KommentarTech-Schwergewichte

Industriedämmerung an der Börse

Software „eats the world“, die jahrzehntealte Erkenntnis gilt mehr denn je an der Börse, wo die Marktkapitalisierung von Big Tech alles hinter sich lässt. Allerdings kann man umgekehrt Software nicht essen, Investitionen in die industrielle Produktion könnten sich deshalb doch noch auszahlen – für Geduldige auch an der Börse.

Industriedämmerung an der Börse

Marktkapitalisierung

Industriedämmerung
an der Börse

Von Heidi Rohde

Die gute Nachricht lautet: Im vergangenen Jahr haben es drei deutsche Topkonzerne unter die 100 marktschwersten Unternehmen der Welt geschafft, und der Höhenflug der SAP-Aktie hat den Walldorfer Softwarekonzern dabei sogar gegenüber dem Vorjahr um ganze 30 Plätze nach oben auf Rang 32 katapultiert. Eher ernüchternd ist eine andere Bilanz: Unter den Top 300 weltweit ist die Zahl der deutschen Unternehmen auf fünf gesunken – von elf zum Ende des Vorjahres. Bei Lichte besehen ist an dieser Entwicklung wenig Mysteriöses, denn die globale Investorenschaft vertraut auf die anhaltende Umsatz- und Gewinndynamik bei Big Tech, wobei das Potenzial einer neuen Software-Generation in Gestalt künstlicher Intelligenz (KI) die Fantasie der Anleger so sehr beflügelt, dass die Bewertungen der Unternehmen, denen zugetraut wird, davon den größten Vorteil zu haben, durch die Decke gehen.

Führungsrolle eingebüßt

Global sind das Apple, Nvidia und Microsoft, die alle drei an der Börse die 3-Bill.-Dollar-Marke geknackt haben. Auf den Zug aufgesprungen sind hierzulande neben SAP mit Siemens und Telekom ebenfalls zwei Technologiekonzerne, weil plausibel erscheint, dass sie auf die eine oder andere Art möglicherweise stärker von KI profitieren als die klassischen Industrieunternehmen. Unter diesen kämpft besonders die Autoindustrie mit einer schwierigen Transformation, auch weil sie im Innovationswettbewerb offensichtlich ihre Führungsrolle eingebüßt hat und seit Jahren als Getriebene erscheint, ganz davon ab, dass die Gewinne vielfach fallen wie ein Stein.

Da senken die Anleger den Daumen. Die augenscheinliche Industriedämmerung an der Börse erscheint indes verfrüht. Zum einen befördert die Transformation und Dekarbonisierung der Wirtschaft auch direkt industrielle Innovation, wie zum Beispiel bei der Wasserstofferzeugung deutlich wird, zum anderen ist der Wert einer Software auch von Anwendung abhängig. Dabei können klassische Industrien für Big Tech noch zur Nagelprobe werden – auch hier ist Raum für Anlegerfantasie. Sie braucht allerdings sicher einen längeren Atem.

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