Grün, nachhaltig – und bewaffnet?
Assetmanagement
Grün, nachhaltig – und bewaffnet?
Die ESG-Debatte zeigt: Nachhaltigkeit ist nicht nur grün, sondern auch geopolitisch – Rüstungsinvestitionen werden zur neuen Realität nachhaltiger Fonds.
Von Wolf Brandes
Das Wort Zielkonflikt trägt bereits eine militärische Konnotation in sich. Waffen richten sich auf Ziele, die sie zerstören sollen. Doch der Begriff beschreibt auch eine der heißesten Debatten im Assetmanagement: Darf, soll oder muss ein nachhaltiger Fonds in Rüstungsaktien investieren? Bis vor wenigen Jahren war diese Frage undenkbar. Nachhaltige Fonds, die sich ESG-Kriterien verpflichtet fühlten, vermieden Rüstungstitel. Insbesondere geächtete Waffensysteme wie Streubomben oder chemische Waffen galten als unvereinbar mit nachhaltigen Anlagestrategien. Doch diese Haltung ändert sich rasant.
Seit Beginn des Ukraine-Krieges 2022 hat sich die Wahrnehmung von Rüstung innerhalb der ESG-Debatte grundlegend verschoben. Laut einer Analyse stieg der Wert von Rüstungsaktien in Fonds von rund 3 Mrd. Euro im ersten Quartal 2022 auf knapp 8 Mrd. Euro bis zum dritten Quartal 2024. Neben wachsenden Kursen großer Verteidigungsunternehmen spiegelt diese Entwicklung eine Neubewertung wider: Die Sicherheit eines Landes und seiner Bevölkerung wird zunehmend als soziale Verantwortung betrachtet – und damit als legitimer Bestandteil der ESG-Kriterien. Die Verteidigungsbudgets vieler Länder steigen erheblich – Deutschland plant beispielsweise, ab 2028 jährlich 30 Mrd. Euro zusätzlich für seine Streitkräfte auszugeben.
Von der Ächtung zur Akzeptanz
Die Europäische Union treibt diese Neubewertung voran. Die ESG-Kriterien, einst primär auf Umwelt- und Sozialaspekte fokussiert, erfahren eine Erweiterung. Rüstungsgüter werden nicht mehr per se als unethisch betrachtet, sondern unter dem Aspekt der Verteidigung und Friedenssicherung neu bewertet. Auch große Assetmanager wie die DWS folgen dieser Neubewertung, setzen jedoch weiterhin differenzierte Anlagebeschränkungen für ESG-Fonds mit hohen Nachhaltigkeitspräferenzen um.
Branchenverbände – darunter der BVI – einigten sich darauf, dass ESG-Fonds nun auch in konventionelle Waffenhersteller investieren dürfen, sofern keine völkerrechtlich geächteten Waffen produziert werden. Dies folgt der Logik: Ohne Sicherheit keine Nachhaltigkeit – eine Argumentation, die von mehr Menschen im Assetmanagement vertreten wird.
Verteidigungsfonds als Wachstumssegment
Die Öffnung von Fonds für Rüstungstitel ist keine theoretische Debatte – sie zeigt sich in konkreten Produkten. So hat die DekaBank mit dem Deka-Security & Defense Fonds ein neues Finanzprodukt geschaffen, das gezielt in Unternehmen aus den Bereichen Rüstung, IT-Sicherheit und kritische Infrastrukturen investiert. Einen ähnlichen Fonds gibt es von der LBBW. Seit einiger Zeit gibt es ETFs, die auf Verteidigungsunternehmen ausgerichtet sind, darunter etwa der iShares Global Aerospace & Defense ETF.
Sind Rüstungsinvestitionen Greenwashing?
Trotz der regulatorischen Verschiebung bleibt die ESG-Debatte kontrovers. Kritiker argumentieren, dass die Aufnahme von Rüstungstiteln in nachhaltige Fonds die ursprüngliche Idee von ESG verwässere. Klar ist: Kriege verursachen im großen Stil CO2-Emissionen. Eine Studie zeigt, dass die direkten Emissionen des Ukraine-Krieges binnen sieben Monaten 100 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente betrugen – vergleichbar mit den Gesamtemissionen der Niederlande im selben Zeitraum.
Organisationen wie Scientists for Global Responsibility weisen darauf hin, dass rund 5,5% der globalen Treibhausgasemissionen aus militärischen Aktivitäten stammen. Wären die Streitkräfte der Welt ein Land, wären sie nach China, den USA, Indien und Russland der fünftgrößte CO2-Emittent. Diese Zahlen unterstreichen den Konflikt zwischen Sicherheit und Umweltverantwortung. Investoren müssen sich entscheiden: Ist Verteidigung ein legitimer Bestandteil nachhaltiger Anlagestrategien, oder ist ESG eine Kategorie, die nur ohne Rüstungsindustrie glaubwürdig bleibt?
Eine Debatte ohne klare Gewinner
Die Diskussion über ESG-Investments in Rüstung muss geführt werden. ESG ist längst kein einseitig grünes Konzept mehr – es wird geopolitischer und wirtschaftlicher gedacht als je zuvor. Die Entscheidung liegt letztlich bei den Anlegern.