Im Abwehrkampf
Schreckensbilder von Panzern und Kanonendonner bestimmen das Kriegsgeschehen in großen Teilen der Ukraine, jedoch wird in der digitalisierten Welt des 21. Jahrhunderts längst nicht mehr nur mit konventionellen Waffen gekämpft. Der Cyberwar ist in vollem Gange, und die Angriffswellen aus Russland rollen nicht nur über Kiew, sondern zielen auf westliche Bündnispartner. Diese bemühen sich, Unternehmen und Behörden in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Damit schärft sich der Fokus auf eine Branche, die bereits im Zuge der Pandemie verstärkt ins Rampenlicht gerückt war. Denn der dadurch ausgelöste digitale Schub beflügelte nicht nur primär das Geschäft der Plattformriesen und Cloud-Service-Provider, sondern erhöhte auch die Angriffsfläche für Cyberkriminelle und ganze Hackerbanden, die in jüngster Zeit eine zunehmende Schlagkraft entwickelten.
Wachsendes Gefahrenbewusstsein und steigender Schutzbedarf beflügeln auch das M&A-Geschehen in der noch stark fragmentierten Cyberabwehrbranche. Finanzinvestoren, die mit tiefen Taschen im Technologiesektor unterwegs sind, treiben in diesem Segment die Bewertungen junger Unternehmen. Sie waren zuletzt hier allerdings erst bei einem Drittel der Transaktionen beteiligt, indes mitunter bei den Top-Deals. So kaufte Thoma Bravo bereits Ende 2019 im größten Cybersecurity-Deal des Jahres den Sicherheitsspezialisten Sophos für 3,8 Mrd. Dollar und legte sich wenige Monate später Proofpoint zu für 12,3 Mrd. Dollar. Ein Konsortium unter Führung von Permira und Advent zahlte 12 Mrd. Dollar für die bekannte Securityfirma McAfee. Finanzinvestoren verfolgen in der Branche inzwischen häufig aggressive Buy-and-Build-Strategien und zahlen dabei üppige operative Multiples im deutlich zweistelligen Bereich. Besonders begehrt sind Geschäftsmodelle von Software as a Service (SaaS), die stetige Cashflows versprechen.
Aber, die Strategen sind am Ball. Im vergangenen Jahr legte sich Nortonlifelock (ehemals Symantec) den Konkurrenten Avast zu, für satte 8,6 Mrd. Dollar, nachdem zuvor schon die deutsche Sicherheitsfirma Avira geschluckt wurde. Vor zwei Wochen kündigte Google die Akquisition von Mandiant an, mit 5,4 Mrd. Dollar die größte Akquisition der Firmengeschichte. Der Internetgigant zahlte eine Prämie von 50% auf den letzten Börsenkurs und kam mit seinem Angebot angeblich Microsoft zuvor, die ebenfalls ein Auge auf Mandiant geworfen hatte.
Der Kaufrausch kommt nicht von ungefähr. Die wachsende Ausbreitung von cloudbasierten Geschäftsmodellen hat während der Pandemie mit spektakulären Hackerattacken wie der Kaseya-Kampagne auch deren Verwundbarkeit offenbart. Entsprechend rüsten die Unternehmen auf, allen voran die großen Hyperscaler, die ihren Sitz in den USA haben, ebenso wie zahlreiche andere Käufer in der Szene. Dies ruft nun allerdings die Behörden auf den Plan, neben den Kartellwächtern auch Handelskammern oder Außenwirtschaftsämter, die der Konzentration einer für die Zukunft immer wichtigeren Schlüsseltechnologie in einer geopolitischen Hemisphäre verständlicherweise mit Misstrauen begegnen.
Der jüngste Weckruf geht einmal mehr von der britischen Wettbewerbsaufsicht aus, deren hartnäckiger Widerstand auch bereits die Milliardenübernahme des Chipdesigners Arm durch Nvidia zu Fall gebracht hatte. Nach einer Reihe sorgloser Genehmigungen durch europäische Kartellwächter haben die Briten ihr Veto gegen den Verkauf von Avast eingelegt. Dabei geht es nicht nur um verringerten Wettbewerb und wachsende Marktmacht, die bei Schlüsseltechnologien an sich bereits Grund zur Sorge sind. Gerade Europa und Deutschland sehen sich seit Jahren einem „Braindrain“ ausgesetzt, bei dem Kompetenz und Wissen im Zuge von Unternehmensverkäufen abfließen, und zwar vorrangig mit dem Ziel USA. Der Trend hat sich in jüngster Zeit wegen des Bewertungsgefälles, das sich aufgrund der boomenden Venture-Capital-Szene im Silicon Valley ergeben hat, noch verstärkt. Amerikanische Unternehmen, vor allem Finanzinvestoren, wenden sich Europa zu, wo die Preise für junge innovative Firmen noch nicht ganz so hoch gestiegen sind wie in den USA.
Wenn Europa den Wissenstransfer begrenzen will, wird es allerdings mit behördlichen Stoppsignalen nicht getan sein. Ein wachstumsfreundliches regulatorisches Umfeld und eine Verbreiterung von Finanzierungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt sind vonnöten.