Im Schwebezustand
Die Credit Suisse hat ein eklatantes Führungsproblem. Das ist beileibe keine neue Erkenntnis. Aber das am Mittwoch präsentierte desaströse Quartalsergebnis und die zeitgleich angekündigten Wechsel in der Chefetage legen die Not der Großbank in einer selten bis nie gesehenen Schonungslosigkeit offen.
Nach zwei schlimmen Jahren steht das Institut schwer gezeichnet in der Schweizer Finanzlandschaft. Mit der im Herbst 2019 publik gewordenen Beschattungsaffäre nahm eine Serie von Skandalen ihren Anfang, deren Schaden für das Unternehmen bis heute kaum abzusehen ist. Ganze sechs Monate brauchte der Credit-Suisse-Verwaltungsrat, um sich endlich einzugestehen, dass der von der internationalen Finanzpresse genüsslich ausgeweidete Spionagethriller nur ein Ende mit Schrecken haben konnte. Bis zu seiner Entlassung im Februar 2020 war der CEO Tidjane Thiam vor allem mit sich selbst und kaum mehr mit dem Umbau der Bank beschäftigt.
Seinem Nachfolger Thomas Gottstein blieben genau 13 Monate, bis auch er seine Unschuld verlor. Die Multimilliardenpleiten des Lieferkettenfinanzierers Greeensill und des US-Hedgefonds Archegos bescherten der Bank 2021 einen Milliardenverlust. Der Manager, der seine finale Verantwortung für Geschäfte in diesen Dimensionen nicht glaubwürdig leugnen kann, sitzt immer noch auf dem Führersitz.
Das wäre vielleicht anders, wenn António Horta-Osório, den die Aktionäre im Frühjahr 2021 zum neuen Verwaltungsratspräsidenten wählten, nicht selbst über eine peinliche Affäre gestolpert wäre. Doch der frühere Lloyds-Bank-Chef, nach erfolgloser zehnjähriger Amtszeit von Urs Rohner als Hoffnungsträger gekommen, wusste während der Pandemie nichts Besseres zu tun, als sich über die staatlich verordneten Reiserestriktionen hinwegzusetzen.
Böse Zungen behaupten, der erzwungene Rücktritt des Portugiesen im Januar sei Gottstein gerade recht gekommen. Andernfalls stünde der CEO vielleicht schon heute ohne Job da. Wie lange sich Gottstein halten kann, bleibt abzuwarten. Er selbst gibt sich entschlossen, die abermalige Neuausrichtung der Bank bis zum angekündigten, vorläufigen Schlusstermin 2024 durchzuziehen. Doch die Credit Suisse benötigt keinen Bauleiter, der die gewissenhafte Umsetzung von Plänen verspricht, die möglicherweise schon bald an die realen Geschäftsbedingungen auf den Finanzmärkten angepasst werden müssen.
Die Credit Suisse benötigt einen Chef, der nicht primär von der Angst geleitet wird, Geld zu verlieren, sondern Risiken eingeht und diese auch zu kontrollieren beziehungsweise zu überwachen im Stande ist. Der von einer ausgeprägten Risikoaversion gekennzeichnete Ertragseinbruch, den die Bank am Mittwoch zeigte, bietet weder den Investoren noch den verbliebenen Talenten im Personal eine ausreichend attraktive Perspektive, der Bank die Treue zu halten.
Die Geschichte weckt indessen die Befürchtung, dass auch der neue Verwaltungsratspräsident die Führungsfrage aus Angst vor Fehlern auf die lange Bank schieben könnte. Die Folgen einer entscheidungsschwachen Führung sind fatal, wie die zurückliegende Dekade bei der Credit Suisse zeigt.
Die Bereinigung von Altlasten wurde bei der Credit Suisse systematisch hinausgezögert. Das gilt nicht nur für Rechtsstreitigkeiten wie jene mit US-Investoren, die sich mit ihren Anlagen in Subprime-Hypotheken hintergangen fühlten und bis heute auf Schadenersatz pochen. Dasselbe gilt auch für die verspätete Wertberichtigung von Geschäften, deren bilanzielle Werthaltigkeit schon konsequent hätte hinterfragt werden sollen. Für solche unangenehmen Entscheidungen ist der CEO zuständig. Ein neuer Finanzchef und ein neuer Chefjurist können ihn von dieser Pflicht nicht entbinden.
Viel zu lange zugewartet hat die Credit Suisse auch mit der Neuausrichtung ihres Geschäftsmodells unter Brady Dougan, dessen Ablösung 2015 auf den letzten Drücker erfolgte – dann nämlich, als die US-Justiz der Bank die Rechnung über 2,8 Mrd. Dollar für alte Steuervergehen präsentierte. Das reaktive Muster der Bankführung reicht weit in die Vergangenheit zurück. Der Preis dafür ist ein Börsenwert von nur mehr 17 Mrd. sfr, der manchen Konkurrenten schon den Appetit geweckt haben dürfte. Denn eines ist klar: Wer die Credit Suisse aus ihrem aktuellen Schwebezustand herauszuholen vermag, kann beträchtliche Aktionärswerte freisetzen.