London oder Frankfurt? Neue Wettkampfbedingungen fürs Euro-Clearing
London oder Frankfurt? Neue Regeln im Euro-Clearing
Nach der Einigung auf Emir 3.0 geht der Wettstreit um Marktanteile in eine neue Runde
Von Detlef Fechtner, Frankfurt
Die ehrliche Antwort der Fachleute im Clearing-Markt lautet: Völlig ungewiss. Es ist schlichtweg noch nicht absehbar, welche Auswirkungen die neuen europäischen Vorgaben für die Verrechnung von Euro-denominierten Termingeschäften auf den Markt haben werden. Klar ist bislang nur, dass weitere Teile des Geschäfts von London nach Frankfurt wandern werden – aber nicht in welchem Umfang. Da der politische Kompromiss, auf den sich Anfang Februar Rat und EU-Parlament nach langen Diskussionen verständigen konnten, den ursprünglichen EU-Kommissionsvorschlag erheblich verwässert hat, könnte diese Verschiebung von Geschäftsaktivitäten durchaus überschaubar ausfallen.
Aber der Reihe nach: Lange Zeit fand das Euro-Clearing nahezu ausschließlich in London statt – zum Unmut der Europäischen Zentralbank, der schon 2012 Sorgen bereitete, dass ein äußerst kritisches Element in der Prozesskette des Derivatehandels außerhalb von Euroland stattfand. Spätestens mit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 gewann die Debatte darüber an Fahrt, dass ein größerer Teil des Clearings von Euro-Zinsderivaten doch besser auf dem Kontinent stattfinden sollte, um nicht im Falle einer Schieflage mit milliardenschwerer Liquidität unterstützen zu müssen, ohne dass EU-Institutionen an den Entscheidungen beteiligt wären.
Vor dem Hintergrund dieser angeheizten Diskussion startete die Deutsche Börse 2017 eine Offensive: das sogenannte Partnerschaftsprogramm. Die Terminbörsentochter Eurex Clearing gewährt denen, die in Frankfurt Euro-Derivate verrechnen lassen, finanzielle Vorteile. Die zehn aktivsten Teilnehmer des Programms, das offen ist für alle registrierten Kunden, erhalten einen dauerhaften Anspruch auf einen signifikanten Anteil am wirtschaftlichen Erfolg des währungsübergreifenden Zins-Swap-Angebots. Seither hat die Eurex einen beachtlichen Marktanteil im Geschäft mit Euro-Zinsderivaten erobert. Zuletzt waren es um die 20%.
Erinnerung an Battle on the Bund
Mancher Beobachter fühlt sich auf den ersten Blick an den „Kampf um den Bund Future“ erinnert, bei dem die Deutsche Börse und Eurex der damaligen Londoner Liffe den kompletten Markt für den Future auf die zehnjährige Bundesanleihe streitig machten. Entscheidendes Argument für die Banken, den Handelsplatz zu wechseln, war damals die Vorreiterrolle der Eurex im elektronischen Handel gegenüber dem Open Outcry auf der Insel. Doch im Falle des Euro-Clearing strebt die Deutsche Börse überhaupt nicht an, 100% Marktanteile zu gewinnen. Vielmehr geht es darum, einen zweiten ernst zu nehmenden Liquiditätspool neben London zu etablieren.
Aktives Konto im Zentrum
Dieses Ziel hätte entscheidend näherrücken können, wären die EU-Gesetzgeber bei der Novelle der EU-Derivateverordnung – im Brüsseler Kauderwelsch: Emir 3.0 – nahe am Vorschlag der EU-Kommission geblieben. Sind sie aber nicht. Insbesondere Frankreich und die Niederlande haben sich in den Schlussverhandlungen für weniger strenge Anforderungen starkgemacht – vor allem bezüglich des sogenannten aktiven Kontos, des inhaltlichen Kerns der Neuregelung. Der – bislang noch vorläufige, weil noch nicht von Rat und EU-Parlament abschließend bestätigte – Kompromiss sieht nämlich die Verpflichtung bestimmter Marktteilnehmer vor, ein „robustes aktives Konto“ bei einer zentralen Gegenpartei innerhalb der Europäischen Union zu unterhalten. Dieses Konto muss „operative Elemente“ enthalten, etwa die Fähigkeit, bei Bedarf kurzfristig Transaktionen handeln zu können, und „Aktivitätselemente“, die dokumentieren, dass das Konto effektiv genutzt wird.
In anderen Worten: Alle einigermaßen großen Akteure am Markt dürfen nicht ihr komplettes Euro-Derivategeschäft beim London Clearing House verrechnen lassen, sondern müssen auch einen Anschluss an die Eurex oder eine andere kontinentaleuropäische zentrale Gegenpartei unterhalten. Und dieses Konto muss so gut funktionieren, dass die Marktteilnehmer in kritischen Phasen zügig ihren gesamten Bestand dorthin umleiten können. Weitergehende Verpflichtungen wie quantitative Schwellenwerte waren gegen Franzosen und Niederländer nicht durchsetzbar, heißt es aus dem Umfeld der Verhandlungen.
Kompromiss stellt nicht alle zufrieden
Der letztlich vereinbarte Kompromiss stellt denn auch längst nicht alle zufrieden. Die festgelegten Anforderungen für größere Gegenparteien, eine vom Umfang der Engagements und von den Laufzeiten der gehandelten Transaktionen abhängige Zahl von Transaktionen innerhalb der EU verrechnen zu lassen, bezeichnet beispielsweise der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber als „zahnlosen Tiger“. „Am Ende besteht die Pflicht für das aktive Konto vor allem aus Vorbedingungen, Ausnahmen und Überprüfungsklauseln“, bedauert der Finanzexperte.
Ganz anders sieht die Bewertung der Verpflichtung zum aktiven Konto seitens des Bundesverbands deutscher Banken, der Vertretung der privaten Kreditinstitute in Deutschland, aus. Es sei „gut, dass sich Europa für eine offene Marktlösung entschieden“ habe, erklärt Miye Kohlhase, Mitglied der Geschäftsleitung des Bankenverbands, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Denn nach ihrer Einschätzung wären die europäischen Marktteilnehmer international nicht mehr wettbewerbsfähig gewesen, wenn sie von der Liquidität des globalen Marktes – etwa aus Übersee – abgeschnitten wären. „Und das gilt sogar für Banken, die nur am Euro-Zinsgeschäft teilnehmen“, unterstreicht die Verbandsvertreterin. Umgekehrt wäre ein EU-Clearingmarkt ohne die internationalen Marktteilnehmer und deren Liquidität zu klein und unausgewogen, um sich dauerhaft im weltweiten Wettbewerb behaupten zu können, so Kohlhase.
Anders als im Beispiel Japans
Wie viel Marktanteil nun in den nächsten Monaten und Jahren von London nach Frankfurt wandern wird, hängt nach Meinung von Marktprofis vor allem davon ab, ob die Verpflichtung der Banken, sich künftig an die Eurex oder eine andere kontinentaleuropäische zentrale Gegenpartei anzuschließen, einen Sog entfaltet. Von Investmentbankern in der Debatte genannte Zielgrößen wie ein Marktanteil der Eurex von 40% gelten als hochspekulativ. Voraussagen lässt sich lediglich, dass die Zahl derer, die ein Kabel nach Frankfurt unterhalten, nach dem Inkrafttreten von Emir 3.0 – voraussichtlich im Sommer oder Frühherbst dieses Jahres – kräftig wachsen wird. Denn durch die Pflicht zum „aktiven Konto“ werden sich auch die Adressen mit Frankfurt verkabeln, die es bislang noch nicht sind. Im Markt geht um, dass dies etwa 40% aller Teilnehmer im Euro-Clearing sein dürften.
Verwiesen wird in der Debatte auf das japanische Beispiel. Nachdem die Regierung in Tokio japanischen Gegenparteien ein obligatorisches Clearing bei einer zentralen Gegenpartei in Japan auferlegt hatte, kletterte der Marktanteil von 10% auf 70%. Mit solchen Bewegungen ist in Europa auf Basis der – im Vergleich mit den japanischen Auflagen deutlich zurückhaltenderen – Anforderungen von Emir 3.0 nicht zu rechnen.
Immerhin können sich die Eurex und die anderen kontinentaleuropäischen Handelsplätze darüber freuen, dass überhaupt eine Verständigung zustande gekommen ist und nicht einfach nur die Ausnahmeregelungen ein weiteres Mal verlängert worden sind. Positiv dürften auch neue Vorgaben sein, die eine deutlich schnellere Zulassung von Produkten durch beschleunigte Verfahren ermöglichen und somit das Geschäft grundsätzlich beleben.