Rohstoffe

Ölpreis zwischen Corona- und Kriegssorgen

Diese Woche fiel die Markierung der weltweit wichtigsten Ölsorte zeitweise unter die Marke von 70 Dollar. Für den jüngsten Preiseinbruch gibt es mehrere Gründe.

Ölpreis zwischen Corona- und Kriegssorgen

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Im vergangenen Monat stand der Brent-Ölpreis kurz vor der Marke von 80 Dollar je Barrel und viele Analysten sahen bereits einen Anstieg bis auf 90 oder 100 Dollar voraus. Nun ist es anders gekommen: Am Montag fiel die Markierung der weltweit wichtigsten Ölsorte zeitweise unter die Marke von 68 Dollar. Am Dienstag eroberte er wenigstens zeitweise die Marke von 70 Dollar zurück.

Für den jüngsten Preiseinbruch gibt es mehrere Gründe. So ist auf die rasante weltweite Verbreitung der Delta-Variante des Coronavirus zu verweisen, über die es eine Reihe beunruhigender Nachrichten gibt. So gab es beispielsweise jetzt aus Israel Hinweise, dass die Virenlast von geimpften infizierten Personen genauso hoch ist wie diejenige von Nichtgeimpften. Sollte sich das in anderen Studien bestätigen, stünde die bisherige Pandemiestrategie der meisten Regierungen, nämlich die möglichst schnelle Impfung der gesamten Bevölkerung, in Frage. Die Alternative wären erneut harsche und die Konjunktur schwer in Mitleidenschaft ziehende Lockdown-Maßnahmen, wie sie jetzt China in einigen Metropolen wieder einführen musste.

Auch wenn zu erwarten ist, dass die Delta-Variante einen weniger schlimmen Krankheitsverlauf bei den meisten Menschen verursacht, könnte der Weltwirtschaft im Extremfall ein Szenario blühen, das nicht weit von der ersten Pandemiewelle entfernt ist.

Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Ölimporte der weltweit wichtigsten Industrienation China im Juli mit 9,7 Mill. Barrel pro Tag (bpd) bereits vor der Delta-Welle enttäuschend ausfielen. Die Einfuhren verharrten damit schon den vierten Monat in Folge unter der Marke von 10 Mill. bpd.

Die Akteure am Markt gehen jedenfalls keine Risiken ein, und zuletzt sind die Netto-Long-Positionen spekulativer Marktteilnehmer deutlich zurückgefahren worden. Mit derartigen Kontrakten setzen die Investoren auf einen weiter steigenden Ölpreis, der nun zumindest kurzfristig als eher unwahrscheinlich gilt. Einen ersten Einbruch des Ölpreises wegen der starken Verbreitung der Delta-Variante hatte es bereits Mitte Juli gegeben, der allerdings rasch wieder aufgeholt wurde, als sich zeigte, dass die weltweite Ölnachfrage zunächst kein Zeichen der Schwäche zeigte.

Ein weiterer Grund für das Einknicken des Ölpreises ist in der US-Geldpolitik zu sehen. Die jüngsten Daten vom amerikanischen Arbeitsmarkt sind deutlich freundlicher ausgefallen als allgemein erwartet. So sind in den USA im Juli netto 943000 Arbeitsplätze geschaffen worden, während die Arbeitslosenquote auf 5,4% zurückging. Dies wiederum treibt den Dollar an, weil nun tendenziell mit einem früheren Ende der ultralockeren Geldpolitik der amerikanischen Notenbank Federal Reserve gerechnet wird. Da derzeit noch ein großer Teil der weltweiten Ölproduktion in Dollar verkauft wird, verteuert ein Anstieg des Greenback die Ölimporte vieler Länder. Sie verschieben daher Ölkäufe, was den Preis des Energieträgers unter Druck setzt. Seit der Veröffentlichung der Arbeitsmarktdaten ist der Ölpreis um rund 4 Dollar je Barrel gesunken.

Disziplin der Opec plus

Allerdings ist zu erwarten, dass der Ölpreis nicht lange auf dem aktuellen niedrigen Niveau verharren wird – was allerdings nur unter der Voraussetzung gilt, dass die Delta-Variante nicht für einen umfassenden weltweiten Lockdown nach dem Vorbild der ersten Pandemiewelle sorgt. Aktuell ist nämlich der Ölmarkt bis zum Jahresende leicht unterversorgt. Dies liegt daran, dass die Mitgliedsländer des Kartells Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und verbündeter Produzenten wie Russland, also die sogenannte Opec plus, trotz einer bislang recht flotten Erholung der Ölnachfrage die Förderung bis zum Jahresende nur langsam um jeweils 400000 bpd pro Monat anheben wollen. Dies müsste eigentlich dafür sorgen, dass der Brent-Ölpreis, jedenfalls sofern sich die Sorgen wegen der Delta-Variante als übertrieben erweisen, wieder bis auf rund 75 Dollar klettert.

Weiter nach oben wird er sich allerdings wohl nicht bewegen – zumindest dann nicht, wenn nicht die Geopolitik als ein weiterer preistreibender Faktor hinzutritt. Dies ist jedoch jederzeit möglich, da die Kriegsgefahr in der Region rund um den Persischen Golf wieder einmal stark gestiegen ist.

Der verdeckte Drohnenkrieg gegen Frachtschiffe zwischen Israel und dem Iran hat zuletzt an Intensität zugenommen und erste Todesopfer gefordert – wobei allerdings noch nicht klar ist, wer für den Angriff auf einen von einer israelischen Reederei gecharterten Tanker verantwortlich ist. Der israelische Verteidigungsminister Benny Gantz sah sich jedenfalls veranlasst, offen mit einem Angriff auf den Iran zu drohen, wohl in der festen Überzeugung, dass dies letztlich auch die USA zu einem Kriegseintritt auf Seiten der Israelis bewegen würde. Mit Blick auf innenpolitischen Druck in den USA sähe sich die Biden-Administration ohne Zweifel gezwungen, den Israelis zu Hilfe zu eilen.

Damit wäre dann der Versuch der Biden-Administration, einen weitgehenden Rückzug aus dem Nahen Osten durchzuführen, gescheitert. Ein neuer Krieg am Persischen Golf würde den Ölpreis voraussichtlich stark antreiben, denn der Iran würde in diesem Fall unweigerlich die Meeresenge von Hormus sperren, über die rund 25% des weltweiten Öls transportiert werden. Dazu ist er ohne weiteres in der Lage. Ein Ölpreis jenseits der 100 Dollar wäre dann zu erwarten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.