Lawinengefahr bei Blockchain-Aktien
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Ein eisiger Winter hat sich über die Digital-Assets-Landschaft gelegt, an deren Hängen auch nach den Einbrüchen der vergangenen Wochen noch Lawinengefahr besteht. Neben populären Kryptowährungen sind zuletzt zahlreiche Blockchain-Aktien krachend in die Tiefe gerauscht: Die Papiere der Handelsplattform Coinbase oder der Miner Riot Blockchain und Hut 8 Mining haben seit Jahresbeginn um fast 80% zurückgesetzt.
Die auf das Segment fokussierten Indexfonds stehen in der Folge ebenfalls erheblich unter Druck. So hat der Invesco Coinshares Global Blockchain ETF, der auf Sicht von drei Jahren immerhin eine annualisierte Performance von 21% vorweisen kann, im laufenden Jahr 34% an Wert verloren – beim Van Eck Crypto and Blockchain Innovators ETF beläuft sich der Verlust gar auf 71%.
Zurückzuführen sind die starken Verluste auf das allgemein angeschlagene Vertrauen in digitale Assets, das zudem zu unternehmensspezifischen Risiken führt. Die geldpolitische Straffung internationaler Notenbanken setzt Kryptowährungen unter Druck, weil diese als spekulativ geprägte Assets in Zeiten knapper werdender Liquidität erheblich an Attraktivität verlieren. Hinzu kommt der Kollaps des Stablecoins Terra USD (UST). Der Krypto-Token, der eigentlich Wertstabilität gewährleisten sollte und an den Dollar gekoppelt war, verlor die Bindung zum Greenback im Mai vollständig und stürzte ins Bodenlose ab.
„Der Kurseinbruch traf nicht nur Kleinanleger, sondern löste eine Kettenreaktion aus, die auch die Big Player der Branche in Mark und Bein traf“, kommentiert Michael Bußhaus, Geschäftsführer des Brokers Just Trade, die Entwicklung. So geriet die Plattform Celsius Network, die Anleger mit hohen Renditeversprechen zum Verleih digitaler Assets bewegt hatte, in Schwierigkeiten. Der Betreiber verhängte am 12. Juni einen Transaktions- und Abhebungsstopp, mit dem er nach eigenen Angaben die Liquidität innerhalb seines Systems sicherstellen will. Nutzer können daher seit Wochen nicht auf ihre Assets zugreifen.
Hedgefonds verzockt sich
Zudem brachten die Turbulenzen um UST und der Abverkauf am Kryptomarkt den Krypto-Hedgefonds Three Arrows Capital (3AC), der zeitweise Assets im Wert von über 20 Mrd. Dollar verwaltete, in Schieflage. „Mittlerweile hat 3AC seine Positionen nahezu komplett abgewickelt, einer der größten Kapitalverwalter verabschiedet sich somit vom Kryptomarkt“, führt Bußhaus aus. Derzeit könne nur spekuliert werden, ob dem Hedgefonds weitere Akteure folgen werden. „Doch fest steht: Viele der größten Krypto-Investoren scheinen sich verzockt zu haben“, betont der Just-Trade-Gründer.
Die Unsicherheit drückt sich auch in der Entwicklung des Kryptokapitals im dezentralisierten Finanzwesen (DeFi) aus. Der Grundgedanke hinter DeFi besteht darin, klassische Finanzkonzepte mit Distributed-Ledger-Technologien zu verbinden und zentrale Intermediäre wie Börsenmakler und Banken durch dezentrale Handelsplattformen oder Lending-Anbieter wie eben Celsius Network abzulösen. Dabei helfen Smart Contracts, also Computerprotokolle, die Verträge abbilden sowie Transaktionen dezentral und automatisiert ausführen können. Summierte sich das in Smart Contracts mit DeFi-Bezug liegende Kryptokapital Anfang Mai noch auf über 200 Mrd. Dollar, ist das Volumen laut der Plattform DeFi Llama inzwischen auf 76 Mrd. Dollar gefallen. Für Blockchain-Unternehmen wie Coinbase ist dies ein besorgniserregender Trend, galten sie doch lange als große Profiteure des Siegeszugs dezentraler Anwendungen.
Doch auch Konzerne wie der US-Datenanalyse- und Cloud-Spezialist Microstrategy leiden unter der Kryptotalfahrt. Denn der an der Nasdaq gelistete Softwareanbieter begann 2020 damit, Bitcoin in seine Bilanz aufzunehmen, und hielt Ende März des laufenden Jahres 129218 Einheiten der führenden Cyberdevise. Aufgrund dessen nutzen viele Anleger die Microstrategy-Aktie als Stellvertreter-Investment für ein Engagement bei Digitalwährungen.
Für zusätzlichen Druck auf den Aktienkurs sorgten Befürchtungen um einen 205 Mill. Dollar schweren Kredit, den der Konzern im März von der kalifornischen Silvergate Bank aufgenommen hatte, um seine Kryptoreserven weiter aufstocken zu können Dabei drohe ein Margin Call, so vermeldete es der Spezialist für Datenanalyse und Cloud-Lösungen noch im Mai, wenn Bitcoin unter 21000 Dollar abrutsche – genau dies geschah im Zuge der jüngsten Marktturbulenzen gleich mehrfach.
CEO Michael Saylor betonte zuletzt zwar, dass sein Unternehmen keine Aufforderung erhalten habe, etwaigen Nachschusspflichten nachzukommen, und ohnehin über genügend zusätzliche Sicherheiten verfüge. Das Investmenthaus BTIG, das die Microstrategy-Aktie zum Kauf empfiehlt, stößt in das gleiche Horn. Doch der US-Finanzdienstleister räumt auch ein, dass weitere Bitcoin-Rücksetzer zu signifikanten Kursverlusten des Titels führen könnten. Analystenkollegen warnen zudem davor, dass es Microstrategy infolge des angekratzten Investorenvertrauens künftig schwerer fallen könnte, sich neue Kredite zu sichern.
In diesem Umfeld sind Unternehmen mit Digital-Assets-Fokus zum gefundenen Fressen für Short Seller geworden. Laut dem Analysehaus S3 Partners haben Leerverkäufer mit Wetten gegen den Sektor zwischen Anfang Januar und Mitte Juni Renditen von 126% eingefahren. Dass sie bald wieder von der Branche ablassen, ist unwahrscheinlich – schließlich herrscht bei Blockchain-Aktien fortgesetzte Lawinengefahr.