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Italiens Autozulieferer kämpfen um den Anschluss

Die italienischen Autozulieferer kämpfen angesichts der Elektrifizierung der Branche um den Anschluss. Viele Unternehmen sind noch viel zu stark vom Verbrennermotor abhängig.

Italiens Autozulieferer kämpfen um den Anschluss

Italiens Autozulieferer kämpfen um den Anschluss

Die für Deutschlands Hersteller so wichtigen Unternehmen aus dem Belpaese müssen mehr in die Elektrifizierung investieren.

Von Gerhard Bläske, Mailand

Der Reifenhersteller Pirelli und der Bremsenproduzent Brembo sind Vorzeige-Unternehmen unter Italiens Autozulieferern. Sie setzen auf Qualität, Innovationen und die Oberklasse. Sie sind exportstark und zählen viele Hersteller in der ganzen Welt zu ihren Kunden. Beide haben im vergangenen Jahr Umsatz und Gewinne deutlich erhöht und beteiligen ihre Aktionäre an der positiven Entwicklung.

So gut wie den beiden großen Zulieferern geht es nicht der gesamten Branche. Sehr viele der Unternehmen, die zu mehr als 85% in Norditalien sitzen, vor allem in Piemont, Lombardei und in der Emilia-Romagna, sind klein und stark auf traditionelle Technologien fixiert, meist in Verbindung mit dem Verbrennermotor. Brembo-Executive-Chairman Matteo Tiraboschi glaubt, dass etliche von ihnen den Wandel nicht schaffen werden. Er warnt davor, auf einen Aufschub bei der Transformation der Branche zu hoffen.

Kaum noch eigenständige Autobauer in Italien

In Italien ist die Angst groß, dass den Zulieferern ein ähnliches Schicksal wie den Herstellern droht. Mit Ausnahme von Ferrari und einigen Kleinstherstellern gibt es keine eigenständigen italienischen Produzenten mehr. Die Autoproduktion im Land geht seit vielen Jahren zurück – auch wenn sie 2023 wieder leicht auf 752.000 Pkw und leichte Nutzfahrzeuge gestiegen ist. Damit ist das Land nur auf Platz 8 in Europa.

Die 2.167 Autozulieferer Italiens kamen 2022 nach Zahlen des italienischen Automobilverbands Anfia mit 166.000 Beschäftigten auf einen Umsatz von 55,9 Mrd. Euro. Manche Unternehmen drohen bei der Transformation der Branche den Anschluss zu verlieren. Der frühere Fiat-Chrysler-Konzern (FCA), der seit 2021 zur französisch dominierten Stellantis-Gruppe gehört, hat es jahrelang versäumt, in Elektroantriebe zu investieren. Es werden deshalb nur sehr wenige Elektroautos in Italien produziert. Und bei den Neuzulassungen beträgt der Elektroanteil gerade einmal 4,2% (2023), weniger als ein Viertel des Anteils in Deutschland.

Ringen um Kaufanreize

Angesichts der geringen Produktivität in den italienischen Fabriken stellte Stellantis-CEO Carlos Tavares, der zum Jahresende das Werk in Turin Grugliasco geschlossen hat, kürzlich auch die Zukunft der Werke in Turin Mirafiori und im süditalienischen Pomigliano in Frage. Zuletzt hat er Italien jedoch als „Wachstumspfeiler“ von Stellantis bezeichnet.

Die Regierung Meloni verhandelt mit dem Hersteller seit fast einem Jahr über eine Erhöhung der Jahresproduktion in Italien auf über eine Million Einheiten – bisher ohne Ergebnis. Tavares beklagt, dass Rom zwar wiederholt Kaufanreize für Elektroautos angekündigt hat, aber die Umsetzung zu lang dauere. „So verpassen wir die Chance, mehr Elektroautos in Italien zu produzieren.“ Meloni schaltete kürzlich auf Angriff: Sie forderte eine Beteiligung Roms an Stellantis und wirbt um Investitionen von Tesla und chinesischen Produzenten wie BYD. Doch die zeigen kein Interesse. So versucht Rom, das Aus für den Verbrennermotor in Europa 2035 möglichst hinauszuzögern.

Falsche Hoffnungen

Dabei hat sich die Automobilbranche des Landes längst mit der Realität abgefunden. Für Marco Stella, Vizepräsident des Verbandes Anfia und dort zuständig vor allem für die Zuliefererbranche, „ist der Weg zur Elektrifizierung vorgezeichnet. Wir dürfen keine falschen Hoffnungen im Hinblick auf E-Fuel und Biokraftstoffe aufbauen. Wir sollten uns nicht davon ablenken lassen, dass der Weg zu Elektrifizierung eingeschlagen ist.“ Federico Visentin, Präsident des Metallindustrie-Verbands Federmeccanica, findet, dass „viel zu wenig geschehen ist im Vergleich zu anderen Ländern. Es müssen echte industriepolitische Maßnahmen umgesetzt werden (...) auch im Dialog mit den Sozialpartnern, um effiziente Maßnahmen umzusetzen und ausländische Investitionen anzuziehen.“ Tiraboschi kritisiert, dass „eine echte Industriepolitik mit Investitionen in strategische Sektoren“ fehlt. „Es mangelt vor allem an Ladesäulen. Die Regierung muss beim Aufbau einer Infrastruktur helfen“, findet er.

Tavares fordert die Lieferanten auf, ihre Kosten zu senken und dem Konzern in kostengünstigere Länder wie Algerien oder Marokko zu folgen. Er verlangt Preissenkungen, obwohl es vielen der Lieferanten wegen steigender Material- und Logistikkosten und Inflation schlecht geht. Sie haben oft gar nicht die Mittel, die Investitionen in neue Technologien, Digitalisierung, künstliche Intelligenz und Internationalisierung zu stemmen. In einer gemeinsamen Studie von Federmeccanica sowie den Gewerkschaften Fiom, Fim und Uilm heißt es, man müsse Zusammenschlüsse fördern und die Unternehmen professionalisieren. Die Zuliefererbranche müsse sich besser positionieren und aufhören, sich gegen die unvermeidliche Entwicklung zu stemmen. Die Branche habe großes Potenzial, leide aber darunter, zu klein und fragmentiert zu sein. Dem stimmt Tiraboschi zu: „Es braucht eine gewisse Größe, um auf dem Markt bestehen zu können und um ausreichend in Forschung und Entwicklung zu investieren.“

Federico Magno, Geschäftsführer bei der Managementberatung Porsche Consulting und dort unter anderem verantwortlich für den Bereich Automobil, sieht gar nicht so schwarz, dass das gelingt. „Es geht darum, die Stärken wie Kostenvorteile, Flexibilität und Schnelligkeit der italienischen Zulieferer zu bewahren und gleichzeitig die Chancen der Automatisierung, Digitalisierung und künstlichen Intelligenz zu nutzen, um Teil der Wertschöpfungskette zu werden.“

Abschreibungsmöglichkeiten

Nach seiner Ansicht bieten sich auch Partnerschaften mit Unternehmen aus anderen Sektoren an, um Investitionen zu tätigen, Wissen zu teilen und Kostendegressionseffekte zu erzielen. Auch in der engeren Zusammenarbeit mit Top-Universitäten in Italien und im Ausland oder der „Bildung von Konsortien zum Aufbau neuer Technologien“ sieht er große Potenziale. „Nicht neue Subventionen, sondern erweiterte und beschleunigte Abschreibungsmöglichkeiten wie vor acht Jahren unter der Regierung Renzi im Rahmen der Initiative Industrie 4.0 schaffen die Voraussetzungen für Investitionen.“

Für Magno bietet die Krise „eine gigantische Chance“ für Italiens Autozulieferer, die jedoch ihr Management professionalisieren müssten, etwa durch die Hereinnahme von Private-Equity-Investoren. „Die Integration italienischer Firmen in die deutsche Wertschöpfungskette ist von entscheidender Bedeutung. Viele Zulieferer in Italien haben erkannt, wie wichtig es ist, schon in der Phase der Produktentwicklung der deutschen Produzenten dabei zu sein. Wer das versteht, kann da andocken und auch künftig Teil des Produktionsnetzwerkes sein.“

Ausfuhren nach Deutschland steigen

Immerhin: Nach den neuesten Zahlen der Deutsch-Italienischen Handelskammer in Mailand (AHK Italien) hat die italienische Automobilbranche ihre Ausfuhren nach Deutschland 2023 um 14,4% auf 10,1 Mrd. Euro gesteigert. Zulieferer wie Pirelli, Adler Pelzer oder Brembo gehören zu den wichtigsten Lieferanten der deutschen Autohersteller. In dem riesigen Wissenschafts- und Technologiepark Kilometro Zero direkt neben der Firmenzentrale bei Bergamo arbeiten 70 Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen, Forschungsinstitute und Universitäten zusammen.