Unterm Strich

Energie­politische Geisterfahrer

Staatliche Preisdeckel für Gas oder Strom setzen falsche Anreize. Besser sind direkte Hilfen für stark betroffene Unternehmen und bedürftige private Haushalte.

Energie­politische Geisterfahrer

Warum es einen Unterschied macht, eine Bäckerei oder ein Atomkraftwerk in den Reservebetrieb zu schicken, weiß nun auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Dass die steile Lernkurve des Ministers, die ihm selbst Wirtschaftsführer bis vor kurzem anerkennend bescheinigten, zuletzt an die Volatilität des Gaspreises erinnerte – sei’s drum. Schließlich hat die Bundesregierung die Leitung des Wirtschaftsministeriums einer der führenden Wirtschaftsnationen der Welt nicht einem Ökonomen, sondern einem promovierten Literaturwissenschaftler und Schriftsteller anvertraut. In Zeiten brummender Konjunktur und sprudelnder Steuereinnahmen mag es auch kein Schaden sein, wenn sich der Wirtschaftsminister vor allem mit der Verteilung des Wohlstands beschäftigt oder sich mehr seinem zweiten Ministerhut, dem Klimaschutz, zuwendet. In Krisenzeiten freilich sind Wissen um Wirtschaftskreisläufe, Marktabhängigkeiten und volkswirtschaftliche Zusammenhänge gefragt und außerdem eine ruhige Hand im politischen Tagesgeschäft.

Beides lässt Habeck derzeit vermissen. Mit Verve stürzt er sich ins Mikromanagement – von Gasumlage über Energiepreisdeckel bis AKW-Reserve –, verkündet Entlastungspakete und verspricht Rettungsschirme. Ohne die Wechselwirkungen all dieser Entscheidungen im Blick zu haben – kennen er und seine Ministerialbürokratie sie überhaupt? –, reguliert der Wirtschaftsminister munter drauf los, das populistische Gespür ist sein Kompass. Den Steuerzahlern irgendwann zu erklären, dass die zig Milliarden der Entlastungspakete für die Bürger und die Kosten der Energiepreisdämpfungsprogramme für Handwerk und Industrie am Ende sie selbst tragen müssen, wird dann Aufgabe des Bundesfinanzministers in späteren Legislaturperioden sein. Der darf dann über die Versäumnisse der Vorgängerregierung ablästern, wie jüngst Habeck im Bundestag über die Energiepolitik der großen Koalition.

Merit-Order-Prinzip

Wer unterm Strich Nutznießer oder Finanzier dieser riesigen staatlichen Umverteilung sein wird, bleibt offen. Und deshalb melden sich derzeit alle denkbaren Anspruchsgruppen beziehungsweise deren Lobbyisten im Kampf um das größte Stück vom Subventionskuchen. Wählerpotenzial und mediale Lautstärke entscheiden solche Kämpfe, die wirtschaftliche Vernunft bleibt auf der Strecke. Die gewünschte Wirkung des staatlichen Eingriffs in den Markt wird teuer erkauft, weil sich Fehlanreize, Mitnahmeeffekte und Missbrauch selten vermeiden lassen. Beispiele dafür kennt jeder aus seinem persönlichen Umfeld, von der Solarförderung bis zum E-Auto-Zuschuss.

Zweifelsohne verlangen be­sondere Zeiten oder exogene Schocks wie der Krieg besondere Maßnahmen, die so in keinem Lehrbuch stehen. Doch es gibt Erfahrungen und Reaktionsmuster, die auch in Krisenzeiten gelten. Deswegen ist es aberwitzig, in einer Zeit von Energieverknappung und Energiepreisexplosion das Angebot aus ideologischen Gründen noch weiter zu schrumpfen, sprich funktionsfähige Kernkraftwerke vom Netz zu nehmen. Wer den Energiemarkt und die dort herrschende Preisbildung nach dem Merit-Order-Prinzip kennt – und das sollte auch ein ökonomisch nicht vorgebildeter Wirtschaftsminister draufhaben –, muss vor allem dafür sorgen, dass Stromerzeuger und Kraftwerke mit niedrigen variablen Kosten zum Einsatz kommen. Dazu zählen zuvorderst erneuerbare Energien, aber auch Atomkraftwerke, die längst abgeschrieben sind. Bestimmt wird der Strompreis freilich vom Anbieter mit den höchsten Grenzkosten, der noch zum Einsatz kommt, um die Nachfrage vollständig zu befriedigen. Das waren und sind aktuell die Gaskraftwerke. Insofern outete sich Minister Habeck als energiepolitischer Geisterfahrer, als er behauptete, Deutschland habe ein Gasproblem, aber kein Stromproblem.

Zu hohe Gewinne?

Das Gasproblem ist eben auch ein Stromproblem und lässt sich nur lösen, wenn entweder so viel zusätzliche Stromerzeugungskapazität geschaffen wird, dass man zur Stromproduktion keine beziehungsweise nur in Ausnahmefällen noch Gaskraftwerke benötigt, oder die Stromproduktion der Gaskraftwerke subventioniert wird. Letzteres hat jedoch den Nachteil, durch verbilligte Preise falsche Marktanreize zu setzen und die fossile Stromproduktion zulasten der erneuerbaren Energien zu fördern. Die vom Preisdeckel begeisterten EU-Energieminister sollten auf die Iberische Halbinsel schauen: Die Deckelung des Gaspreises in Spanien und Portugal seit Juni hat zwar auch den Strompreisanstieg gebremst, aber den Gasverbrauch verdreifacht.

Verschärft würden die negativen Folgen, wenn zusätzlich zum Preisdeckel auch noch eine „Übergewinn“-Steuer oder neuerdings „Zufallsgewinn“-Abgabe für jene Energieerzeuger eingeführt würde, die bei den aktuellen Strom-, Gas- oder Ölpreisen überdurchschnittlich hohe Gewinne einfahren. Unabhängig davon, dass sich solche Windfall Profits schwer messen lassen und voraussichtlich eher von fiskalischen Begehrlichkeiten definiert werden, schadet eine Unterscheidung in „gute“ geplante und „schlechte“ zufällige Gewinne dem Investitionsstandort. Bestraft würden jene Unternehmen, die vorausschauend rechtzeitig auf erneuerbare Energien mit niedrigen variablen Kosten gesetzt haben und nun die Marge zur Verzinsung ihrer bisherigen Investitionen benötigen beziehungsweise als Kapitalstock für weitere Investitionen.

Soll die Politik tatenlos zusehen, wie explodierende Energiepreise Deutschland deindustrialisieren und die Verbraucher verarmen? Gewiss nicht. Aber ansetzen sollten die Hilfen der Politik direkt bei den am stärksten betroffenen und in ihrer Existenz bedrohten Unternehmen. Hilfen mit der Gießkanne oder Eingriffe in den Markt und die Preisbildung sind ineffizient und selten zielführend.

c.doering@boersen-zeitung.de