Geldpolitik

Nichts zu lachen für die EZB in Sachen Inflation

Die Euro-Inflation ist zuletzt gesunken. Die EZB darf aber nicht nachlassen. Die Leitzinsen müssen weiter steigen und die aufgeblähte Bilanz muss schrumpfen.

Nichts zu lachen für die EZB in Sachen Inflation

Humor ist, wenn man trotzdem lacht? Wie wäre es dann damit: Die Mitarbeiter der Europäischen Zentralbank (EZB) gehen auf die Barrikaden und drohen mit Streik – weil die jetzt von der EZB-Spitze vorgeschlagene Gehaltserhöhung zum 1. Januar um 4,07% deutlich unterhalb der aktuellen Inflation liege, was enorme Kaufkraftverluste bedeuten würde. Das würde „die Moral der Mitarbeiter und ihr Vertrauen in die Institution zerstören“, so die EZB-Gewerkschaft. Und was bitte ist mit der Moral der breiten Öffentlichkeit und deren Vertrauen in die EZB – angesichts von 10,0% Inflation? Sicher, die EZB und mithin die Mitarbeiter sind nicht allein schuld am Inflationsschrecken. Aber sie sind gewiss auch nicht frei von Schuld. Die Forderungen sind in jedem Fall kaum vermittelbar – und die Symbolik verheerend.

Die Eurozone leidet nach wie vor gehörig unter dem Joch der Inflation. Ja, der überraschend deutliche Rückgang der Teuerungsrate im November vom Rekordhoch von 10,6% auf 10,0% ist ein Hoffnungsschimmer, dass die Inflation so langsam den Höhepunkt erreicht und das Schlimmste überstanden ist. Und ja, die Hoffnung wird verstärkt durch den teils nachlassenden Preisdruck auf den vorgelagerten Stufen. Aber nein, von Entwarnung kann keine Rede sein. Die Teuerung ist fünfmal so hoch wie das EZB-Ziel von 2% und es ist weiter jede Menge Preisdruck in der Pipeline. Mehr noch: Die Löhne haben zuletzt merklich angezogen und die Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) sowie die Inflationserwartungen legen spürbar zu. Gerade da ist die EZB gefordert: Sie darf keine Zweitrundeffekte tolerieren, mit denen sich die Inflation verfestigen würde.

Natürlich kann die EZB auch nicht völlig ignorieren, dass zugleich die Euro-Wirtschaft darbt. Die jüngsten harten Konjunkturdaten und Stimmungsindikatoren zeugen aber zumindest von einer gewissen Widerstandsfähigkeit. Der ganz schwere Wirtschaftseinbruch, den viele Pessimisten noch vor wenigen Wochen prophezeit hatten, wird wohl nicht kommen. Einige Optimisten hoffen sogar, dass eine Rezession gänzlich vermieden werden kann. Das erscheint zwar reichlich zuversichtlich. Aber selbst eine milde Rezession im Winter, zumal mit der Perspektive auf eine Erholung im Frühjahr und Sommer, sollte die EZB nicht davon abbringen, die Geldpolitik weiter zu normalisieren.

Das bedeutet zum einen: Die Leitzinsen müssen weiter angehoben werden. Die makroökonomischen Daten seit der Oktober-Sitzung ließen für die Sitzung am Donnerstag auch eine erneute Jumbo-Zinserhöhung um 75 Basispunkte angemessen erscheinen. Allerdings wären auch 50 Basispunkte ein starkes Signal – wenn sie begleitet werden von Schritten beim Bilanzabbau und einer entsprechend entschlossenen Kommunikation. Viel wichtiger aber noch als die Frage nach 50 oder 75 Basispunkten ist, dass die EZB die Zinsen auch 2023 weiter anhebt – solange die Inflation nicht überraschend stark zurückgeht oder die Wirtschaft wider Erwarten doch abstürzt. Nach aktueller Datenlage ist es für ein Ende des Zinszyklus noch zu früh.

Zum anderen muss die EZB in Sachen Bilanzabbau zu Potte kommen. Der aggressivste Zinserhöhungskurs seit der Euro-Einführung und ein komplett unveränderter geldpolitischer Stimulus via Notenbankbilanz – das passt null Komma null zusammen. Dass viele EZB-Granden darauf pochen, bei dem Thema langsam und vorsichtig zu agieren, ist verständlich. Die Anleihekäufe der Krisenjahre waren ein gigantisches geldpolitisches Experiment – entsprechend ist auch der Ausstieg Neuland und risikobehaftet. Die EZB steht zudem vor einer komplexeren Herausforderung als die US-Notenbank Fed, weil das Eurosystem bei einem schrittweisen Abschmelzen der Reinvestitionen gegebenenfalls zwischen den Euro-Staaten austarieren muss. Bei aller Vorsicht muss die EZB eines auf jeden Fall vermeiden: dass sie sich selbst zu stark die Hände bindet. Dieses Jahr etwa scheiterte eine schnellere Zinswende auch daran, dass die EZB frühere Zusagen zur Dauer der Anleihekäufe nicht brechen wollte. So etwas darf sich nicht wiederholen.

Keine Frage: Mit jedem weiteren EZB-Schritt steigt das Ri­siko, dass die EZB die drohende Re­zession endgültig auslöst oder verschärft. Kein Notenbanker hat Interesse, dass die Wirtschaftsabschwächung stärker ausfällt als unbedingt nötig. Bei Inflationsraten von 10% erscheint es derzeit aber besser, zu viel zu tun statt zu wenig und damit die Inflation endgültig aus dem Ruder laufen zu lassen – wie in den 1970er Jahren. Das würde dauerhaft nur noch viel mehr Wachstum und Wohlstand kosten. Und dann wäre wohl endgültig niemandem mehr zum Lachen zumute.

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