Bank of Japan

Leiser Abschied von Gouverneur Kuroda

Acht Jahre führte Haruhiko Kuroda die Bank of Japan. Seine Bilanz fällt durchwachsen aus. Dass die Inflation trotz ultralockerer Geldpolitik nicht anziehen will, schiebt der Notenbanker aber der japanischen Mentalität in die Schuhe.

Leiser Abschied von Gouverneur Kuroda

mf Tokio

Seit achteinhalb Jahren leitet Haruhiko Kuroda die Bank of Japan (BoJ). Am Mittwoch übt der knapp 77-jährige frühere Präsident der Asiatischen Entwicklungsbank das Amt des Gouverneurs länger aus als jeder seiner 29 Vorgänger seit der Gründung 1882. Seine Bilanz fällt jedoch durchwachsen aus: Das Inflationsziel von 2%, das er mit seiner ultralockeren Geldpolitik („Quantitative and Qualitative Monetary Easing“) ursprünglich schon im April 2015 übertreffen wollte, bleibt selbst nach der Prognose der japanischen Notenbank noch bis zu Kurodas Pensionierung im März 2023 außer Reichweite.

Deflation in den Köpfen

Der Gouverneur begründet das Ausbleiben der Teuerung seit langem damit, dass zwei Jahrzehnte Deflation weiter in den Köpfen spukten – sprich: Die Japanerinnen und Japaner gehen von weiter stagnierenden Preisen aus und verhalten sich dementsprechend. Daher müsse die Bank of Japan ihre expansive Geldpolitik beibehalten, so der Notenbank-Chef. Immerhin habe sie „nichtdeflatio­näre Bedingungen geschaffen“, bilanzierte er jüngst selbst in einem Interview.

Wegen des schwachen Preiswachstums sah sich Kuroda mehrmals gezwungen, seinen geldpolitischen Kurs zu korrigieren. Zunächst vertraute er auf eine Verdopplung der Geldbasis durch den massiven Erwerb von Staatsanleihen und später Aktienindexfonds (ETFs). Als diese Strategie nicht fruchtete, führte die BoJ-Führung Anfang 2016 zu­nächst einen Negativzins und im Herbst 2016 dann eine Kontrolle der Zinskurve ein. Auch diese Maßnahmen blieben jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Die Kernrate der Inflation blieb abgesehen von der Zeit während der Coronavirus-Pandemie zwar positiv, kletterte aber nie über 1%.

Doch die Kauf- und die Kreditprogramme der Kuroda-Jahre blähten die Bilanzsumme der Notenbank um den Faktor 4,4 auf 134% der nominalen Wirtschaftsleistung. Die Nebeneffekte waren erheblich: Einerseits kletterte der breit gefasste Topix um fast das Doppelte, während der Yen um ein Fünftel zum Dollar abwertete. Die Exportunternehmen verdienten mehr und erhöhten ihre Investitionen. Doch die verteuerten Importe drücken seit Jahren die Wachstumsrate. Die Banken gaben viele Staatsanleihen an die Zentralbank ab und verringerten ihr Risiko bei einer Schuldenkrise. Doch ihr Nettozinseinkommen schrumpfte, weil der Nullzins die Margen im Brot-und-Butter-Geschäft mit Firmen- und Hauskrediten schmälerte. Diese Entwicklung gefährdet heute die Existenz vieler Regionalbanken.

Ein Vermögenseffekt durch die gestiegenen Aktienkurse blieb aus. Das Nettovermögen der Haushalte schrumpfte zwischen 2014 und 2019 um 3,5%. Nur die obersten 10% konnten ihren Wohlstand um 8,2% erhöhen. Zugleich stagnierte das durchschnittliche Haushaltseinkommen bei 5,2 Mill. Yen (40000 Euro). Ohne Wachstum bei Löhnen und Vermögen konsumieren die Verbraucher jedoch nicht mehr, die Produzenten können daher keine höheren Preise durchsetzen. Dadurch liegt das Potenzialwachstum der Wirtschaft trotz verschiedener Ge­setzesinitia­tiven nur bei 0,5%. Auch hier bittet Kuroda um Geduld: „Es dauert, bis die Strukturreformen Ergebnisse zeitigen.“

Dessen ungeachtet scheint in der Bank of Japan ein Umdenken begonnen zu haben. Nach einer dreimonatigen Prüfung verkündete die Notenbank im März eine „Flexibilisierung“ ihrer Geldpolitik. So schaffte sie die jährliche ETF-Mindestkaufmenge ab und versprach den Geschäftsbanken einen ausgleichenden Bonuszins im Fall eines verschärften Negativzinses. Die Änderungen wurden zu­nächst als Fortsetzung der Stimuluspolitik von Kuroda interpretiert. In­zwischen meinen einige Analysten, dass die BoJ in Wirklichkeit einen allmählichen Rückzug aus seinen Programmen vorbereite. Die Indizien dafür mehren sich: Nur jede zweite der sechs Kuroda-Reden in diesem Jahr beschäftigte sich mit Geldpolitik. Seit Jahresbeginn hat die Notenbank trotz der Pandemie lediglich Staatsanleihen für 16 Bill. Yen erworben, im Jahr sind bis zu 80 Bill. Yen möglich. Und seit 10. Juli wurden gar keine ETFs mehr gekauft, obwohl die Aktienkurse bis Mitte August fielen.

Die Pandemie hat Regierung und Zentralbank, die ihre Strategien seit Anfang 2013 koordinieren, noch enger zusammengeschweißt. Premier Shinzo Abe und sein Nachfolger Yoshihide Suga brachten doppelt so hohe Hilfen für Unternehmen auf den Weg wie die deutsche Bundesregierung. Im Mai 2020 erklärten Finanzminister Taro Aso und Gouverneur Kuroda, alles Notwendige für einen Aufschwung zu tun. Die BoJ stellte einen Spezialkredittopf für kleine und mittlere Unternehmen von 110 Bill. Yen (846 Mrd. Euro) auf. Im November 2020 folgte ein Stützungspaket für die angeschlagenen Regionalbanken. Wer Gewinne erhöht oder Geschäfte konsolidiert, erhält 0,1% Zins auf seine Einlagen bei der Zentralbank. Auch die in der vergangenen Woche gestartete Kreditfazilität für klimafreundliche In­vestitionen zeigt, dass die Zent­ralbank nach neuen Wegen jenseits der geldpolitischen Werkzeugkiste sucht, um die japanische Wirtschaft anzukurbeln.

Geldpolitische Normalisierung

Der bevorstehende Wechsel des Premierministers ändert zwar nichts daran, dass Kuroda bis März 2023 an der BoJ-Spitze bleibt. Aber de facto­ hat die Zentralbank ihren Abschied von dessen komplexer Geldpolitik eingeläutet. Zunächst soll sie besser handhabbar werden, danach könnte man sie normalisieren. Die Hauptverantwortlichen dafür sollen Vizegouverneur Masa­yoshi Amamiya und sein Adlatus Shinichi Uchida sein. Der knapp 66-jährige Amamiya gilt als Favorit für die Nachfolge von Kuroda. Der Amtsinhaber dagegen schreibt angeblich bereits seine Memoiren über Begegnungen mit ausländischen Bankern und die Pizza, die er an ihrem Geburtsort Neapel bei einer Geschäftsreise probierte.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.