Londons Angestellte bleiben dem Office fern
Londons Büroangestellte bleiben dem Office fern
Firmen geben überschüssige Flächen auf. Vermieter verlieren Preisgestaltungsmacht.
Von Andreas Hippin, London
Die Pandemie ist schon lange vorbei, aber die Rückkehr an den Arbeitsplatz hat in Londons Bürotürmen nicht im erwarteten Maße stattgefunden. Das mag daran liegen, dass sich angesichts eines leergefegten Arbeitsmarkts die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer vergrößert hat. Viele haben sich an das Leben im Homeoffice gewöhnt. Neue Technologien haben es wesentlich erleichtert. Die Zahlen der Bahngesellschaften sprechen eine klare Sprache. Das monatliche Passagieraufkommen von Southeastern, Southwestern Railways und Govia Thameslink Richtung Stadtzentrum ist im Vergleich zu den vor der Ausbreitung von Sars-CoV-2 üblichen Werten um ein Drittel zurückgegangen. Das sind 22 Millionen Passagiere weniger.
Weniger Zugverbindungen
Die Bahnbetreiber reagieren darauf mit einem reduzierten Angebot. Das führt in den Stoßzeiten zu überfüllten Zügen, was die Rückkehr an den Schreibtisch noch unattraktiver macht – von den Ausfällen durch die nicht enden wollenden Streiks einmal ganz abgesehen. Jüngere Angestellte sind eher bereit zur Rückkehr. Wer nicht zurück will, kommt nicht mehr Tage zurück, als er muss. Dem Centre for Cities zufolge haben drei von vier Firmen ihre Mitarbeiter angewiesen, mindestens einen Tag die Woche im Büro zu verbringen. Ein Viertel komme häufiger.
"Wir beobachten, dass die Leute dienstags, mittwochs und donnerstags pendeln", sagt Angie Doll, die Chefin von Govia Thameslink Railway, vor dem Verkehrsausschuss des Stadtparlaments. "Dieses Muster hat sich völlig verfestigt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das wieder ändert." Während der Pandemie hätten die Leute das Arbeiten von zu Hause in einem Maße eingeführt, das sie nie für möglich gehalten hätten. Zwei Jahre danach habe sich daran nichts geändert.
Nur noch drei Tage im Büro
Die Auslastung der U-Bahn bewegt sich bei 85% des Vor-Corona-Niveaus. Die US-Investmentbank Jefferies hat die Fahrten zu und von großen U-Bahnstationen in der City of London und dem West End an Werktagen während der Stoßzeiten unter die Lupe genommen. Auch sie kommen zu dem Schluss, dass Dienstag, Mittwoch und Donnerstag die Tage mit der größten Aktivität sind. Das trifft nicht nur die zahllosen Dienstleister der Angestellten, die Coffeeshops, Imbisse, Pubs und Textilreiniger. Wenn Firmen überschüssige Büroflächen reduzieren, um ihre Betriebskosten zu senken, trüben sich auch die Geschäftsaussichten der Vermieter ein.
Abwanderung aus Canary Wharf
HSBC wird 2027 ihre weltweite Zentrale verlegen. Dann läuft der Mietvertrag für den 45-stöckigen Wolkenkratzer im Bankenviertel Canary Wharf aus, in dem sie sich derzeit noch befindet. 20 Jahre lang war die britische Großbank dort ansässig. Angeblich will sie in die ehemalige BT-Zentrale in der City übersiedeln. Die "Magic Circle"-Kanzlei Clifford Chance wird 2028 von der Isle of Dogs in die Square Mile zurückkehren. Sie vereinbarte bereits im November vergangenen Jahres den Einzug in ein Bauprojekt der Immobiliengesellschaft Great Portland Estates, das im Dezember 2025 fertiggestellt werden soll. Auch die Ratingagentur Moody’s denkt über Alternativen zu Canary Wharf nach. Die Bürotürme aus den 1990er Jahren, die das Ambiente dort prägen, wirken wie eine Zukunftsvision von gestern. Mehr als drei Jahrzehnte nach dem Bau von One Canada Square, des Wolkenkratzers mit der pyramidenförmigen Spitze, macht sich die Finanzbranche auf den Weg zurück in die City. Der geringere Flächenbedarf macht das möglich.
Es war die Regierung von Margaret Thatcher, die einst die London Docklands Development Corporation ins Leben rief, um die brachliegenden Flächen im Londoner Osten einem neuen Zweck zuzuführen. Heute gehört die Canary Wharf Group dem kanadischen Finanzinvestor Brookfield Property Partners und dem Staatsfonds Qatar Investment Authority. Moody’s stufte die Schulden der Gruppe im Mai von "Ba1" auf "Ba3" herunter. Dabei verwiesen die Kreditanalysten darauf, dass 2024 und 2025 Schulden von mehr als 1,4 Mrd. Pfund fällig würden. Angesichts des schwierigen betrieblichen und finanziellen Umfelds werde die Gruppe bei der Entschuldung und Refinanzierung möglicherweise auf Assetverkäufe und die Unterstützung ihrer Anteilseigner angewiesen sein.
"Opfer der Technologie"
Jefferies vergleicht die Auswirkungen von "work from home" mit den Folgen des Online-Shoppings. "Der Einzelhandel war das erste Opfer der Technologie", schreibt Mike Prew, der Immobilienanalyst des Instituts. "Wir denken, Büros werden das nächste sein. Die Auslastung ist gesunken, und Vermieter verlieren Preisgestaltungsmacht, während Mieter überschüssige Flächen reduzieren." Der Leerstand in der britischen Metropole sei so hoch wie seit 30 Jahren. Im West End liege er bei 7%, in der City bei 10% und in Canary Wharf bei mehr als 20%. Der Kipppunkt, ab dem die Mieten sinken, liege in etwa bei 8%. Prew rechnet damit, dass die Mieten im West End um 5% und in der City of London um 15% zurückgehen werden. Die immer noch seltenen "grünen" Bürotürme bildeten eine Ausnahme. Die Kosten für die Anpassung älterer Objekte an grüne Standards steigen unaufhörlich.
Flexible Bürokonzepte, Coworking-Anbieter wie Wework und Serviced Offices belegen nach Schätzung von Jefferies rund 9% der Londoner Büroflächen, haben Leerstand absorbiert und den laufenden Mietzyklus verlängert. Allerdings ergibt sich für die Vermieter daraus ein Missverhältnis von kurzfristigen Einnahmen und langfristigen Verbindlichkeiten. Der spektakuläre Niedergang von Wework, die einst von Softbank auf 40 Mrd. Dollar taxiert wurde, dürfte bei vielen Immobiliengesellschaften die Alarmglocken schrillen lassen. Immerhin entspricht die von der US-Gesellschaft betriebene Fläche in London dem Fünffachen des "Gherkin", der weithin sichtbaren Gurke des Stararchitekten Norman Foster.
Für London sind sinkende Immobilienpreise keine schlechten Nachrichten. Büromieten und -preise sind dort schneller gestiegen als im Rest des Vereinigten Königreichs. Dem Thinktank Centre for Cities zufolge waren die hohen Mieten einer der Gründe dafür, dass die Hauptstadt in Sachen Produktivität unter dem landesweiten Durchschnitt rangierte. Zudem hätten steigende Wohnimmobilienpreise und eine restriktive Zuwanderungspolitik die Position Londons im globalen Wettbewerb um die besten Talente verschlechtert.