LeitartikelGeldpolitik

Flexibilität zum Nulltarif für die EZB

Durch die Oktober-Zinssenkung kann die EZB in Zukunft leichter auf die verschiedenen Unwägbarkeiten reagieren. Die Risiken durch diese Lockerung sind sehr gering, anders als bei weiteren Zinsschritten in der Zukunft.

Flexibilität zum Nulltarif für die EZB

Flexibilität zum Nulltarif

Durch die Oktober-Zinssenkung kann die EZB in Zukunft leichter auf die verschiedenen Unwägbarkeiten reagieren.

EZB

Von Martin Pirkl

In nur wenigen Wochen hat sich die Meinung vieler EZB-Räte geändert. Statt einer Zinspause wie noch im September in Aussicht gestellt haben die Notenbanker am Donnerstag eine weitere Lockerung der Geldpolitik verkündet. Die vielfach von der EZB betonte Datenabhängigkeit kann eigentlich nicht der einzige Auslöser für den Sinneswandel in der Notenbank gewesen sein. Denn in den vergangenen Wochen hat sich bei den Wirtschaftsdaten nichts Dramatisches getan.

Gewiss, der Rückgang der Inflation im Euroraum auf 1,7% im September und damit unter den Zielwert der EZB sieht auf den ersten Blick spektakulär aus. Doch erwarten Ökonomen und auch die Notenbanker selbst, dass dies nicht nachhaltig so bleiben wird. Ab spätestens November dürfte die Inflation wieder anziehen. Außerdem weicht die Höhe des Rückgangs im September nur wenig von den aktuellen Projektionen der EZB ab. Die Inflationsdaten taugen als Begründung für ein schnelleres Zinstempo also nicht.

Die Fed ist die eigentliche Überraschung

Überzeugender ist der Blick auf die jüngsten Konjunkturindikatoren. Diese deuten nämlich darauf hin, dass die EZB trotz mehrmaliger Revision ihrer Prognosen in diesem Jahr beim Wirtschaftswachstum weiterhin zu optimistisch sein könnte. Der vielfach herbeigeredete baldige Aufschwung des privaten Konsums durch die Reallohngewinne lässt jedenfalls weiter auf sich warten. Auch von der Industrie sind wohl keine größeren Wachstumsimpulse in der näheren Zukunft zu erwarten. Darauf deuten unter anderem die jüngsten Befragungen unter Einkaufsmanagern hin, die Ökonomen als guten Frühindikator für die wirtschaftliche Entwicklung betrachten.

Doch auch hier gilt, dass die Daten eigentlich nicht so stark von den Erwartungen abgewichen sind, dass die EZB deshalb einen anderen geldpolitischen Kurs umsetzen müsste. Vielleicht hat ja auch die Fed zum Umdenken bei den Währungshütern der Eurozone beigetragen. Die Zinssenkung der US-Notenbank um 50 statt 25 Basispunkte ist die eigentlich überraschende Wirtschaftsnachricht in den vergangenen fünf Wochen gewesen.

Wenig Risiko

Die Geldpolitik der Fed an sich sollte für die EZB kein Grund sein, einen Strategiewechsel vorzunehmen. Aber natürlich hat das Handeln der wichtigsten Notenbank der Welt Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Inflationsdaten im Euroraum, anhand derer die EZB ihre Geldpolitik steuert. Eine Zinspause der EZB, nachdem die Fed um 50 Basispunkte gelockert hat, hätte zu einer Aufwertung des Euro geführt. Für die ohnehin schon schwächelnde und exportorientierte Euro-Industrie wäre das eine zusätzliche Belastung gewesen.

Relevanter ist jedoch etwas anderes. Die Risiken der Zinssenkung im Oktober sind für die EZB sehr gering. Denn auch nach diesem Schritt wirkt die Geldpolitik zweifelsohne restriktiv. Eine Lockerung ist in diesem Kontext anhand der Fortschritte bei der Disinflation und der schwachen Euro-Konjunktur vertretbar. Zumal die EZB die von den Finanzmärkten fest eingepreiste Zinssenkung im Dezember ausfallen lassen kann, wenn sich die Daten bis dahin nicht wie gewünscht entwickeln. Dann wäre der Einlagensatz zum Jahresende auf demselben Niveau, als hätte die EZB wie zwischenzeitlich anvisiert erst im Dezember nach einer Zinspause im Oktober gesenkt.

Mehr Optionen

So hat sie aber die Option, schneller den Bereich der restriktiven Geldpolitik zu verlassen, wenn dies nötig sein sollte. Etwa bei einer noch schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung. Ansonsten hätte sie dafür womöglich einen großen Zinsschritt gebraucht. Damit sollten Notenbanker aber allein angesichts der psychologischen Wirkung vorsichtig umgehen.

Vorsichtig sollte auch das Stichwort für die weitere Geldpolitik sein. Denn die Aufwärtsrisiken für die Inflation sind zahlreich. Strafzölle im Falle eines Wahlsiegs von Donald Trump, die Auswirkungen des chinesischen Konjunkturpakets, eine weitere Eskalation im Nahen Osten oder die Lohnentwicklung könnten den Inflationsdruck verstärken. Doch auch nach der Oktober-Zinssenkung muss sich die EZB nicht unbedingt zeitnah von einer restriktiven Geldpolitik verabschieden.


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