Corona-Lockerungen

„Manic Monday“ lässt britisches Gastgewerbe hoffen

Wer am Montagabend in den Gassen von Soho unterwegs war, hätte den Eindruck gewinnen können, dass in England wieder Normalität Einzug gehalten hat. Tesco, der größte bri­tische Lebensmitteleinzelhändler, empfahl seiner Kundschaft via Facebook, die...

„Manic Monday“ lässt britisches Gastgewerbe hoffen

Von Andreas Hippin, London

Wer am Montagabend in den Gassen von Soho unterwegs war, hätte den Eindruck gewinnen können, dass in England wieder Normalität Einzug gehalten hat. Tesco, der größte bri­tische Lebensmitteleinzelhändler, empfahl seiner Kundschaft via Facebook, die Kneipe um die Ecke zu besuchen, statt sich im Supermarkt mit alkoholischen Getränken einzudecken. Die Tische vor den Restaurants und Pubs waren so voll wie vor der Pandemie. Auch in den Ausgehvierteln anderer Großstädte drängten sich am „Manic Monday“ bzw. dem „glorreichen Zwölften“, wie die Zeitungen den Tag der Lockerung tauften, die Menschen, die seit Monaten darauf warteten, wieder einmal mit Freunden essen oder trinken zu gehen. Das ließ manche hoffen, dass der Chefökonom der Bank of England, Andy Haldane, recht gehabt haben könnte, als er die britische Wirtschaft mit einer „zusammengedrückten Sprungfeder“ verglich, die demnächst eine Menge finanzielle Energie freisetzen könnte.

Vor der Pandemie gab man in England dem Centre for Economic & Business Research (CEBR) zufolge 663 Mill. Pfund pro Woche für Restaurant- und Kneipenbesuche aus. Allerdings durften Gäste nur im Freien bedient werden. Nur zwei Fünftel der Pubs verfügen über bewirtschaftbare Außenflächen. Viele konnten deshalb noch gar nicht öffnen. Und mindestens 2000 Lokale haben dem Forum of British Pubs zufolge ihre Pforten für immer geschlossen. Das CEBR geht davon aus, dass diese Woche 314 Mill. Pfund in die Kassen der Wirte spülen wird. Wer bis zum 17. Mai durchhält, ab dem die Bewirtung in Innenräumen frühestens wieder gestattet wird, geht in der Regel mit enormen Schulden an den Start, denn auch ein Großteil der Corona-Hilfsmaßnahmen der Regierung war nichts anderes als Kredite.

Harter Strukturwandel

Im britischen Gastgewerbe vollzieht sich ein Strukturwandel, der die überlebenden Ketten begünstigt. Das gilt nicht nur für Kneipen, sondern auch für Restaurants, Hotels, Fitnessstudios und Bowlingbahnen. Während die Kurse der börsennotierten Unternehmen wie City Pub Group, The Gym Group oder The Restaurant Group, denen man zutraut, gestärkt aus der Krise hervorzugehen, in den vergangenen Wochen gestiegen sind, haben sich immer mehr unabhängige Anbieter vom Markt verabschiedet. Wie die Analysten von Liberum Capital ermittelten, ist die Zahl der Betriebe mit Alkoholkonzession in den zwölf Monaten per Ende Februar netto um 6,6% zurückgegangen. Davon seien die sogenannten Casual-Dining-Ketten, die in den Jahren vor der Pandemie stark expandiert hatten, mit einem Rückgang der Niederlassungen um 17% besonders betroffen gewesen. Pizza Express, Prezzo und andere Anbieter trennten sich im Zuge von Sanierungsplänen (CVAs, Company Vo­luntary Arrangements) von defizitären Standorten. Die High Streets sehen dadurch anders aus. Die Zahl der unabhängigen Pubs und Restaurants reduzierte sich um 8,2%. Im laufenden Jahr habe sich das Tempo der Schließungen beschleunigt. Im vergangenen Jahr seien es noch 30 pro Tag gewesen, 2021 dann schon 42. Mit einem weiteren Schub ist zu rechnen, wenn das Moratorium für Zwangsräumungen Ende Juni ausläuft. Bislang können die Besitzer von Gewerbeimmobilien säumige Mieter nicht vor die Tür setzen.

Wer die Krise so weit überstanden hat, profitiert nicht nur vom Wiederaufleben der Nachfrage, sondern gegebenenfalls auch vom Kollaps der Wettbewerber. Wer über ausreichend Mittel verfügt, kann sich bessere Standorte zu günstigeren Konditionen sichern, denn Vermieter können es sich in diesem Umfeld nicht leisten, wählerisch zu sein. Niedrigere Mieten und eine längere mietfreie Anfangsphase dürften Firmen wie die Pubkette Loungers, den Fitnessstudio-Betreiber The Gym Group und The Restaurant Group helfen, wieder auf Wachstumskurs zu gehen.

Nach einer 175 Mill. Pfund schweren Kapitalerhöhung verfügt The Restaurant Group über eine sanierte Bilanz und kann sich auf die Suche nach neuen Standorten für das Flaggschiff Wagamama machen.

Liberum Capital spricht von einem „einzigartigen Umfeld für Akquisitionen“. Die M&A-Aktivität dürfte aus ihrer Sicht von Unternehmen angetrieben werden, die Assets verkaufen, um ihre Bilanzen zu reparieren, oder von solchen, denen es an Mitteln fehlt, um die für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit nötigen Investitionen zu tätigen. Auch Finanzinvestoren dürften nach wie vor Interesse zeigen. Immerhin wurden binnen fünf Jahren drei Pubketten von der Börse genommen. EI Group (zuvor: Enterprise Inns) wurde von der Stonegate Pub Company erworben, hinter der sich die Private-Equity-Gesellschaft TDR Capital verbirgt. Li Ka-shings CK Asset Holdings holte sich Greene King. Und Punch Taverns ging an den Finanzinvestor Patron Capital und Heineken. Aus Sicht der Analysten von Berenberg könnte Marston’s der letzte verbleibende Pubbetreiber von nennenswerter Größe sein, bei dem weder große Anteilseigner noch eine ungleiche Verteilung der Stimmrechte einer Übernahme im Wege stehen. Liberum zählt die City Pub Group, den Bowlingbahn-Betreiber Ten Entertainment, die Premier-Inn-Mutter Whitbread und die Brauerei Young’s zu den potenziellen Konsolidierern. Voraussetzung jeder Erholung ist allerdings, dass das britische Sars-CoV-2-Impfprogramm wie ge­plant weitergeht.