Verschuldung

Italien lebt auf Kosten Europas

Italien wendet erhebliche Mittel für eine Fülle von Subventionen auf. Obwohl die EU-Kommission auf Einsparungen dringt, ist ein Ende dieser Politik nicht abzusehen.

Italien lebt auf Kosten Europas

Von Gerhard Bläske, Mailand

Ökonomisch gesehen ist Italien gut aus der Corona-Pandemie gekommen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2021 um 6,5% gewachsen. Für 2022 wird eine Wachstumsrate von um die 4% prognostiziert. Doch der Preis für die wirtschaftliche Erholung ist unglaublich hoch. Sie beruht vor allem auf nationalen Hilfsprogrammen von mehr als 200 Mrd. Euro, dem europäischen Wiederaufbauprogramm, dessen größter Nutznießer das Land ist, und auf der Negativzinspolitik der EZB, die dem mit 150% des BIP verschuldeten Land Niedrigstzinsen garantiert. Die EZB hält außerdem 28% der italienischen Staatsanleihen, die nationale Notenbank weitere 5%. Der Ökonom Carlo Cottarelli erwartet, dass die EZB 2022 weitere 65 Mrd. Euro an italienischen Bonds aufkauft.

Die Hilfen sind wie Drogen für Italien. Setzte man sie ab, ginge es dem Land sehr schlecht. Die Langzeit-Kosten der superexpansiven Ausgabenpolitik sind unabsehbar. Ein Beispiel sind die 2020 von Ministerpräsident Giuseppe Conte eingeführten Boni für die energieeffiziente Sanierung von Gebäuden. 38 Mrd. Euro hat Rom dafür bisher zur Verfügung gestellt. Die EU gibt weitere 14 Mrd. Euro dazu. Beim Superbonus 110 übernimmt der Staat 110% der Kosten, ein Teil davon geht an die Banken, die die Sanierungen mitfinanzieren und für die das Ganze ein Riesengeschäft ist. Das System verleitet zum Betrug. Der Schaden für den Steuerzahler beträgt schon jetzt 4,4 Mrd. Euro. 2,3 Mrd. Euro wurden beschlagnahmt. Für Finanzminister Daniele Franco handelt es sich um einen der größten Betrugsfälle in der Geschichte der Republik. Steuerberater glauben, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Denn es gab keine Kontrollen und die Regelung ist handwerklich so schlecht gemacht, dass noch eine Riesen-Kostenlawine droht. Erleichtert wurde der Betrug bis vor Kurzem, indem Steuergutschriften unbegrenzt weiterverkauft werden konnten.

Eine Zeitbombe

Außerdem ist die Maßnahme sozial ungerecht, weil es keine Einkommensgrenzen für die Hilfen gibt. Und die Steuerzahler werden einerseits durch Betrug geschädigt, andererseits entgehen dem Staat Steuereinnahmen in Milliardenhöhe. Eine Zeitbombe. Draghi wollte die Maßnahme auslaufen lassen, scheiterte aber am Widerstand der Regierungsparteien. Es gibt Korrekturen, doch die Boni sollen noch bis 2025 laufen.

Draghi hat immer größere Mühe, seine Regierungskoalition zusammenzuhalten, und musste kürzlich so­gar mit Rücktritt drohen. Seine Demission wäre fatal für Italien. Er hat 2021 einen Reformplan erarbeitet, zu dessen Erfüllung sich Italien als Gegenleistung für die europäischen Hilfen verpflichtet hat. Doch „es genügt nicht, Gesetze und Dekrete zu verabschieden. Man muss sie auch umsetzen“, sagt Fabrizio Pagani, Chefvolkswirt des Assetmanagers Muzinich und früherer Berater der italienischen Regierung.

So will Draghi die seit 2006 verschleppte Liberalisierung der EU-Dienstleistungsrichtlinie umsetzen und etwa die Konzessionen für Strandbadbetreiber neu ausschreiben. Doch der Widerstand in seiner Regierung ist so groß, dass unklar ist, ob die Vorlage unbeschadet durchs Parlament kommt. Ähnliches gilt für die Reform des Katasterrechts, die Liberalisierung der Taxi-Konzessionen und andere Vorhaben. Auch bei der Pensionsreform kommt Draghi nicht voran: Der Widerstand gegen eine Anhebung des 2018 unter Conte auf 62 Jahre gesenkten Renteneintrittsalters ist riesig. Viele der Frührentner sind so fit, dass sie nach ihrer Pensionierung schwarz arbeiten. Die Steuerhinterziehung ist in Italien eines der größten Probleme. Um die 100 Mrd. Euro entgehen Rom dadurch nach Schätzungen pro Jahr.

Aus demografischen Gründen bräuchte Italien, das eine der niedrigsten Geburtenraten Europas aufweist, eine Anhebung des Rentenalters. Schon jetzt gibt das Land laut OECD 16,4% des Bruttoinlandsprodukts für das Rentensystem aus – der zweithöchste Wert unter den OECD-Staaten.

Auch das ebenfalls unter Conte eingeführte Grundeinkommen kostet den Staat ein Vermögen – bis Ende 2021 etwa 20 Mrd. Euro –, ohne dass eine nennenswerte Zahl der mehr als drei Millionen Bezieher in Jobs vermittelt worden wäre.

Leben auf Pump

Italien lebt auch unter Draghi auf Pump. Zu den genannten Maßnahmen kommen Boni für den Kauf von Autos, Fahrrädern und Motorrollern, Vergütungen für Haushaltsgeräte, Haustiere oder die Verschrottung alter TV-Geräte. Jüngste Maßnahme: eine Gutschrift von 600 Euro für psychologische Behandlungen. Außerdem hat Draghi gerade noch mal 8 Mrd. Euro zum Ausgleich für die gestiegenen Energiepreise zur Verfügung gestellt. Dabei waren bereits seit Juli 2021 rund 10 Mrd. Euro lockergemacht worden. „Ich hätte die Subventionen und andere Maßnahmen auf die konzentriert, die sie brauchen“, meint Cottarelli.

Die EU-Kommission drängt Rom, die Ausgaben zu reduzieren. Stattdessen werden staatlich garantierte Kredite verlängert und es gibt massive Forderungen nach weiteren Hilfsmaßnahmen, die wegen des Ukraine-Kriegs zunehmen dürften. Schon steigt der Spread zwischen deutschen und italienischen Staatsanleihen deutlich. Zumindest solange Draghi regiert, dürfte Europa Italien zur Seite stehen. Einen Drogenentzug will Italien niemand zumuten.

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