Kampf um die Pkw-Mittelklasse
Tesla rollt den Automarkt auf. Die Zeiten, in denen das Geschäftsmodell des vor fast 20 Jahren an den Start gegangenen Elektrowagenherstellers aufgrund seiner anfänglichen Schwächen infrage gestellt wurde, sind längst passé. Die einst hohen Defizite und Probleme in der Fertigung gehören der Vergangenheit an. Die Kinderkrankheiten sind überwunden. Der mittlerweile hochprofitable kalifornisch-texanische Herausforderer hat sich behauptet und schickt sich an, den deutschen Autobauern Marktanteile streitig zu machen.
Der Erfolg von CEO und Großaktionär Elon Musk flößt BMW, Mercedes-Benz und Volkswagen Respekt ein. Für das Trio ist das an der Nasdaq notierte Unternehmen mittlerweile längst ernst zu nehmender Wettbewerber – nicht nur in den Zukunftsfeldern Elektromobilität und autonomes Fahren. Das Unternehmen des Entrepreneurs mit südafrikanischen Wurzeln greift mit seinen Modellen verstärkt das (untere) Mittelklassesegment der drei Dax-Konzerne an. Für Letztere ist das eine Zäsur, handelt es sich doch um deren Brot-und-Butter-Geschäft mit Neuwagen, mit denen im Schnitt Stückpreise von über 50000 Euro erzielt werden. Die Aufholjagd von Tesla ist beeindruckend. Beispiel Deutschland: Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamtes büßten die deutschen Hersteller in den ersten vier Monaten dieses Jahres in ihrem Heimatland aufgrund von hohen Absatzeinbußen teils deutlich Marktanteile ein, während der US-Anbieter seine Auslieferungen mehr als verdoppelt hat.
Der Stress in der Autobranche nach dem Coronaschock 2020 aufgrund angespannter Lieferketten und einer galoppierenden Inflation, der sich infolge des Ukraine-Kriegs verstärkt hat, macht offensichtlich den etablierten Häusern mehr zu schaffen als dem noch verhältnismäßig kleinen Angreifer mit Hauptsitz in Austin. Mancher mag das als Petitesse abtun, wenn man in Betracht zieht, dass die deutschen Adressen in Bezug auf den Absatz ihrer Kernmarken jeweils deutlich mehr als zweimal so groß sind wie Tesla. Doch der Abstand zugunsten des Trios ist trügerisch. Setzt der amerikanische E-Fahrzeug-Pionier seine Wachstumsdynamik auf mittlere Sicht in dem hohen Tempo fort, wird dieser schon 2023 BMW, Mercedes-Benz und VW Pkw bei den weltweiten Auslieferungen überholen, sollte bis dahin das Neugeschäft des Trios in Bezug auf das Volumen der Hauptmarken weiter schwächeln.
Für die erfolgsverwöhnten Traditionsunternehmen wäre das ein Schock. In den obersten Etagen der Konzerne in München, Stuttgart und Wolfsburg wird darüber gegrübelt, wie man auf die drohende Zeitenwende in der Autoindustrie strategisch adäquat reagieren soll. Ein aggressives Gegensteuern ist derzeit nicht wahrzunehmen.
Vor diesem Hintergrund ist es nur die halbe Wahrheit, wenn BMW & Co. behaupten, man weite das Angebot im gehobenen Mittelklassesegment, in der Oberklasse und im Luxusbereich aus, um die zeitaufwendige und teure Transformation zur Elektromobilität aus dem Cashflow des operativen Geschäfts mit Modellen, die noch höhere Deckungsbeiträge abliefern, zu finanzieren. Bei dem anhaltenden Nachfragestau verdienen sich die Adressen mit diesem Ansatz eine goldene Nase. Eine überzeugende Antwort auf den wachsenden Druck von Tesla ist dieses Konzept aber nicht.
Wollen also BMW, Mercedes-Benz und VW der aufstrebenden US-Firma das Segment der unteren Mittelklasse überlassen, um sich künftig voll und ganz auf die viel lukrativeren Geschäfte mit gut betuchten Käuferschichten zu konzentrieren? Das ist zumindest ein Gebiet, wo Tesla derzeit nichts im Angebot hat. Fakt ist, dass in den vergangenen zehn Jahren der Anteil der Mittelklassefahrzeuge am Gesamtabsatz der Marken – der BMW 3er, die E-Klasse von Mercedes die Passat-Reihe von VW sowie der Audi A4 – kontinuierlich geschrumpft ist. Beispiel Passat: Dessen Anteil sackte von 2011 bis 2021 um 14 Punkte auf 8% ab. Das ist insbesondere auf ein um SUVs ausgeweitetes Angebot zurückzuführen.
In diesem Kontext mag mancher vermuten, dass die Mittelklasse dennoch ein Pfeiler der Deutschen bleiben wird, sind doch gerade diese Modelle Träger des stabilen Dienstwagengeschäfts. Allerdings gewinnt das Image von Tesla zunehmend an Anziehungskraft bei jüngeren, gut ausgebildeten Kunden in Zeiten des Klimawandels. Der Schub bei den Ölpreisen und das neue Tesla-Produktionswerk in Brandenburg geben Musks Expansion zusätzlichen Rückenwind. Das sind für ihn weitere Wettbewerbsvorteile.