nachfolge von Ex-EZB-Präsident Mario Draghi nicht geklappt hat. Genauso sicher ist aber auch, dass die Gründe tiefer gehen und viel mit den Kämpfen im EZB-Rat der vergangenen Jahre zu tun haben. Weidmann stand mit seiner strikten Orientierung an Geldwertstabilität und der ordnungspolitischen Überzeugung oft allein im EZB-Rat und musste insbesondere von Draghi manche persönliche Verletzung einstecken. Das hat ihn wohl über die Jahre zermürbt. Jetzt verliert der EZB-Rat nicht nur einen respektablen Notenbanker, sondern auch einen exzellenten Ökonomen. Das ist auch äußerst bedenklich, weil es von diesem Schlag in dem Gremium ohnehin leider immer weniger gibt.
Wer Weidmanns Brief an die Bundesbankmitarbeiter liest, entdeckt aber schnell, dass es nicht nur Frustration über die Entwicklung der Geldpolitik in der Vergangenheit ist, die ihn aufgeben lässt, sondern gerade auch die Sorge vor der weiteren Entwicklung. Die EZB hat im Sommer eine neue geldpolitische Strategie verabschiedet, die Weidmann mitgetragen hat. Entscheidend ist aber, wie diese „gelebt“ wird, um ein Wort Weidmanns zu zitieren. Und da scheinen etwa trotz einer gegenteiligen Festlegung in der Strategie viele Euro-Notenbanker durchaus ein Überschießen des 2-Prozent-Inflationsziels nach Jahren darunter anstreben zu wollen. Ein solches Spiel mit der Inflation ist aber brandgefährlich – erst recht, wenn die Inflation nun unerwartet stark zurückkehrt und es zunehmend fraglich erscheint, ob das wirklich nur ein temporäres Phänomen ist.
EZB muss sich entscheiden
Auch der neue Zinsausblick (Forward Guidance), den der EZB-Rat – gegen unter anderem Weidmanns Stimme – aus dieser neuen Strategie abgeleitet hat und der Zinserhöhungen auf Jahre hinaus ausschließt, schießt definitiv über das Ziel hinaus. Unlängst hat selbst der Internationale Währungsfonds (IWF) ob des unsicheren Inflationsausblicks gewarnt, dass die Notenbanken zum Handeln bereit sein müssten. Das sollte auch der EZB Mahnung sein.
Zugleich steht der EZB-Rat kurzfristig vor zentralen Entscheidungen, weil das 1,85 Bill. Euro umfassende Corona-Notfallanleihekaufprogramm PEPP nach aktuellem Stand im März 2022 endet. Weidmann hat das PEPP in der Coronakrise mitgetragen und auch der großen Flexibilität bei den Käufen zugestimmt. Mit der wirtschaftlichen Erholung ist es jetzt aber höchste Zeit, aus dem absoluten Krisenmodus auszusteigen und eine Normalisierung der Geldpolitik anzugehen. Tatsächlich aber wollen viele Euro-Notenbanker diese Flexibilität auf Dauer erhalten. In normalen Zeiten gelten aber andere Maßstäbe; sonst droht schnell Willkür.
Die EZB muss jetzt eine grundsätzliche Entscheidung treffen, ob sie sich weiter (oder wieder) als Zentralbank versteht, deren oberstes Ziel die Inflationsbekämpfung und der Erhalt der Preisstabilität ist, oder ob sie sich völlig und dauerhaft als Ausputzer für die Finanzmärkte und die Fiskalpolitik vereinnahmen lassen will. Jüngste Wortmeldungen verschiedener EZB-Granden und die strukturelle Mehrheit der „Tauben“ im EZB-Rat lassen da nichts Gutes erahnen.
Gleiches gilt für die Weichenstellungen, die auf europäischer Ebene anstehen. Eine stärker gemeinsame Fiskalpolitik kann richtig ausgestaltet ohne Frage Sinn machen. Es darf aber nicht der Weg in eine Schuldenunion beschritten werden, in der die EZB dann wohl auf Dauer bereitstehen müsste, in großem Stil Staatsanleihen zu kaufen.
Auf Berlin kommt es an
In all diesen Diskussionen wird Weidmann als Mahner künftig fehlen. Das ist mehr als bedauerlich. Mancher mag ihm da nun Fahnenflucht vorwerfen. Und ohne Frage ist es nicht von Vorteil, dass er sich nun am Ende doch einreiht in die Riege jener deutscher Notenbanker, die im Streit über die EZB-Politik vorzeitig aus dem Amt scheiden. Aber umgekehrt wird ein noch größerer Schuh daraus: Dass es der EZB-Führung auf Dauer nicht gelingt, die deutsche Position ausreichend mitzuberücksichtigen, ist ein Armutszeugnis. Für das angespannte Verhältnis zwischen der EZB und der deutschen Öffentlichkeit ist Weidmanns Abgang jedenfalls alles andere als förderlich.
Vieles hängt nun aber auch davon ab, wie die neue Bundesregierung reagiert. Dabei gilt es, sich ehrlich zu machen. Auch die deutsche Politik hat sich in den Krisen der vergangenen Jahre nur zu gerne hinter der EZB versteckt, um unliebsame politische Entscheidungen zu vermeiden. Dabei hat sie auch Weidmann oft im Regen stehen lassen – wie sie ihn auch nur mangelhaft unterstützt hat bei der Draghi-Nachfolge. Es wäre aber nun in jedem Fall ein schwerer Fehler, wenn durch die Weidmann-Nachfolge die Bundesbanktradition entscheidend geschleift und diese Stimme für eine stabilitätsorientierte Geldpolitik in Euroland verstummen würde.