Im BlickfeldKernbankensysteme

IT-Operation am offenen Herzen der Bank

Die Migration auf moderne Kernbankensysteme ist für Banken und Versicherer von großer Bedeutung. Die alten Systeme sind oft technisch überholt und erfüllen die regulatorischen Anforderungen nicht. Die Umrüstung erfordert aber hohe Investitionen.

IT-Operation am offenen Herzen der Bank

Von Thomas Spengler, Stuttgart

Warum sich die Finanzindustrie mit der Einführung neuer Kernbankensysteme so schwertut.

Zum Jahreswechsel haben in Schwäbisch Hall ganz leise die Sektkorken geknallt. Der dort beheimateten Bausparkasse war es gelungen, die Migration des Kredit-Moduls ihres neuen Kernbankensystems, intern „Next“ genannt, geräuscharm auf eine SAP-Lösung zu vollziehen. „So, dass die Kunden nichts bemerkt haben“, sagt Kristin Seyboth.

Betrieb muss weiterlaufen

Seyboths Erleichterung lässt die Bedeutung von Kernbanken- oder Bestandssystemen erahnen. Bei den Systemen, von denen um die 20 am Markt sind, handelt es sich um eine datenbankgestützte Software, die innerhalb der IT eines Finanzinstituts die Verarbeitung aller einkommenden, ausgehenden und gespeicherten Daten übernimmt – und damit das Herz eines jeden Instituts darstellt. Da der Betrieb während der Migrationsphase weiterlaufen muss, kommt ein Austausch der Systeme einer Operation am offenen Herzen gleich.

Es braucht robuste und skalierbare Systeme

Um aber die Funktionsfähigkeit einer Bank, eines Versicherers oder einer Bausparkasse nachhaltig zu sichern, müssen die Systeme ebenso robust wie skalierbar und auf dem neuesten Stand der Technik sein. „Anforderungen, mit denen so manches Institut zu kämpfen hat“, sagt Christoph Wetzel, selbständiger Senior Advisor und Ex-Vorstand der HDI Versicherung.

Überforderte Altsysteme

Gleich aus mehreren Gründen brennt die Umrüstung auf moderne Kernbankensysteme der Branche unter den Nägeln. So gelten die alten Systeme vielfach als technisch überholt, was Produktanpassungen verzögern kann. Hinzu kommt der Umstand, dass es immer schwieriger wird, mit den alten Systemen die wachsenden regulatorischen Anforderungen zu erfüllen.

Es ist ein Lauf gegen die Zeit: „Irgendwann werden die Kollegen, die das Know-how für die alten Systeme noch haben, alle im Ruhestand sein“, sagt Seyboth. Schließlich stammen viele Systeme aus den 1980er Jahren und sind mit den Programmiersprachen Cobol oder PL/1 geschrieben, die jüngere IT-Spezialisten gar nicht mehr beherrschen.

Cobol will nicht sterben

Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass Institute wie Schwäbisch Hall frühere Mitarbeiter temporär aus dem Ruhestand zurückholen. Manche Anbieter bilden sogar junge Informatiker an Cobol aus – „eine Programmiersprache, die offenbar nicht sterben will“, wie IT-Experten dazu sagen.

Besonders komplex gestaltet sich die Datenmigration bei Lebensversicherern: Jedes Detail aus unterschiedlichen Tarifgenerationen muss eins zu eins auf die neuen Systeme gehoben werden. Hinzu kommt, dass Laufzeiten von 50 bis 60 Jahren bei Lebensversicherungspolicen keine Seltenheit sind. Ähnlich ist es bei Krankenversicherungen.

Keine neue Thematik

Wie heikel eine solche Transformation werden kann, war bei der Migration der Postbank-IT auf die Systeme der Deutschen Bank zu sehen. Während des Prozesses konnten die Kunden im vergangenen Jahr zeitweise nicht auf ihre Konten zugreifen. Die Personaldecke reichte nicht, um die Rückstände im Back Office zeitnah abzuarbeiten.

Neu ist die Problematik nicht. Wetzel hat bereits 2005 die ersten Systeme migriert. Manches Institut habe das Thema jedoch lieber auf die lange Bank geschoben. Denn außer der Arbeitsbelastung für die IT-Abteilung verursacht ein solches Projekt auch hohe Kosten und zieht sich oft über acht bis zehn Jahre.

Wetzel schätzt die Investition für ein neues Kernbankensystem auf mindestens 60 bis 70 Mill. Euro. Schnell kann es auch das Doppelte sein. Bei Schwäbisch Hall sollen es um die 300 Mill. Euro sein, obwohl man sich von Anfang an mit dem BHW und Wüstenrot ausgetauscht hat, um Kosten zu sparen. Das Gemeinschaftsprojekt der drei Wettbewerber reicht mindestens bis 2017 zurück, selbst gesetzte Deadlines wurden immer wieder gerissen.

Das Risiko, das von veralteten Systemen ausgeht, ist längst erkannt, aber nicht zwingend gebannt. Besonders kleine und mittelgroße Versicherer schieben die Problematik vor sich her. „Gefährdet ist noch keiner, aber solche Marktteilnehmer könnten unter Druck geraten und zu Übernahmekandidaten werden“, sagt Wetzel.

Hoffnungsträger KI

Eine Hoffnung könnte der Einsatz von KI sein, mit der die Migration vereinfacht werden könnte. Als ein weiterer Rettungsanker gilt die sukzessive Auslagerung des IT-Betriebs an Anbieter wie IBM – natürlich alles zulasten des Gewinns. Dabei will Markus Bender, beim Berater Accenture verantwortlich für das Bankengeschäft in der DACH-Region, den Austausch der Systeme nicht nur auf das Kernbankensystem reduziert wissen. Es handele sich um keinen Transformationsprozess, der irgendwann abgeschlossen ist, sondern eher um eine kontinuierlichen Innovationsreise.

Banken mit Nachholbedarf

Bender betont, dass es nicht darum gehe, ein monolithisches System aufzubauen, sondern um eine moderne IT-Architektur. Dieser „Digital Core“ bilde die Basis, um Ki gezielt zu nutzen. „Large Language Models wie ChatGPT stellen eine Art iPhone-Moment für generative KI dar“, sagt er. Banken und Versicherer müssten sich im Sinne der KI neu erfinden. Insbesondere Banken hätten hier Nachholbedarf. Wer aber als Bank seine Hausaufgaben bei der Kernbankenerneuerung gemacht hat, kann bereits die nächste Welle in Form neuer Plattformen zur Datennutzung initiieren.

Unterstützung im Kampf gegen Fachkräftemangel

Vor allem gehe es darum, interne Abläufe effizienter zu gestalten – nicht zuletzt, um eine Katalysatorwirkung im Personalmanagement zu erreichen. Wenn bei Banken am Ende rein digitale Produkte dominieren, dürfte der Einsatz von KI einen umso größeren Effekt haben. So könne es etwa gelingen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. „Talente in neue Jobprofile zu bringen sowie arbeitsintensive Prozesse zu automatisieren, ist das Gebot der Stunde“, konstatiert Bender. Es gelte, jetzt zu investieren, um an den Chancen der an Bedeutung gewinnenden KI teilzuhaben.

Aufsicht alarmiert

Auch die BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) hängt das Thema Kernbankensoftware sehr hoch, wobei sie auf die operative Informationssicherheit und das IT-Notfallmanagement fokussiert. Wegen IT-Mängeln bürdete die Aufsichtsbehörde der Axa Krankenversicherung und der Signal Iduna Lebensversicherung höhere Solvenzanforderungen auf. „Dahinter steckt die Furcht der Aufsicht, dass mancher Versicherer eines Tages seine Versprechen nicht mehr halten könnte“, schätzt Wetzel.

Lieber in Trippelschritten

Der Weg der Migration ist kein leichter, wie das Beispiel Schwäbisch Hall zeigt. Nachdem zum Jahreswechsel eine Million Kreditverträge erfolgreich transferiert wurden, steht der größte Teil der Datenmigration noch bevor – sieben Millionen Bausparverträge mit einer Bausparsumme von mehr als 300 Mrd. Euro. Bis wann dies gelingt, vermag Vorständin Seyboth nicht zu sagen. Man gehe lieber in Trippelschritten voran: „Je kleiner die Scheibchen, an denen man sich abarbeitet, desto geringer ist das Risiko.“ Vor 2027 werde das Bauspargeschäft wohl nicht komplett auf das neue SAP-System umgestellt sein.

Innovationsreise statt abgeschlossener Prozess

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