Für Kamala Harris ist die Arbeit noch nicht getan
US-Wahlkampf
Für Harris ist die Arbeit nicht getan
Kamala Harris kann die erste US-Präsidentin werden, muss aber ihre politischen Positionen deutlicher artikulieren.
Von Peter De Thier
In dem Monat seit Joe Bidens Ausstieg aus dem Rennen um die Präsidentschaft hat sich in der US-Politik der perfekte Sturm zusammengebraut. Dem Höhenflug der Senkrechtstarterin Kamala Harris scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Auf nationaler Ebene liegt sie relativ deutlich vor ihrem republikanischen Gegner Donald Trump. Auch hat sie in sogenannten „Swing States“ wie Michigan, Wisconsin und Pennsylvania in mehreren Umfragen die Nase vorn. Der Vorsprung dürfte nach dem demokratischen Nominierungskonvent weiter wachsen.
So zeichneten in Chicago Redner aus allen Lebensbereichen düstere Bilder, sollte der Republikaner Donald Trump ein zweites Mal ins Weiße Haus kommen. Gleichzeitig strahlten sie angesichts der positiven Energie, die Harris der Präsidentschaftskampagne eingeflößt hat, einen Optimismus aus, den die Partei zuletzt vor 16 Jahren erlebt hatte. Damals eroberte ein junger Senator namens Barack Obama die Herzen der Amerikaner und feierte später einen Erdrutschsieg gegen den Republikaner John McCain.
Verzweiflung bei den Republikanern
Gleichzeitig wächst bei den Republikanern die Verzweiflung über ihren undisziplinierten Spitzenkandidaten Trump. Ein republikanischer Stratege meinte kürzlich, Trump erleide seit Wochen vor einem weltweiten Publikum „einen öffentlichen Nervenzusammenbruch“. Der ehemalige Präsident wütet und schlägt mit Lügen sowie persönlichen Beleidigungen um sich. Die dringlichen Appelle seiner Berater, auf persönliche Angriffe zu verzichten und sich stattdessen auf handfeste Themen zu konzentrieren, hat Trump bisher ignoriert.
Dazu zählen die hartnäckige Inflation, die Immigrantenkrise und der Krieg in der Ukraine. Zwar ist die amtierende Vizepräsidentin Harris weder an dem einen noch dem anderen schuld. Die Inflation war in erster Linie eine Folge der globalen Lieferkettenstörungen während der Corona-Pandemie. Zudem ist der russische Angriffskrieg ein Auswuchs von Wladimir Putins hegemonialen Bestrebungen, nicht sicherheitspolitischer Versäumnisse des Gespanns Biden-Harris.
Trump verzichtet im Wahlkampf auf politische Inhalte
Und was illegale Immigranten angeht, ist deren Zahl zurückgegangen, seitdem Biden und seine Nummer 2 Harris im Amt sind. Das aber tut nichts zur Sache. In der US-Politik gilt nämlich die unerschütterliche Devise: Wer gerade die Regierungsgeschäfte führt, muss in den Augen der Wähler für alle Probleme und Krisen geradestehen, die unter seiner Ägide aufgetreten sind oder sich zugespitzt haben. So gesehen könnte Trump durchaus effektiv zum Angriff blasen und seine demokratische Gegnerin in die Defensive bringen.
Doch der Republikaner tut das Gegenteil. Konkrete politische Inhalte kommen bei Trumps wirren Auftritten kaum zum Zuge. Er überschüttet stattdessen seine Rivalin mit bitteren persönlichen Angriffen, die jeder faktischen Grundlage entbehren. Harris hat bisher souverän reagiert und kontert – ohne Trump beim Namen zu nennen – mit dem nüchternen Hinweis darauf, dass ihr Gegner ein vorbestrafter Betrüger ist. Der aggressive Schlagabtausch lässt für die kritische Schlussphase des schmutzigsten Wahlkampfs aller Zeiten nichts Gutes ahnen.
Knappes Rennen
Doch das Rennen bleibt knapp, und für Harris ist die Arbeit längst nicht getan. In zweieinhalb Wochen wird sie Trump in einem TV-Duell gegenüberstehen, das wahlentscheidend sein könnte. Da wird sie die Chance haben, sämtliche Schwachstellen ihres Gegners bloßzulegen. Daran zu erinnern, dass Trump ein Straftäter ist, dass er einen blutigen Aufstand angezettelt hat und dass während seiner Amtszeit mehr als eine Million Amerikaner am Coronavirus starben.
Noch wichtiger ist aber, dass die Vizepräsidentin die Alternativen, die sie bietet, konkretisiert. Dass sie ihre Pläne zur Bekämpfung der hohen Preise, zu der Lösung der Immigrantenkrise, der Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und dem Umgang mit den Kriegen in der Ukraine und Nahost noch deutlicher als bisher artikuliert. Gelingt der 59-Jährigen das, dann hat sie gute Chancen, im November als erste Frau in das mächtigste Amt der Welt gewählt zu werden.