Gewaltiger Energiehunger von KI treibt ESG-Investoren um
Unersättlicher Hunger nach Energie
Die Tech-Riesen investieren Milliarden in den Ausbau ihrer KI-Rechenzentren. Der Boom zieht einen gewaltig steigenden Ressourcenverbrauch nach sich.
Von Alex Wehnert, New York
In Mount Pleasant im US-Bundesstaat Wisconsin ist Land derzeit stark nachgefragt. Ende Juli hat der Technologieriese Microsoft dort einmal mehr zugeschlagen und sich für nahezu 34 Mill. Dollar etwas mehr als 70 Hektar Land in der 26.000-Seelen-Gemeinde gesichert. Der Deal folgt auf Zukäufe zahlreicher weiterer nahe gelegener Parzellen im Racine County – in dem Landkreis zeigt sich das Wettrüsten der Technologiekonzerne um die Vormachtstellung bei künstlicher Intelligenz ganz plastisch.
Denn dort entsteht eines der vielen neuen Rechenzentren, mit denen die Microsoft-Cloud-Sparte Azure die gewaltigen Mengen an Daten und Computing-Leistung zur Verfügung stellen will, die Technologieschmieden wie der ChatGPT-Entwickler OpenAI zum Training ihrer großen Sprachmodelle benötigen. Doch mit der Nachfrage nach technologischer Infrastruktur steigt auch der Bedarf an Ressourcen exorbitant.
Die Internationale Energieagentur schätzt, dass sich der Elektrizitätsverbrauch auf KI ausgerichteter Datenzentren 2026 auf 90 Terawattstunden belaufen wird – 2022 lag er noch bei sechs Terawattstunden. Hinzu komme der Verbrauch in traditionellen Datenzentren, der von 345 auf 576 Terawattstunden steigen werde. Die Entwicklung wirft bei Verbraucherschützern allerdings die Frage auf, woher die Elektrizitätsmengen kommen sollen. Die Tech-Riesen selbst geben eine nach Ansicht vieler Marktteilnehmer beunruhigende Antwort: aus Kernenergie.
Fokus auf Kernkraft
Rund ein Drittel der Betreiber von US-Atomkraftwerken führt mit Cloud-Konzernen derzeit Gespräche über Liefervereinbarungen für Strom, der den KI-Boom antreiben soll. Amazon Web Services steht laut Insidern vor einem Deal mit Constellation Energy, durch den das Unternehmen Elektrizität direkt aus einer Nuklearanlage an der Ostküste beziehen soll. Im März hatte sich AWS bereits für 650 Mill. Dollar ein mit Kernenergie betriebenes Datenzentrum in Pennsylvania gesichert. Der Trend treibt im laufenden Jahr auch das Interesse der Aktieninvestoren an lange vernachlässigten US-Versorgern.
Die Befürchtung von Nachhaltigkeitsinvestoren: Die Tech-Riesen verzichten damit nicht nur selbst darauf, den Ausbau grüner Energien anzukurbeln – sondern entziehen dem gesamten Netz stabile Ressourcen, die durch fossile Energieträger wie Erdgas ersetzt werden. Laut Climate Action Against Disinformation, einem Zusammenschluss von Umweltschutzgruppen, könnte der KI-Boom die globalen Treibhausgasemissionen um 80% antreiben. Verbraucherinitiativen fürchten zudem steigende Strompreise.
Höhere Effizienz durch Innovation
Fürsprecher der Technologie halten dem entgegen, dass eine voranschreitende technologische Innovation den Energiebedarf deutlich drücken könnte. Die aktuellen Hopper-Grafikprozessoren von Nvidia seien bereits 25- bis 30-mal effizienter als vorherige Chipgenerationen und würden von angekündigten neuen Halbleitern auf Basis der sogenannten Blackwell-Infrastruktur noch weit in den Schatten gestellt. Auch neue Softwareentwicklungen spielen laut Nvidia eine Rolle für den Energiebedarf, Sprachmodelle wie jene von OpenAI sollen künftig auf spezifischere Funktionen zugeschnitten sein und damit weniger Strom verbrauchen. Zudem könne KI traditionelle Computing-Aufgaben effektiver erledigen, wodurch sich ein positiver Substitutionseffekt ergebe.
Allerdings gilt das Ausmaß des KI-Booms trotz Prognosen wie jener der Internationalen Energieagentur als schwer abzuschätzen, das Volumen der Kapitalaufwendungen von Big Tech übertraf die Erwartungen der Wall Street im abgelaufenen Quartal weit. Der Anteil von Amazon, Microsoft, Alphabet, Apple, Meta Platforms, Nvidia und Tesla an den Investitionsausgaben im S&P 500 belief sich bereits 2023 auf 18%. Vor zehn Jahren lag die Quote bei 5%. Analysten betonen mit Verweis auf die Pläne der Management-Teams, dass die Anteile im laufenden Jahr noch deutlich höher ausfallen dürften.
Aggressive Manager
Bank of America sagte bereits im Frühjahr vorher, dass sich die Investitionsausgaben großer Cloud-Dienstleister 2024 auf 180 Mrd. Dollar belaufen werden – an der Wall Street raunen einige Stimmen, dass das US-Geldhaus die Prognose wohl nach oben korrigieren muss. Zudem sind neben den börsennotierten Tech-Riesen private, auf KI spezialisierte Cloud-Anbieter wie Coreweave aktiv, die sich zuletzt großvolumige Finanzierungen von Private-Equity-Gesellschaften um Blackstone gesichert haben.
Auf den Vorstandsetagen im Silicon Valley geben sich die Manager jedenfalls aggressiv. In einer Marktsituation wie der aktuellen sei „zu wenig zu investieren ein dramatisch größeres Risiko als überzuinvestieren“, betonte Alphabet-CEO Sundar Pichai jüngst. Amazon-Chef Andy Jassy will nach eigenen Aussagen trotz bereits großvolumiger Investitionen „noch mehr Kapazität“, während Microsoft-Finanzchefin Amy Hood betont, die massiv anziehenden Aufwendungen für KI- und Cloud-Infrastruktur sollten „die Monetarisierung über die kommenden 15 Jahre und darüber hinaus stützen“.
Verschärfte Wasserknappheit
Doch nicht nur die Explosion des Stromverbrauchs bereitet Umweltschützern Sorgen. Die Tech-Riesen benötigen auch deutlich mehr Wasser, um ihre Datenzentren zu kühlen. Rechenzentren seien „der zehntgrößte Wasserverbraucher in den USA, und ChatGPT ‚trinkt‘ alle 40 Anfragen einen Liter“, kommentiert ESG-Stratege Alex Kusen von der Deka.
Der Tech-Sektor trage damit dazu bei, dass der weltweite Wasserbedarf das Bevölkerungswachstum heute um das 1,7-Fache übersteige. Wasser werde damit zur wertvollsten, knappsten Ressource aller Zeiten. Nachhaltigkeitsinvestoren hoffen nun, dass sich der Durst der Tech-Riesen und ihr Hunger nach Strom tatsächlich durch Innovation stillen lassen.