Auf Schienen über die letzte Meile
Notiert in Frankfurt
Auf Schienen über die letzte Meile
Von Lutz Knappmann
Wer ein paar Tage in der tschechischen Hauptstadt Prag verbringt, lernt schnell, dass die Straßenbahn dort gegenüber dem Auto das erheblich zuverlässigere Fortbewegungsmittel ist. Ein dichtes Liniennetz führt Einwohner und Touristenmassen an den chronisch verstopften Autospuren vorbei ans Ziel, eng getaktet und bis tief in die Nacht. Gleichberechtigt bestreiten dort Exemplare aller erdenklichen Tram-Generationen den täglichen Nahverkehr, vom modernen und stromlinienförmigen Hightech-Zug bis zum viele Jahrzehnte alten Modell aus sozialistischer Produktion. Kein Wunder, dass die Prager Straßenbahnen längst selbst so etwas wie eine Attraktion in der Stadt geworden sind.
Ganz so abwechslungsreich ist das aktive Frankfurter Straßenbahn-Portfolio zwar nicht. Doch das für die Main-Metropole gleichermaßen unersetzbare Verkehrsmittel ist zumindest vorübergehend um eine ungewöhnliche Variante reicher: Im Rahmen eines Forschungsprogramms zur „Last Mile Tram“ transportiert derzeit eine knallgrüne Güterbahn Pakete des Onlinehändlers Amazon von der Haltestelle am Stadion bis zur Station „Zoo“ in der Innenstadt. Von dort aus werden die Päckchen und Pakete dann mit elektrischen Lastenrädern zu den Empfängern weitertransportiert.
Ziel des auf einen Monat angelegten Tests, für den die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main mit der Frankfurt University of Applied Sciences und mit Amazon kooperiert, ist die Senkung des CO2-Ausstoßes bei der Paketauslieferung. Schließlich dieseln bislang tagtäglich endlose Transporterkolonnen von den Paketzentren der Logistikdienste am Stadtrand quer durchs Stadtgebiet, um die Menschen mit Elektronik, Kleidung und generell allem, was sich in einer Pappkiste verstauen lässt, zu versorgen. Diese „Letzte Meile“ soll, geht es nach den Initiatoren des Projekts, langfristig von rein elektrisch betriebenen Transportmitteln absolviert werden. Und was liegt da näher, als neben E-Bikes und Elektro-Kleintransportern auch das weitverzweigte Straßenbahnnetz der Metropole in die Pläne mit einzubeziehen. Der Modellversuch soll den Beteiligten nun wichtige Erkenntnisse liefern, unter welchen Voraussetzungen ein solches Angebot Sinn ergibt.
An der Frankfurter Bevölkerung jedenfalls wird es kaum scheitern. Schließlich beweist die nicht nur im täglichen Berufsverkehr ihre Sympathie für die Tram. Als sich vor ein paar Tagen auf dem zentralen Willy-Brandt-Platz 26 Straßenbahnfahrer-Teams aus ganz Europa zur Tram-EM trafen, verfolgten Tausende Menschen die ungewöhnlichen Wettbewerbe live. Möglichst ruckfreies Anfahren, punktgenaues Bremsen und Straßenbahn-Billard sind nur drei der Disziplinen, in denen die Tram-Profis gegeneinander antraten – und die allesamt darauf abzielen, im realen Betrieb einen möglichst komfortablen Service für die Passagiere zu bieten. Und in absehbarer Zeit vielleicht auch immer häufiger für Pakete.