Sofortprogramm

Klimaschutz im Schongang

Das Klimaschutz-Sofortprogramm sollte der Arbeitsnachweis der grünen Regierungsbeteiligung werden. Doch nicht nur der Krieg in der Ukraine konterkariert die Ziele.

Klimaschutz im Schongang

Es sollte das Vorzeigeprojekt der grünen Regierungsbeteiligung an der Koalition werden: das Klimaschutz-Sofortprogramm. Nachdem die Grünen acht Jahre lang aus der Opposition heraus der Regierung fehlenden Ehrgeiz beim Klimaschutz vorgeworfen hatten und kurz vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 das Bundesverfassungsgericht urteilte, das deutsche Klimaschutzgesetz sei in der bisherigen Form nicht verfassungsgemäß, sollte nun die Gelegenheit schlechthin für Robert Habeck und Co gekommen sein, es besser zu machen. Noch im September soll der Masterplan vorgestellt werden. Doch der Krieg in der Ukraine mit seinen Auswirkungen auf die Energie- und Verbraucherpreise erschwert dieses Vorhaben.

Zu Beginn der Legislaturperiode drohten die Klimaziele bis 2030 aus dem Auge zu geraten. Mit einem Sofortprogramm kündigte der frisch gekürte Bundeswirtschaftsminister Habeck ein entschiedenes Gegensteuern an. „Wir müssen dreimal besser werden in allen Bereichen“, sagte der Minister bei seinem klimapolitischen Kassensturz nach Amtsantritt. Nach derzeitigem Stand überschreiten alle Sektoren die für sie im Bundes-Klimaschutzgesetz vorgeschriebenen maximalen Emissionsmengen – und zwar deutlich (siehe Grafik). Um im emissionsreichen Energiesektor die Klimaziele zu erreichen, legte die Bundesregierung ein umfangreiches Paket zum Ausbau der erneuerbaren Energien vor, das Osterpaket.

Abhängigkeit reduzieren

Zudem plante Habeck ursprünglich, verstärkt auf Gaskraftwerke zu setzen, um den Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien möglichst geschmeidig zu gestalten. Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine kann von Geschmeidigkeit keine Rede mehr sein. Nicht nur wurde der Minister von Klimaschutzorganisationen schon vor dem Krieg dafür kritisiert, Gas überhaupt als Übergangstechnologie zu bezeichnen. Zwar hatte die EU-Kommission in der Überarbeitung der Taxonomie Atomkraft und Gas als klimafreundlich deklariert. Spätestens mit Kriegsbeginn war fossiles Gas über Nacht aber „out“. Zu groß ist in diesem Bereich die Abhängigkeit Deutschlands von Importen ausgerechnet aus Russland. Um nicht weiter die Kriegskasse des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit deutschen Euros zu füllen, soll Erdgas nun eine deutlich geringere Rolle spielen.

Aber auch die sekundären Folgen des Ukraine-Kriegs konterkarieren die Klimaziele der Ampel-Koalition. Die steigenden Energiekosten treiben die Inflation. Entlastungspakete werden geschnürt, um die Haushalte zu stützen, die besonders preissensibel sind. Viele dieser Maßnahmen laufen aber der Klimaschutzpolitik zuwider, die Grünen stecken im Dilemma zwischen Klimaschutzpolitik und Sozial- bzw. Entlastungspolitik. Zwar wurde mit dem 9-Euro-Ticket für drei Monate der Umstieg vom Auto auf die Bahn gefördert. Doch auf der anderen Seite unterstützte die Regierung über den Tankrabatt mit dem Verkehr ausgerechnet jenen Sektor, der nach dem Energiesektor die höchsten Emissionsüberschreitungen aufweist (siehe Grafik).

Ebenso auf der Klimasünden-Liste steht der verlangsamte Kohleausstieg, der zwar trotz der derzeitigen Energieunsicherheit bis 2038, „idealerweise bis 2030“, über die Bühne gehen soll. Doch im Zuge der Gaskrise werden Atom- und Kohlekraftwerke, die eigentlich schon vom Netz waren bzw. nur noch in der sogenannten Netzreserve, wieder reaktiviert – etwa das Steinkohlekraftwerk Heyden 4 in Nordrhein-Westfalen. Nicht zuletzt musste Habeck die Installation von Flüssiggasterminals für den Import von durch seine Partei aus Umweltschutzgründen lange Zeit abgelehntem Fracking-Gas als Erfolg verkaufen.

Doch nicht nur der Krieg macht Bundeswirtschaftsminister Habeck das Projekt schwer. Da die Dringlichkeit des Klimaschutzes alle Sektoren umfasst, betrifft das Sofortprogramm auch nahezu alle Ressorts innerhalb der Bundesregierung. Dort gibt es allerdings Clinch. Eigentlich war geplant, das Programm möglichst in einem Guss zu veröffentlichen, doch im Juli gingen Bauministerin Klara Geywitz (Grüne) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit zwei getrennten, ihr jeweiliges Gebiet betreffenden Programmen an die Öffentlichkeit – und ernteten harsche Kritik. Verpflichtet waren sie dazu laut Klimagesetz, weil ihre Sektoren im vergangenen Jahr deutlich mehr Treibhausgase ausgestoßen hatten als zulässig. Als „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch“ schmetterte der Expertenrat der Bundesregierung für Klimafragen die Pläne von Wissing zur CO2-Reduktion im Verkehr ab. Geywitz’ Programm würde zwar ebenfalls die Ziele bis 2027 verfehlen, danach könnten diese für den Gebäudesektor aber wohl ein­gehalten werden. Seit Monaten knirscht es zwischen Bundeswirtschafts- und Bundesverkehrsministerium. Nach einem Treffen mit Wissing und Experten zur nationalen Ladeinfrastruktur sagte Habeck: „Die Bundesregierung muss da zusammenfinden.“

Momentum nutzen

Zumal das Vertrauen in die Klimapolitik in fast allen Bevölkerungsgruppen nicht gerade groß ist. Besonders gering ist das Vertrauen in die deutsche Klimaschutzpolitik in den unteren Einkommensquartilen. Das geht aus dem in dieser Woche vorgestellten Energiewende-Barometer der Förderbank KfW hervor. KfW-Ökonomin Fritzi Köhler-Geib mahnt daher zu einer fairen Lastenverteilung und einem gezielten Abbau finanzieller und informativer Hürden. „Dies kann auch dazu beitragen, dass die vorhandenen Zweifel an einer fairen Energiewende schwinden und künftig breitere Teile der Gesellschaft mitgenommen werden können – was sowohl soziale Spannungen verhindert als auch essenziell für das Erreichen der Klimaschutzziele ist.“

In Bezug auf das Klimaschutz-Sofortprogramm erwartet Köhler-Geib eine Gratwanderung: „Wir müssen den Menschen einerseits unterstützend zur Seite stehen und gleichzeitig aber auch die Preissignale, die aus dieser Krise hervorgehen, nutzen, um ganz beherzt Änderungen vorzunehmen.“ Das Momentum ist nach wie vor auf der Seite der Klimaschützer. Daran hat der Krieg nicht gerüttelt. Die Zustimmung zur Energiewende ist laut KfW-Barometer ungebrochen hoch. Nicht zuletzt aufgrund der enormen Kostensteigerungen bei den fossilen Energien hat sich der Anteil der Haushalte, die in den kommenden Monaten eine Klimatechnologie (z. B. Solarthermie oder Elektroautos) nutzen wollen, im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.

Der Krieg schmälert zwar das Budget vieler Haushalte für solche Investitionen, sendet aber auf der anderen Seite über die gestiegenen Energiekosten gesamtwirtschaftlich eindeutige Preissignale hin zu den erneuerbaren Energien, die nun endgültig wettbewerbsfähig werden. Mit dem Osterpaket ist der Bundesregierung in Sachen Ausbau der Wind- und Solarkraft ein wichtiger Schritt gelungen. Nun muss sie zusammenarbeiten und mit der Förderung der grünen Transformation besonders im Verkehrs- und Gebäudesektor nachlegen – und dabei nicht nur die nationalen Klimaziele, sondern auch eine gewisse Schonung von Privathaushalten im Blick behalten.

Von Anna Steiner, Frankfurt

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