London

Eigentor für die BBC-Führung

Der Streit um den ehemaligen Nationalstürmer Gary Lineker zeigt vor allem eines: Die Meinungsfreiheit steht in Großbritannien hoch im Kurs – auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Eigentor für die BBC-Führung

In einer Woche, in der an öffentlichen Krankenhäusern die Ärzte streikten und der Zusammenbruch einer Bank gerade noch abgewendet werden konnte, hat für viele britische Medien ein ganz anderes Thema im Vordergrund gestanden: ein Streit um Äußerungen von Gary Lineker (62), der sich im Nu zur Seifenoper entwickelte. Der ehemalige Nationalspieler moderiert für 1,35 Mill. Pfund im Jahr die BBC-Sportschau „Match of the Day“. Lineker engagiert sich seit dem Tod des syrischen Jungen Alan Kurdi im Mittelmeer sehr stark für Flüchtlinge. Er nahm 2020 einen Studenten aus Pakistan bei sich auf, der ihm von der Initiative Refugees at Home vermittelt wurde. 2021 zog ein zweiter Flüchtling vorübergehend bei ihm ein. Mit beiden steht er immer noch im Kontakt. Der öffentlich-rechtliche Sender suspendierte ihn, nachdem er über Twitter verkündet hatte, die Wortwahl der Regierung in Sachen illegale Zuwanderung sei der im Deutschland der 1930er Jahre üblichen Sprache nicht unähnlich. Die Äußerungen Linekers entsprächen nicht den Richtlinien der BBC für die Nutzung der sozialen Medien, begründete der Sender seine Entscheidung. Der konservative Generaldirektor Timothy Douglas Davie CBE, der die Regeln nach seinem Amtsantritt aufgestellt hatte, stand unter Zugzwang. Schließlich ist man in Teilen seiner Partei der Meinung, dass die Mitarbeiter der BBC keine Gelegenheit ungenutzt lassen, um den Tories eins auszuwischen.

Der Vorgang wurde zum spektakulären Eigentor. Andere Ex-Fußballer wie Alan Shearer, der für rund 450 000 Pfund im Jahr bei der BBC Spiele kommentiert, wollten aus Solidarität mit Lineker nicht für ihn einspringen. Der Sender konnte am Wochenende nur ein eingeschränktes Sportprogramm anbieten. Die mediale Nabelschau beschränkte sich nicht auf England, auch im kontinentaleuropäischen Feuilleton wurde sie aufgegriffen.

Was die ganze Affäre zeigt, ist der Stellenwert, den Meinungsfreiheit in Großbritannien immer noch hat. Die ehemalige Newsnight-Moderatorin Emily Maitlis monierte, dass Lineker zwar Fragen zur Menschenrechtslage in Katar stellen durfte, aber nicht zu den Menschenrechten in seinem eigenen Land. Mit Lineker solidarisierten sich nicht nur seine gut verdienenden Kollegen und die Labour-Vizechefin Angela Rayner, sondern auch viele, die seine Meinung nicht teilen. Denn es ging ums Prinzip. Der ehemalige ITV-Moderator Piers Morgan stellte sich ebenso hinter Lineker wie der ehemalige konservative Schatzkanzler George Osborne. „Persönlich bin ich der Meinung, dass die von manchen, nicht allen, Konservativen beim Thema Zuwanderung verwendete Sprache nicht akzeptabel ist“, sagte Osborne dem Sender Channel 4. Davie war am Ende gezwungen, Linekers Suspendierung aufzuheben. Zudem kündigte die BBC eine unabhängige Überprüfung der Richtlinien für soziale Medien an – auch was deren Gültigkeit für freie Mitarbeiter betrifft. Er freue sich, dass Lineker „Match of the Day“ wieder präsentiere, sagte Rishi Sunak. „Als Premierminister muss ich tun, was ich für richtig halte, und respektieren, dass nicht jeder immer zustimmen wird“, fügte er mit Blick auf das umstrittene Gesetz hinzu, das die illegale Zuwanderung über den Ärmelkanal stoppen soll. Lineker sei ein großartiger Fußballer gewesen. Er sei immer noch ein talentierter Moderator. Daran zeigt sich, dass sich der Streit nicht in ein simples Gut-Böse-Schema einsortieren lässt. Wichtig ist, dass das Prinzip (Meinungsfreiheit) Bestand hatte, obwohl die Institution (BBC) versagte.

Was den Inhalt von Linekers Aussagen angeht, hält man es vielleicht am besten mit dem Labour-Chef Keir Starmer, der über seinen Sprecher ausrichten ließ, dass Vergleiche mit Deutschland in den 1930er Jahren „nicht immer der beste Weg“ seien, um ein Argument zu belegen. „Mein Mann ist Jude“, sagte Innenministerin Suella Braverman, die Linekers historische Analogie persönlich verletzend fand. „Meine Kinder stammen deshalb direkt von Menschen ab, die während des Holocaust in Gaskammern ermordet wurden.“ Die Familien von Energieminister Grant Shapps und des für Zuwanderung zuständigen Staatssekretärs Robert Jenrick wurden ebenfalls von den Nazis verfolgt. Auch sie dürften wenig für flapsige historische Vergleiche übrig haben.

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