EZB

Krieg und Zinsen

Die EZB steht wegen des Ukraine-Kriegs vor der schwierigsten Sitzung ihrer Geschichte. Sie darf die Normalisierung ihrer Geldpolitik aber nicht ad acta legen.

Krieg und Zinsen

Die Lage der Europäischen Zentralbank (EZB) war weiß Gott schon vor der militärischen Eskalation in der Ukraine alles andere als simpel – zwischen Rekordinflation einerseits und omikronbedingter Konjunkturschwäche im Winter andererseits. Mit dem Krieg befindet sie sich aber nun zweifellos im heikelsten Moment ihrer Geschichte. Das Risiko, einen geldpolitischen Fehler zu machen, hat immens zugenommen. Das erfordert allergrößte Vorsicht. Ganz entscheidend ist aber – das gilt in beide Richtungen: Sowenig die EZB jetzt die avisierte Normalisierung der Geldpolitik überstürzen oder der Euro-Wirtschaft notfalls weitere Hilfe versagen sollte, sowenig darf sie den Ausstieg auf die lange Bank schieben oder zu viel des vermeintlich Guten tun. Das könnte sich als mindestens ebenso fatal erweisen.

Natürlich, seit dem 24. Februar, dem Start der russischen Invasion in der Ukraine, ist die Welt eine komplett andere. Neben den politischen sind auch die wirtschaftlichen Konsequenzen des Kriegs auf kurze, mittlere und lange Sicht für die Eurozone und Europa insgesamt aktuell allenfalls zu erahnen. Damit kann es auch für die EZB nicht beim Alten bleiben. Erst Anfang Februar hatte sie in einer bemerkenswerten wie überfälligen Kehrtwende einen besorgteren Ton zur Inflation angeschlagen und eine raschere Zinswende signalisiert. Diesen Worten sollten jetzt konkrete(re) Taten folgen. Aber der Kriegsausbruch hat die Karten fraglos neu gemischt.

Abgesehen von den Kriegsparteien Russland und Ukraine dürfte die Wirtschaft im Euroraum den größten Schaden durch den Krieg und die Sanktionen nehmen. Das liegt an der geografischen Nähe, aber auch an der verhängnisvollen Abhängigkeit von russischem Gas und Öl, in die sich Europa über Jahre manövriert hat. Wie groß dieser Schaden sein wird, lässt sich derzeit aber noch kaum seriös beziffern. Wenn der Krieg eskaliert und es zur Energiekrise kommt, ist auch eine Rezession nicht auszuschließen. Sollte der Krieg dagegen in wenigen Wochen beendet sein, könnte sich die starke Konjunkturerholung vom Jahresbeginn rasch wieder fortsetzen. Die EZB darf sich jedenfalls jetzt nicht von der grassierenden Panik anstecken lassen, sondern muss kühlen Kopf bewahren.

Das gilt umso mehr, als sich das Inflationsproblem mitnichten in Luft aufgelöst hat – im Gegenteil: Der Krieg könnte die Teuerung im Euroraum in den nächsten Monaten Richtung 7% treiben. Aber niemand sollte den Krieg jetzt für Ausflüchte nutzen. Schon zuvor hatte sich abgezeichnet, dass die Inflation beileibe nicht so schnell sinkt wie von der EZB erwartet. Und die Teuerung ist längst nicht mehr nur auf die Energie beschränkt. Es ist die originäre Aufgabe der EZB zu verhindern, dass sich dieser Trend verfestigt. Es wäre fahrlässig, sich allein darauf zu verlassen, dass weniger Wachstum ausreicht, die In­flation wie gewünscht zu drücken. Die EZB muss viel­mehr klarmachen, dass sie vor allem keine Lohn-Preis-Spirale dulden wird – und notfalls entsprechend handeln.

Die EZB ist jetzt gut beraten, sich etwas Zeit zu nehmen, um die Entwicklung in der Ukraine zu beobachten und die Folgen zu analysieren. Ihr kommt zugute, dass der Handlungsdruck geringer ist als im Fall der US-Notenbank Fed, weil der „hausgemachte“ Preisdruck niedriger ist als in den USA, wo es eine exzessive Nachfrage und eine erhöhte Lohninflation gibt. Allerdings darf sich auch die EZB nicht in falscher Sicherheit wiegen. Deshalb sollte sie jetzt an der avisierten Normalisierung der Geldpolitik festhalten, ohne sich auf einen allzu fixen Zeitplan zu verpflichten. Ein Szenario, in dem die Anleihekäufe im Herbst komplett en­den und der Zins noch 2022 steigt, sollte aber nicht ganz ad acta gelegt werden. Zugleich sollte die EZB aber klarmachen, dass sie im schlimmsten Fall die Wirtschaft nach Kräften unterstützt – und vor allem mit ausreichend Liquidität Verwerfungen auf den Geld- und Kreditmärkten und das Risiko einer Kreditklemme vermeidet.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die EZB jetzt in ihren Möglichkeiten beschränkter ist als in früheren Krisen. Ob in der Weltfinanzkrise 2008, der Euro-Schuldenkrise 2010 bis 2012 oder in der Coronakrise 2020 – die EZB konnte stets aus dem Vollen schöpfen, weil Inflation kein großes Problem war. Das ist jetzt diametral anders. So mancher argumentiert nun, dass Europas Widerstand gegen den autoritären Aggressor Wladimir Putin nicht am Geld scheitern dürfe und das 2-Prozent-Inflationsziel jetzt weniger wichtig sei. Aber wenn die Inflation nun laufengelassen wird und außer Kontrolle gerät, ist der potenzielle ökonomische Schaden auf lange Sicht gravierend. Damit wäre am Ende auch niemandem gedient.

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