Ein Berater im besten Alter?
Der Blick in die Statistik zeigt es klar: Die geburtenstarken Jahrgänge nähern sich dem Ende ihres Erwerbslebens. Für viele Führungskräfte in Consulting-Häusern und Kanzleien gelten dabei jedoch andere Regeln. Einige haben in ihren Verträgen eine vorgezogene Altersgrenze, die vom gesetzlichen Rentenalter abweicht.
Das Thema ist sensibel, nicht alle Häuser sprechen öffentlich darüber. Dabei sind die grundsätzlichen Argumente klar: Kritiker verweisen auf den Verlust an Erfahrungswissen, wenn Führungskräfte aus Altersgründen ausscheiden, obwohl sie sich selbst noch gar nicht als angehende Ruheständler sehen. Wer dann selbstständig weitermacht oder zur Konkurrenz wechselt, nimmt schlimmstenfalls wertvolle Kundenkontakte mit. Kanzleien wie Linklaters und Pluta verzichten auf eine Altersbeschränkung.
Altersgrenze als „Generationenvertrag“
Befürworter begrüßen solche Regelungen als wirksames Mittel, um nachrückenden Kolleginnen und Kollegen den Aufstieg zu ermöglichen. Denn die begehrten Partnerplätze sind begrenzt – und High Potentials, die fürchten, auf absehbare Zeit nicht zum Zuge zu kommen, verliert man womöglich an Wettbewerber. Das Beratungshaus EY sieht seine Altersgrenze von 62 Jahren daher auch als „Generationenvertrag, der es jüngeren Mitarbeitenden ermöglicht, in die Partnerschaft entwickelt zu werden“. Die Altersgrenze werde regelmäßig überprüft, sei aber in den vergangenen Jahren nicht angepasst worden, teilt das Unternehmen mit.
Auch Deloitte hat eine Altersgrenze: Partnerinnen und Partner könnten „altersbegrenzt unterschiedliche Rollen und Aufgaben in der Kundenarbeit und als Führungskräfte übernehmen“, heißt es auf Anfrage. Nach dem Ausscheiden aus der Partnerrolle bestehe „in Einzelfällen die Möglichkeit, weiter für Deloitte tätig zu sein, zum Beispiel als externer Berater“. Bei wie vielen Lebensjahren diese Grenze greift, will Deloitte allerdings nicht verraten.
Das große Schweigen
Branchengrößen wie die Kanzlei Hengeler oder das Big-Four-Haus KPMG sprechen überhaupt nicht über das Thema. Aus dem Markt ist jedoch von Fällen zu hören, in denen KPMG die Altersgrenze auf 65 Jahre anheben wolle. Das Unternehmen selbst äußert sich dazu nicht.
Die Frage, wann genau eine Altersgrenze greifen sollte, ist brisant. „Die Verschiebung dieser gefühlten biologischen Grenze ist für meine Generation eine Riesen-Herausforderung“, sagt Restrukturierer Bernd Richter. Er wechselte im Herbst 2023 von EY zu der auf Restrukturierungen spezialisierten Kanzlei Pluta und ist dort nun Mitglied der Geschäftsführung.
Bei seinem vorherigen Arbeitgeber EY war er Ende Juni 2023 mit Erreichen der Altersgrenze von 62 Jahren ausgeschieden. „Das Datum steht im Partnerschaftsvertrag, darauf kann man sich gut einstellen“, sagt Richter. Er sieht deshalb keinen großen Druck, das System der Altersgrenzen radikal zu ändern, könnte sich aber vorstellen, dass diese tendenziell weiter nach hinten rücken.

Quelle: Pluta
Richter kann die Argumente für die Altersgrenze nachvollziehen. „Die Älteren dürfen nicht wie Korken auf der Flasche sitzen.“ Für ihn kam der Schritt in den Ruhestand mit 62 nicht in Frage, damit ist er nach eigenem Bekunden aber eher die Ausnahme. Viele Wegbegleiter hat er „eher erleichtert als bedrückt“ erlebt, als sie die Altersgrenze erreichten. Nach seiner Zeit als Partner im Bereich Strategy and Transactions bei EY ist Richter bei Pluta noch einmal in andere Aufgaben eingetaucht: „Manche Rollen, etwa als Chief Restructuring Officer oder Treuhänder, musste ich zu meiner EY-Zeit aus Compliance-Gründen ablehnen“, berichtet er. Die Bereitschaft, sich neu zu erfinden, ist aus seiner Sicht auch im späteren Karrierestadium die Voraussetzung für Erfolg.
Wir haben keine Altersgrenze, und wir brauchen auch keine.
Wolf Bussian, Deutschlandchef von A&O Shearman
Der Arbeitsrechtler Thomas Ubber, bekannt als regelmäßiger Berater der Deutschen Bahn in Streikfragen, ist kürzlich mit 63 Jahren bei A&O Shearman ausgestiegen, um noch einmal eine eigene Boutique zu gründen. Mit einer Altersgrenze habe dies aber nichts zu tun, betont A&O-Shearman-Deutschlandchef Wolf Bussian: „Wir haben keine Altersgrenze, und wir brauchen auch keine.“ Dennoch führt er regelmäßig Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, um die letzten Jahre der Karriere vorzubereiten: „Der Idealfall ist aus meiner Sicht, wenn wir drei Jahre für die Übergabe haben.“ Wenn Kolleginnen und Kollegen Ende 50 sind, spreche er das Thema daher erstmals an.
Für manche Betroffene sei dies der erste Impuls, überhaupt über die weitere Lebensplanung nachzudenken, sagt Bussian. Ihm ist es wichtig, die Vorstellungen der Partner zu kennen. „Ich würde aber nie Kolleginnen und Kollegen in die Rente drängen, die noch weiterarbeiten wollen“, betont er. Zumal auch die Kanzleien von ihren Seniors profitieren. Erfahrene Kollegen haben oft ein sehr belastbares, über Jahre gewachsenes Netzwerk. Manche Kanzleien, die eine Altersgrenze haben, binden altersbedingt ausscheidende Partner deshalb als Of Counsel weiter ein.
Neuer Abschnitt
Bussian setzt sich bei A&O Shearman auch bei Neueinstellungen keine Altersgrenze: „Wir haben schon Juristen an Bord geholt, die Mitte oder Ende 50 waren.“ Der heutige Leiter der deutschen Private-Equity-Praxis, Nils Koffka, kam beispielsweise 2018 zu A&O Shearman, mit damals 55 Jahren. „Wer 25 Jahre im Beruf ist, hat eine tolle Mandantenbindung, das ist ein echtes Asset“, sagt Bussian.

Foto: A&O Shearman
Auch das Beratungshaus EY betont, ehemalige Partner hätten „in der Regel sehr gute Aussichten, nach ihrem Ausscheiden aus der Partnerschaft in andere Beschäftigungsverhältnisse einzutreten“. Einige arbeiteten als freiberufliche Berater weiter oder engagierten sich in Aufsichtsräten und Beiräten. Den Kontakt zu manchen Ehemaligen will auch EY nicht ganz verlieren und verweist auf „ein Programm, durch das einige ehemalige Partner noch für eine Übergangszeit als Senior Partner Emeritus mit EY verbunden bleiben und ihre langjährigen Erfahrungen und ihr Netzwerk einbringen“.
Unangenehme Diskussionen
Allerdings sind in großen Organisationen nicht alle Senior-Positionen gleich ausgerichtet. „Zwischenmenschliche Kontakte umzuhängen ist deutlich schwieriger, als eine Aufgabe neu zu verteilen“, sagt der frühere Unternehmensberater Richter. Den Wert jedes Partners und jeder Partnerin individuell zu bemessen, führe schnell zu unangenehmen Diskussionen – „das umgeht man ein Stück weit, wenn man eine feste Altersgrenze hat“.
Bei A&O Shearman, das aus der Fusion von Allen & Overy mit der US-basierten Kanzlei Shearman & Sterling hervorgegangen ist, sind Bussian zufolge weltweit etwa 40 Partner älter als 60 Jahre. Das liege auch daran, dass Altersgrenzen in den USA eher unüblich sind. Doch auch in Deutschland sieht er das Thema im Wandel. „Mein Eindruck ist, dass in unserer Branche die Flexibilität steigt und wir vielfältiger werden, auch in der Altersstruktur der Partner“, sagt er. „Solange jemand einen guten Job macht, fände ich es auch absurd, die Person allein aus Altersgründen rauszunehmen.“
Meinen Gestaltungswillen habe ich ja nicht mit 62 Jahren abgeschaltet.
Bernd Richter, Mitglied der Geschäftsführung bei Pluta
Restrukturierungsberater Richter hat sich auch deshalb für einen Wechsel zu Pluta entschieden, weil es dort keine starre Altersgrenze gibt. „Meinen Gestaltungswillen habe ich ja nicht mit 62 Jahren abgeschaltet“, erklärt er. In Altersfragen orientiert er sich derzeit an Kanzleigründer Michael Pluta: „Er wird dieses Jahr 75 Jahre alt – das ist eine gute nächste Haltestation.“