LeitartikelUS-Präsidentschaftswahl 2024

Kamala Harris vor hohen Hürden

Mit dem Biden-Rückzug verbinden die Demokraten große Hoffnungen. Doch der Pfad ins Weiße Haus ist auch für Kamala Harris schwierig.

Kamala Harris vor hohen Hürden

US-Präsidentschaft

Harris vor hohen Hürden

Mit dem Biden-Rückzug verbinden die Demokraten große Hoffnungen. Doch der Pfad ins Weiße Haus ist auch für Kamala Harris schwierig.

Von Sebastian Schmid

Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Befreiungsschlag, dass Joe Biden seine Kandidatur zur US-Präsidentschaft zurückgezogen und den Weg für alternative Kandidaten frei gemacht hat. Gerade so, als ob es nur der zuletzt stark gealterte Präsident gewesen wäre, der zwischen den Demokraten und deren erneutem Einzug ins Weiße Haus gestanden hätte. Die erste Reaktion von Donald Trump, der sich über den Kandidatentausch enorm aufregt, scheint die These zu bestätigen. Und tatsächlich dürfte der Verzicht von Biden die Chancen von Trump eher reduziert haben. Allerdings bedeutet das längst noch nicht, die Demokraten wären plötzlich favorisiert. Die Partei des amtierenden Präsidenten – und das gilt insbesondere, wenn Kamala Harris die Kandidatin werden sollte – muss mit dessen Bilanz antreten, und ebenso wie Bidens Fitness für das Amt wird von der Partei auch die wirtschaftliche Bilanz chronisch schöngeredet.

Wie bitte, mag sich mancher Beobachter hierzulande fragen. Die Wachstumsrate der US-Wirtschaft liegt doch deutlich über der hiesigen. Vergangenes Jahr wuchs das US-BIP um 2,5%. Dem stand ein Haushaltsdefizit von 6,3% gegenüber. Im laufenden Turnus soll das zwar auf 5,6% zurückgehen. Zugleich hat sich aber die annualisierte Wachstumsrate auf 1,4% im ersten und wohl 1,8% im zweiten Quartal reduziert. Doch selbst diese eher mäßig überzeugende Relation, die sich laut US Congressional Office in der kommenden Dekade aufgrund wachsender Ausgaben für mehr ältere US-Bürger noch verschlechtern dürfte, erzählt nur einen Teil der Geschichte.

Hohe Unzufriedenheit mit der Wirtschaftslage

Die Zufriedenheit der US-Amerikaner mit der wirtschaftlichen Lage des Landes ist aktuellen Erhebungen zufolge desaströs. Ende Mai befand Pew Research in einer regelmäßig erhobenen Befragung, dass nur knapp ein Viertel der US-Bürger die ökonomische Lage als gut oder exzellent bewerten. Erwartungsgemäß gibt es einen Unterschied zwischen Wählern der Demokraten und der oppositionellen Republikaner. Von Letzteren schätzt nur ein Zehntel die Lage positiv ein, von Ersteren fast zwei Fünftel. Doch auch dieser Wert ist historisch gesehen ein schlechter. Unmittelbar vor Ausbruch der Coronakrise lag die Zufriedenheit auf republikanischer Seite unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump bei 81%, und selbst unter Demokraten war sie mit 39% höher als derzeit.

Besonders auffällig ist die unterschiedliche Wahrnehmung der Altersgruppen unter den demokratischen Wählern. Während bei den Unter-30-Jährigen nur einer von fünf die Lage positiv bewerten, ist es bei den Über-65-Jährigen jeder zweite. Joe Biden, so scheint es, hat eine Wirtschaftspolitik von Alten für Alte gemacht – zumindest in der Wahrnehmung vieler US-Amerikaner. Dass jüngere Wähler weniger zufrieden mit der US-Wirtschaft sind, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie häufiger in der niedrigen bis mittleren Einkommensgruppe vertreten sind. Eine Untersuchung von Deloitte hat gezeigt, dass in den vergangenen beiden Jahren der Anteil der Menschen, deren persönliche finanzielle Situation sich gegenüber dem Vorjahr verbessert hat, in der höchsten Einkommensklasse ab 100.000 Dollar Jahreseinkommen um zehn Prozentpunkte gestiegen ist, während er bei mittleren Einkommen stagnierte und in der untersten Einkommensgruppe sogar gesunken ist.

Harris sichert sich schnell Zustimmung

Das steht im starken Kontrast zu dem Bekunden der Demokraten, sich dafür einzusetzen, dass die Wirtschaft für Menschen mit geringen Einkommen besser funktioniert. Harris wird die einkommensschwachen Wähler überzeugen müssen, dass es unter ihrer Führung besser für sie laufen kann als in der Zeit ihrer Vizepräsidentschaft. Eine Chance für die Demokraten wäre daher die überraschende Nominierung eines Quereinsteigers aus der Wirtschaft gewesen. Dass Harris noch am Wochenende damit begonnen hat, Stimmen für den Parteitag, Spendengelder und prominente Unterstützer zu sammeln, zeugt davon, dass sie sich ihrer Schwächen bewusst ist. Allerdings sinkt die Wahrscheinlichkeit einer alternativen Kandidatur von Tag zu Tag. Harris muss nun zeigen, ob sie neben Parteigranden wie den Clintons auch die Wähler für sich einnehmen kann. Leicht wird das nicht.

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