Im BlickfeldDer Yen und die Finanzmärkte

Ein Damoklesschwert namens Yen-Carry-Trade

Der Rückzug aus Zinsdifferenzgeschäften mit Japans Währung und seine Folgen könnten den Finanzmärkten noch eine Weile zu schaffen machen.

Ein Damoklesschwert namens Yen-Carry-Trade

Ein Damoklesschwert namens Yen-Carry-Trade

Der Rückzug aus Zinsdifferenzgeschäften mit Japans Währung könnte den Finanzmärkten noch eine Weile zu schaffen machen.

Von Martin Fritz, Tokio

Ein Gespenst geht um an den Finanzmärkten – die Carry Trades in Yen. Die massenhafte Auflösung dieser Zinsdifferenzgeschäfte zwischen der japanischen Währung sowie dem US-Dollar und verschiedenen Schwellenländerdevisen gilt als die Hauptursache für die heftigen Kursverluste bei US-Technologieaktien und japanischen Aktien vor einer Woche.

Ein starkes Indiz dafür: Der Wechselkurs von Dollar/Yen korrelierte stark mit US-Technologie- und insbesondere Chipaktien. Eine beliebte Variante des Carry Trades bestand denn auch darin, einen günstigen Yen-Kredit aufzunehmen und das Kapital in US-Wachstumsaktien wie Nvidia zu investieren. Aber diese Trader finanzierten auf diese Weise auch Anleihen mit hohen Kupons aus Mexiko und Brasilien.

Zinsschritt als Explosionsfunken

Die eigentliche Ursache für die sprunghafte gestiegene Volatilität vor rund einer Woche war denn auch die kräftige Aufwertung des Yen seit Anfang Juli um rund 11%. Dadurch baute sich langsam Druck im Kessel auf, dann erhöhte die Bank of Japan am 31. Juli den Leitzins auf 0,25% und kündigte überraschend weitere Zinsschritte an. Das war der Funken, der die Explosion auslöste.

Zusätzlichen Brennstoff lieferten wenig überzeugende Quartalszahlen von Tech-Aktien und die schwachen US-Arbeitsmarktzahlen. Als Folge dieser Gemengelage schrumpfte die Renditedifferenz zwischen Staatsanleihen in Japan und den USA, was den Dollar schwächte und den Yen stärkte.

Gehebelte Wetten gegen Yen

Die heftigen Einbrüche an den Finanzmärkten hängen laut Hedgefonds-Beobachter Pivotal Path mit Hedgefonds-Strategien zusammen, die teils über Derivate gehebelt auf eine fortgesetzte Yen-Abwertung setzten. Die plötzliche Aufwertung der japanischen Währung hätte diesen Fonds im August einen Verlust von 1,5% bis 2,5% beschert.

„Wenn Hedgefonds mit Hebeln arbeiten und vielleicht Derivate im Spiel sind, dann bekommt man eine ziemlich starke Reaktion“, sagte Kathy Jones, Chefstrategin für festverzinsliche Wertpapiere bei Schwab, gegenüber Bloomberg. Ihre blitzartigen Verkäufe entzogen den Märkten schlagartig viel Liquidität, die Kurse brachen über Gebühr ein.

Uneinigkeit der Analysten

Nun stellen sich viele Analysten und Investoren die Frage, ob der schwarze Montag in Tokio das reinigende Gewitter war, auf das nun wieder eitel Sonnenschein folgt. Oder hängen die verbliebenen Yen-Carry-Trades womöglich noch als Damoklesschwert über den Märkten? Denn niemand weiß, wie groß das Volumen dieser Geschäfte ist und zu welchem Grad sie bereits abgebaut sind.

Nach einer Schätzung von Global Data TS Lombard, die auf der Summe neuer japanischer Auslandskredite seit Ende 2022 basiert, wurden bis zu 1,1 Bill. Dollar mit Yen-Carry-Krediten aufgenommen. Ein weiterer Anhaltspunkt: Die Auslandskredite japanischer Banken wuchsen in den zwei Jahren bis Ende März um 21% auf rund 1 Bill. Dollar. Ein Großteil der Yen-Kredite lief dabei über den Interbankenmarkt, den Investoren oft benutzen.

J.P. Morgan Chase schätzt, dass inzwischen drei Viertel der Carry-Positionen aufgelöst wurden. Citigroup hält die Gefahr eines neuerlichen Crashs durch diese Geschäfte sogar für ganz gebannt. Dagegen meinte Ulf Lindahl, CEO des Beratungsunternehmens Currency Research Associates, kurz nach dem Crash, die meisten Kredite seien noch nicht abgewickelt worden. „Viele glauben, dass es sich nur um eine normale Korrektur handelt“, sagte Lindahl. Die Investmentbank BNY sagt sogar eine Aufwertung der japanischen Währung um weitere 30% auf bis 100 Yen je Dollar vorher.

Immerhin glättete der Vizegouverneur der Bank of Japan, Shinichi Uchida, am vergangenen Mittwoch die Wogen, als er versicherte, man werde keine weiteren Zinsschritte unternehmen, solange die Märkte so volatil seien. Wer jetzt noch Yen-Kredite hält und damit US-Aktien oder Schwellenmarktanleihen finanziert hat, kann nun Kurserholungen abwarten und den Yen-Kredit zu einem günstigeren Wechselkurs zurückzahlen. So hatten Anleger mit Yen-finanzierten Geschäften in einem Korb von acht Schwellenländerwährungen nach einer Kalkulation von Bloomberg in diesem Jahr bis Anfang Juli, als die japanische Regierung am Devisenmarkt gegen den starken Yen intervenierte, eine Gesamtrendite von knapp über 17% erzielt. Durch die Aufwertung des Yen bis Anfang August büßten diese Anleger diesen Gewinn jedoch komplett wieder ein. Inzwischen hat der Yen wieder nachgegeben, damit lägen sie wieder im Plus.

Ms. Watanabe spielt mit

Ein unbekannter Faktor sind die japanischen Anleger. Ms. Watanabe, wie die oft weiblichen Privatanleger in Japan heißen, spekulierte in den zwei Jahrzehnten der Nullzinspolitik immer wieder mit ausländischen Währungen, die höhere Renditen als der Yen versprachen, weil ein Yen-Sparkonto nur 0,001% Zinsen einbrachte. Offiziellen Daten zufolge floss dank gefördertem Wertpapiersparen viel privates Anlagekapital aus Japan in US-Aktien.

Diese Anleger kaufen US-Wertpapiere in der Regel zwar nicht auf Kredit, aber angesichts ihrer hohen Buchgewinne durch die Yen-Abwertung geraten sie nun in Versuchung, ihre US-Papiere zu verkaufen. Sollte dies massenhaft geschehen, würde ebenfalls die eigene Währung gestärkt und durch den Entzug dieser Liquidität eine neue Verkaufsspirale ausgelöst. Dagegen werden große japanische Vermögensverwalter, darunter der weltgrößte staatliche Pensionsfonds Government Pension Investment Fund (GPIF), ihre US-Aktien nicht plötzlich abstoßen. Sie handeln langfristig und vermeiden, mit ihren Transaktionen die Kurse zu beeinflussen.

Ernstzunehmende Zinswende

Aller Voraussicht nach ist das Aus für die Yen-Carry-Trades keine temporäre Angelegenheit. Mit ihrer ultralockeren Geldpolitik ab April 2013 schwächte Japans Notenbank gezielt und erfolgreich die eigene Währung, um die Gewinne der heimischen Großkonzerne zu stützen. Aber inzwischen sind die Nebenwirkungen zu groß geworden: Der schwache Yen trieb die Importpreise hoch und trübte dabei die Konsumlaune, außerdem wird die erwünsche Einwanderung von Ausländern gebremst, da sie bei einem niedrigen Wechselkurs in Japan nicht gut verdienen können.

Diese negativen Effekte sind ein wichtiger Grund, warum die Bank of Japan (BoJ) ihre Geldpolitik normalisiert und die Zinsen erhöht. Diese Entwicklung könnte weiter gehen, als es sich viele Investoren heute ausmalen mögen. So prognostiziert der deutsche Aktienstratege Jesper Koll, seit vier Jahrzehnten in Japan aktiv, dass nach der Taylor-Regel der Leitzins in Japan eigentlich auf 1,75% bis 2% steigen müsste. „Der Aufwertungszyklus des Yen wird BoJ-Gouverneur Kazuo Ueda nicht daran hindern, bis Ende 2025 einen normalen Zinssatz zu erreichen“, sagt Koll vorher. Damit wären die Yen-Carry-Trades endgültig Geschichte.

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