Im BlickfeldZahl der Delistings steigt rasant

Halali zum Rückzug von der Börse

Am Mittwoch endet die Börsengeschichte der Metro. Mit dem Delisting folgt der Handelskonzern dem seit Jahren zu beobachtenden Trend zum Rückzug von der Börse.

Halali zum Rückzug von der Börse

Im Blickfeld

Halali zum Rückzug von der Börse

Dass der Kurszettel Jahr für Jahr kürzer wird, liegt an der wachsenden Zahl an Delistings. Sie sind 2024 explosionsartig gestiegen. Dahinter stecken vielfältige Ursachen.

Von Annette Becker, Köln

Am Mittwoch um Mitternacht endet die Börsengeschichte des Handelskonzerns Metro. Dann läuft das Delisting-Erwerbsangebot an die freien Aktionäre aus und die Börsennotierung des einstigen Dax-Werts endet. Doch Metro ist kein Einzelfall. Ende März hatte die spanische Grifols den wenigen noch verbliebenen Biotest-Aktionären ebenfalls ein Delisting-Erwerbsangebot angekündigt. Schon zuvor, am 11. März, hatte der in der Sanierung steckende Batteriehersteller Varta sein Dasein als börsennotierte Aktiengesellschaft beendet.

Weitere Delistings zeichnen sich ab. So verhandelt Gerresheimer mit Finanzinvestoren über ein Übernahmeangebot – es sollte wundern, wenn es bei einer Einigung über den Angebotspreis am Ende nicht auch zu einem Delisting käme. Der Hersteller von Spezialverpackungen für die Kosmetik- und Pharmaindustrie hatte sich mit einer Gewinnwarnung im vorigen Herbst, dem ein brutaler Kursabsturz folgte, angreifbar gemacht. Auch für Ceconomy, die Obergesellschaft der Elektronikhandelsketten Media Markt und Saturn, könnten die Tage an der Börse gezählt sein. Hier gibt es Übernahmeinteresse seitens der chinesischen JD.com.

20 Delistingangebote

Die Entwicklung reiht sich in einen seit Jahren bestehenden Trend ein: Der Kurszettel an Deutschlands Börsen wird immer kürzer. Das liegt zum einen am verhaltenen IPO-Geschehen hierzulande, zum anderen aber auch an der wachsenden Zahl an Delistings. 2024 billigte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 32 öffentliche Übernahmeangebote, wie aus dem jüngsten Public M&A Report der Kanzlei Noerr hervorgeht. Es war der zweithöchste Wert seit 2014 und ein Plus von elf Angeboten gegenüber dem Vorjahr.

Hinter der signifikanten Steigerung standen in erster Linie Delistingangebote. Sie erhöhten sich von acht auf 20. Bei 14 dieser Angebote handelte es sich um reine Delistingangebote, in sechs Fällen war das Angebot mit einer Übernahmeofferte kombiniert. Noch augenfälliger ist allerdings, dass es im vorigen Jahr kein Erwerbsangebot gab, das nicht auch mit einem Rückzug der Gesellschaft von der Börse verknüpft war.

Großaktionären ist Tür rund Tor geöffnet.

Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer DSW

Nach Ansicht von Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), ist die Häufung mehr als Zufall. Der Grund: das Zweite Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG II). Das Gesetz fiel am Ende zwar dem Aus der Ampel-Regierung zum Opfer. Es hätte jedoch das Potenzial besessen, die faktische Wehrlosigkeit der freien Aktionäre, die unter den gegenwärtigen Bedingungen vorherrscht, zu ändern, ist Tüngler überzeugt. Gemäß dem Gesetzesvorschlag wäre es den Aktionären künftig zumindest möglich gewesen, via Spruchverfahren die Angemessenheit des Angebotspreises überprüfen zu lassen.

Von daher war Eile für rückzugswillige Unternehmen geboten, denn bislang muss nur der volumengewichtete Durchschnittskurs der vergangenen sechs Monate vor Ankündigung der Delisting-Offerte als Barabfindung geboten werden. „Damit ist Großaktionären Tür und Tor geöffnet, wenn Aktienmarktturbulenzen über einen längeren Zeitraum andauern oder unternehmensspezifische Ursachen den Kurs längere Zeit bremsen“, sagt Tüngler.

Liquiditätsmangel

Noerr-Partner Julian Schulze De la Cruz kann dagegen keinen Zusammenhang zwischen der wachsenden Zahl an Delistings mit dem ZuFinG II erkennen. Nach seiner Einschätzung ist die mangelnde Liquidität jenseits des Dax40 das Kernproblem. „Kleine Impulse reichen, um eine Aktie in den Keller zu schicken. Das ist der eigentliche Grund für die zahlreichen Delistings“, sagt der Co-Leiter der Praxisgruppe Kapitalmarktrecht von Noerr.

Das Problem betrifft jedoch nicht nur den deutschen Markt. „Der Kapitalmarkt in Deutschland und Europa trocknet aus“, resümiert Schulze De la Cruz und verweist auf Schweden, das lange als leuchtendes Beispiel für einen funktionierenden Kapitalmarkt galt und nun ebenfalls mit dem Problem konfrontiert sei. „Das liegt an der Größe“, sagt Schulze De la Cruz und schlussfolgert: „Um das zu ändern, brauchen wir die Kapitalmarktunion.“

Der vermehrte Rückzug der Unternehmen von der Börse muss aber nicht nur Berater, Banken und Börsen aufschrecken, sondern auch die Politik. Offensichtlich kommt die Börse ihrer volkswirtschaftlichen Funktion, Unternehmen und Anleger für Investitionszwecke zusammenzubringen, nicht mehr nach. Das ist gerade mit Blick auf die anstehenden Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Energiewende verheerend.

Der Fall Rocket Internet

Allerdings dürften auch schlechte Erfahrungen, die Aktionäre machen mussten, das Vertrauen in Aktieninvestitionen geschädigt haben. Als schillerndes Negativbeispiels gilt der Fall Rocket Internet. Dort hatten die Samwer-Brüder als Großaktionäre mit einem Delisting-Erwerbsangebot, das lediglich dem Mindestpreis entsprach und weit vom inneren Wert der Aktie entfernt war, die übrigen Aktionäre ausgebootet. Der Fall Metro scheint ähnlich gelagert, wenngleich Großaktionär Daniel Křetínský eine Prämie auf den Durchschnittskurs offeriert hat. Faktisch nutzt auch er den tief gefallenen Aktienkurs, um den Streubesitz mit geringem finanziellen Aufwand loszuwerden.

Zwar steht es jedem Aktionär theoretisch frei, seine Aktien in ein Delisting-Angebot einzureichen. Doch wer die Offerte ausschlägt, hält am Ende ein illiquides Wertpapier in Händen. Mit diesem Problem sind nicht nur Kleinaktionäre konfrontiert. Viele institutionelle Investoren müssen das Angebot annehmen, weil sie nur Aktien halten dürfen, die an einem regulierten Börsenplatz notieren. Da für ein Delisting-Angebot nur unter besonderen Umständen eine Unternehmensbewertung vorgenommen werden muss, verwundert es wenig, dass Großaktionäre inzwischen häufig auf den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags (BGAV) verzichten. Dafür wäre nämlich ein auf der Unternehmensbewertung basierendes Angebot abzugeben.

ETFs als Problem

Sowohl der hinter Metro stehende Großaktionär als auch Adnoc bei Covestro haben in ihren Angeboten explizit darauf abgestellt, keinen Beherrschungsvertrag abzuschließen. Ziel solcher Ankündigungen ist es, etwaigen Spekulationen auf eine Nachbesserung der Offerte von Beginn an den Boden zu entziehen.

Ein weiteres Problem ist mit der wachsenden Zahl an ETFs verknüpft: „Passive Fonds verschärfen das Liquiditätsproblem an den Aktienmärkten, weil sie nur reagieren können“, weiß Schulze De la Cruz. Zugleich führt die geringe Liquidität auch dazu, dass die Börse als Exit-Weg für Finanzinvestoren an Attraktivität erheblich eingebüßt hat. Der Grund: Der zeitlich gestreckte Abverkauf, den Private Equity-Investoren mit einem Börsengang beabsichtigen, lässt sich angesichts der schwachen Kursentwicklung vielfach nicht realisieren.

Der Fall Douglas

Als Paradebeispiel mag in dieser Hinsicht Douglas gelten. Seit dem IPO im März 2024 hat die Aktie mehr als 60% an Wert eingebüßt und vereitelt dem Großaktionär CVC somit den weiteren Abverkauf. Da sich die Investoren auf Zeit über kurz oder lang zurückziehen müssen, bleibt als Alternative nur das Delisting und der Versuch, die Gesellschaft anderweitig zu veräußern.

An Beispielen für dieses Vorgehen mangelt es nicht, gedacht sei nur an Vantage Towers oder die Deutsche Familienversicherung.

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