Melonis gemischte Bilanz
Pragmatisches Durchwursteln
Giorgia Meloni ist smart und sehr geschickt − und sie stärkt ihre Machtposition. Doch wirtschaftspolitisch hat sie in ihrer zweijährigen Regierungszeit nicht wirklich Akzente gesetzt
Gerhard Bläske, Mailand
Zwei Jahre ist Giorgia Meloni nun italienische Premierministerin. Nie zuvor in der Nachkriegszeit hatte Italien eine Regierung mit so stabiler Mehrheit und so guten Aussichten, weitere drei Jahre bis zum Ende der Legislaturperiode regieren zu können. Und nie zuvor gab es eine so weit rechts stehende Regierung, die viele anfangs gar als neofaschistisch bezeichnet haben.
Doch Meloni erwies sich als pragmatisch, smart und klug. In der Außen- und Europapolitik folgt sie weitgehend dem Kurs Mario Draghis und früherer Regierungen. Rom steht trotz interner Spannungen fest an der Seite der NATO und des Westens etwa im Ukrainekrieg – auch wenn die Hilfsleistungen im Vergleich zu anderen Ländern gering sind. Die Regierung bekennt sich klar zu Europa. Das liegt vor allem daran, dass Italien seit vielen Jahren von großzügigen Strukturprogrammen der EU und über lange Zeit auch von der Nullzinspolitik und dem Aufkauf italienischer Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank profitiert hat. Außerdem ist Italien mit über 220 Mrd. Euro auch der weitaus größte Nutznießer des Europäischen Wiederaufbauprogramms Next Generation und weiterer Hilfen. Das ist der Hauptgrund dafür, dass Italien weiter wächst. Ohne Europa würde Rom angesichts der hohen Verschuldung prozentual deutlich zweistellige Zinsen zahlen oder wäre pleite.
Meloni hat ihre Spielräume geschickt genutzt, aber wirtschaftspolitisch kaum eigene Akzente gesetzt. Es war eher ein „Weiter so“. Aber sie setzt auch Nadelstiche. Aus internen Gründen etwa hat Italien als einziges EU-Land nach wie vor nicht die Reform des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) unterzeichnet, was sich im Fall einer größeren Bankenkrise als fatal erweisen könnte.
Politische Umbauten nur teils erfolgreich
Ihre Partei Fratelli d`Italia gehören dem konservativen europäischen Parteienbündnis ECR an, das in Opposition zur Mehrheit in Europa steht. Sie pflegt die Nähe zu rechtsnationalen Kräften wie der spanischen Vox, der polnischen Pis oder Ungarns Ministerpräsident Victor Orban. Sie stimmte gegen eine zweite Amtszeit von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, mit der sie aber pragmatisch zusammenarbeitet. Allerdings wird Rom in der künftigen EU-Kommission nicht mehr das Amt des EU-Kommissars für Wirtschaft und Währung haben, das derzeit der Italiener Paolo Gentiloni inne hat. Melonis Hoffnungen auf eine rechte Mehrheit im Europaparlament haben sich nicht erfüllt.
In Italien besetzt Meloni die Schlüsselpositionen in Verwaltung, Kultur, beim Staatsfernsehen oder in Staatsunternehmen mit Vertrauten. Innerhalb der Regierung dominieren alte Kampfgefährten, Verwandte und Freunde, die ihren Aufgaben nicht immer gewachsen sind. Mehr Sachverstand täte dringend not.
Durchwursteln
Ihre eigene Position will die 47-Jährige im Rahmen einer Verfassungsreform mit einer deutlichen Stärkung der Rolle des Premierministers, der zum dominierenden Machtfaktor werden soll, deutlich ausbauen. Gesellschaftspolitisch verfolgt sie einen reaktionären Kurs. Mit ihrer restriktiven Flüchtlingspolitik genießt sie die Unterstützung Ursula von der Leyens und vieler anderer Länder, stößt jedoch auf Widerstand der Justiz.
In der Wirtschaftspolitik wurstelt sich die Regierung eher durch und setzt teilweise großzügige Vorruhestandsregeln, die Italiens Politik seit Jahrzehnten prägen, fort. Trotz fehlender Gegenfinanzierung hält Meloni an Steuersenkungen ihres Vorgängers Draghi fest und baut sie aus. Allerdings ist sie auch pragmatisch: Forderungen der Wirtschaft nach mehr legaler Einwanderung erfüllt sie, spricht aber nicht gern darüber.
Ihr Versprechen, Italien fit für die Zukunft zu machen, erfüllt sie nicht. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronica De Romanis kritisiert, dass Meloni nicht mehr aus der Chance gemacht hat, dringend nötige Strukturreformen einzuleiten, die normalerweise zu Beginn einer Legislaturperiode erfolgen sollten. Das gilt etwa für eine Liberalisierung des Wettbewerbsrechts: Sie schützt Taxifahrer und Strandbadpächter vor Konkurrenz und Unternehmen durch Goldene Aktien. Auch eine von Draghi geplante Kataster- oder eine Verwaltungsreform stehen nicht auf der Agenda. Dabei ist die Administration überfordert, die Gelder des Next-Generation-Programms auszugeben. Schon bei den europäischen Strukturfonds schafft Rom das nicht. Auch beim Auslichten des Dschungels aus 625 Steuersonderregelungen im Umfang von 110 Mrd. Euro hat Meloni nicht geliefert: „Ein Großteil davon kommt nur den Reichen zugute“, so De Romanis. Und auch bei der Kürzung der aufgeblähten Staatsausgaben hat Meloni nichts vorzuweisen. Stattdessen gewährte ihre Regierung wiederholt großzügige Steueramnestien. Dabei sind Steuerbetrug und Schwarzarbeit ein gigantisches Problem. Obwohl die Italiener auf Privatvermögen von 11,5 Bill. Euro kommen, geben nur 3% der Bevölkerung ein zu versteuerndes Brutto-Einkommen von mehr als 75.000 Euro pro Jahr an.
Initiativen für die Verbesserung der Zukunftsfähigkeit Italiens sind ausgeblieben. Die Investitionen gehen zurück. Die Produktivität stagniert seit Jahrzehnten. Die Abwanderung gut qualifizierter junger Leute hält an. Dass die Wirtschaft wächst, ist einzig Next Generation und der vollständigen Kostenübernahme der ökologischen Sanierung von Gebäuden durch den Staat im Volumen von 220 Mrd. Euro zu verdanken. Meloni stoppte diese Maßnahme erst in diesem Jahr. Dass der Tourismus boomt, ist nicht ihr Verdienst. Die Industrieproduktion geht zurück. Die Situation der Autoindustrie ist ein Symbol dafür. Und das Next-Generation-Programm läuft 2026 aus. Die Wirtschaftsinstitute, der IWF und jüngst der Industriellenverband Confindustria haben ihre Wachstumsprognosen nach unten korrigiert.
Wachsende Schulden
Meloni hat ihre bisher zweijährige Amtszeit nicht genutzt, um das Land voranzubringen, obwohl die Finanzmärkte ihr Vertrauen entgegenbringen und der Spread deutlich gesunken ist. Zwar steigt die Zahl der Beschäftigten, doch die Beschäftigungsquote in der Gruppe der 15- bis 64-Jährigen ist mit 61,5% die niedrigste innerhalb der EU.
Der IWF hat gerade mehr Ehrgeiz beim Abbau von Defizit und Schulden und Strukturreformen angemahnt. Doch Projekte dieser Art stehen nicht an: Italiens Schulden werden selbst unter den optimistischen Annahmen der Regierung in den nächsten Jahren auf 140% oder mehr steigen. Die Ratingagentur Scope glaubt, dass Italien innerhalb der nächsten vier Jahre Griechenland als Schulden-Europameister ablösen wird. Gerade Griechenland und Portugal, die beide ihre Schulden deutlich reduziert haben, zeigen, dass es auch anders geht.