Game Over für den kleinen Mann
Aktionärsrechte
Game Over für den kleinen Mann
Die Abwanderung von US-Kapitalgesellschaften aus Delaware droht zu einer massiven Übervorteilung von Minderheitsaktionären zu führen.
Von Alex Wehnert
In Elon Musks Amerika müssen sich Minderheitsaktionäre darauf einstellen, dass ihre Stimme bald weitaus weniger Gewicht hat. Denn der Tesla-Chef hat mit der Verschiebung der Eintragung des E-Autobauers als Kapitalgesellschaft vom Bundesstaat Delaware nach Texas im vergangenen Jahr vorgeführt, was inzwischen viele andere Unternehmen nachmachen: Passt dir nicht, dass sich deine Anteilseigner auch vor Gericht gegen Eskapaden von Management und Direktoren wehren, dann zieh doch einfach in einen CEO-freundlicheren Rechtsraum um.
Nevada und Texas wittern Chancen
Zwar ist Delaware aufgrund günstiger Steuerregelungen seit jeher eine Bastion für Unternehmen. Doch strikte Regeln für Unternehmen mit dominanten Investoren sorgen bei Gründern sowie Private-Equity- und Venture-Capital-Gesellschaften schon länger für Frust. Staaten wie Nevada und Texas wittern darin nun Chancen, mit einer laxeren Auslegung des Aktionärsrechts Unternehmen anzuziehen. Einen Präzedenzfall schuf Musk, der Anfang 2024 gegen Delaware zu wüten begann. Eine dortige Richterin hatte nach Aktionärsklage ein bis zu 56 Mrd. Dollar schweres Vergütungspaket für den Unternehmer gekippt.
Der streitbare Milliardär setzte seinen Miteigentümern bei der Hauptversammlung 2024 daher die Pistole auf die Brust: Entweder sie stimmten für eine Wiederherstellung seines Kompensationsplans und einen Umzug der Inkorporierung nach Texas, oder Musk werde KI- und Robotik-Anwendungen künftig andernorts entwickeln. Statt den Bluff des vermeintlichen Visionärs auffliegen zu lassen, votierten die eingeschüchterten Aktionäre für Musks willkürliche Initiativen. Damit stellten sie dem Skandal-CEO einen Freifahrtschein aus und bereiteten den Boden für seine politische Kampagne, in deren Zuge er sich so viel direkten Einfluss in Washington gesichert hat wie wohl kein nicht gewählter Privatmann vor ihm.
Weg führt in die Kleptokratie
Während sich die USA unter dem Einfluss Musks in eine Kleptokratie zu verwandeln drohen, bemühen sich auch zahlreiche andere Unternehmen, den Einfluss ihrer Minderheitsaktionäre zu begrenzen und diese damit zu stummen Dividendenempfängern zu degradieren. Meta Platforms erwägt wohl ebenfalls eine Verschiebung der Eintragung als Kapitalgesellschaft aus Delaware. Der Filehosting-Dienst Dropbox hat den Umzug ihrer Inkorporierung bereits offiziell angekündigt – Tripadvisor hat einen solchen Schritt zuletzt sogar vor Gericht durchgeboxt.
Für die Eintragung der Touristikplattform als Kapitalgesellschaft in Nevada hatten lediglich 5% der Anteilseigner gestimmt. Großaktionäre erzwangen diese aber mittels ihres Übergewichts an Stimmrechten. Minderheitseigner klagten darauf, weil sie durch den Abgang aus Delaware zu ihren Lasten unmäßige Vorteile für Mitglieder des Verwaltungsrats fürchteten, und hatten damit vor einem Ermessensgericht Erfolg. Doch die Direktoren zogen vor das Oberste Gericht Delawares, das sich in einer unmöglichen Position befand. Eine Bestätigung des Urteils aus vorheriger Instanz hätte schließlich die offizielle Feststellung bedeutet, dass die Gesetze des Ostküstenstaates einen höheren Shareholder Value beinhalten als die anderer Rechtsräume – und damit politische Konflikte programmiert. Tripadvisor darf deshalb ohne Strafzahlungen nach Nevada ziehen.
Anteilseigner müssen jetzt handeln
Diese Entwicklungen sind für Minderheitsaktionäre entmutigend. Doch umso mehr müssen sie im Laufe der Hauptversammlungssaison für ihre Interessen eintreten. Die Aktionärsdemokratie lebt auch in Amerika von Beteiligung. Dies bedeutet, sich gegen die egoistischen Interessen dominanter Shareholder wie Musk aufzulehnen – Social Media bietet dabei Möglichkeiten, für ein gemeinsames Vorgehen zu werben. Wall-Street-Foren auf Reddit, in denen Nutzer häufig aberwitzige Aktientipps teilen, können so einem sinnvollen Zweck dienen. Auch der Rechtsweg bleibt eine Option, wie der Fall Tesla zeigt – schließlich schmetterte die Richterin in Delaware Musks Vergütungspaket im Dezember zum zweiten Mal ab. Allerdings gilt es, jetzt Zeichen zu setzen, bevor Amerika zu weit in die Kleptokratie abgedriftet ist. Sonst heißt es Game Over für den Kleinaktionär.