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Private Equity kauft Tierarzt-Monopole zusammen

Veterinärmedizinische Praxen werden zum begehrten Investment für Finanzinvestoren wie EQT, Silver Lake oder KKR. Eine Handvoll großer Konzerne rollt den lukrativen Markt auf. Auch Mars und Nestle sind mit von der Partie.

Private Equity kauft Tierarzt-Monopole zusammen

Private Equity kauft Tierarzt-Monopole zusammen

Veterinärmedizinische Praxen werden zum begehrten Investment für Finanzinvestoren wie EQT, Silver Lake oder KKR. Eine Handvoll großer Konzerne rollt den lukrativen Markt auf. Auch Mars und Nestlé sind mit von der Partie.

Von Christoph Ruhkamp und Karolin Rothbart, Frankfurt

Wer in Deutschland der Eigentümer einer Tierarzpraxis ist und sie verkaufen möchte, findet im Veterinär-Konzern IVC Evidensia einen begierigen Käufer: „Sie haben Interesse, Ihre Praxis oder Klinik an uns zu verkaufen?“, fragt das britische Unternehmen auf der deutschsprachigen Webseite und bietet an: „Ein Mitglied unseres Teams wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, um mit Ihnen einen geeigneten Termin für ein erstes Gespräch zu vereinbaren – gerne mit anschließender unverbindlicher Bewertung Ihrer Praxis/Klinik.“ Beschwichtigend heißt es: „Sie werden in guten Händen sein. Als Tierarztkolleg*innen verstehen wir, dass dies eine sensible Zeit für Sie ist und werden den Prozess mit dem größten Respekt für Sie und Ihr Unternehmen behandeln.“

IVC Evidensia gehört dem schwedischen Finanzinvestor EQT sowie der US-Private-Equity-Firma Silver Lake und dem Schweizer Nahrungsmittelriesen Nestlé. Das Unternehmen ist der größte Akteur in Europa auf dem lukrativen Feld der Veterinärmedizin für Haustiere wie Katzen, Hunde und Hamster. Die IVC-Gruppe ist nach eigenen Angaben in 19 Ländern tätig und besitzt ein Netz von über 2.300 Tierkliniken. In Deutschland ist sie mit mehr als 60 Tierarztpraxen und Tierkliniken vertreten. Früher oder später ist ein Börsengang geplant.

Spätestens seit der Pandemie, als klar wurde, dass immer mehr Menschen Haustiere halten und sich finanziell auch in schwierigen Zeiten für sie finanziell konstant ins Zeug legen, arrondieren Konzerne die kleinteilige Landschaft der Tierarztpraxen in größeren Unternehmensgruppen. Teilweise gibt es lokale Monopolstellungen, und die Preise steigen. Größte Akteure neben IVC Evidensia sind Veterinary Associates aus dem Besitz der JAB Holding der Milliardärsfamilie Reimann sowie PetVet aus dem Portfolio des Finanzinvestors KKR, der in London gelistete Konzern CVS und Veterinary Health, die zum Snack- und Tierfutter-Riesen Mars gehört. In Deutschland tritt Mars mit der Tierarztkette unter dem Namen Anicura als einer von drei Marktführern auf.

Interesse an großen Praxen

Seit 2015 haben laut Bundestierärztekammer auch in Deutschland Investoren schrittweise Tierkliniken und größere Tierarztpraxen gekauft – vor allem im Kleintierbereich, aber auch Pferdekliniken und -praxen. „Hinter diesen Investoren stehen in der Regel Private Equity Fonds“, konstatiert Kammerpräsident Holger Vogel. „Die so entstandenen Strukturen werden als Praxisketten oder Corporates bezeichnet.“ Eine offizielle Erfassung aller aktuellen Corporate-Standorte in Deutschland liege nicht vor.

Eine Recherche des „Tierärzte Atlas“ zählte im August 2024 insgesamt rund 450 Standorte von 16 unterschiedlichen Praxisketten. Die Daten erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Im Vergleich zur Gesamtzahl von rund 10.500 Tierarztpraxen und -kliniken ist die Zahl noch gering – ein Anteil von unter 5%.

Corporate-Anteil in anderen Ländern höher

In anderen europäischen Ländern ist der Corporate-Anteil deutlich höher: In Großbritannien liegt er bei über 60%. Dort untersuchen die Kartellbehörden aktuell die Marktmacht dieser Unternehmen. In Deutschland fallen die 450 Corporate-Standorte allerdings zum größten Teil in die Gruppe der „größeren“ Tierarztpraxen, Tierkliniken und Tiergesundheitszentren mit Umsätzen ab 1 Mill. Euro aufwärts. Der Marktanteil der Corporates gemessen am Umsatz ist also deutlich höher.

Und das Geschäft ist äußerst profitabel. Laut Ratingagentur S&P liegt der operative Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von IVC Evidensia bei 556 Mill. Pfund. Der Ertrag fließt mit einem Cashflow von rund 1 Mrd. Pfund so stetig, dass Investoren eine Verschuldung mit mehr als dem Siebenfachen des Ebitda akzeptieren. Das Rating liegt stabil bei „B“, und im Januar refinanzierte sich IVC Evidensia mit einem riesigen Term Loan B über 2,4 Mrd. Euro bei institutionellen Investoren zu günstigeren Konditionen als bisher. „Wir gehen davon aus, dass sich die Kreditkennzahlen von IVC Evidensia weiter verbessern werden, was vor allem auf das solide Umsatzwachstum und die gute Kosteneffizienz in den nächsten Jahren zurückzuführen ist“, kommentiert die Londoner S&P-Analystin Carolina Coelho.

Noch gibt es Alternativen

Die große Ertragskraft könnte auch etwas mit lokal monopolartigen Strukturen zu tun haben. Deshalb kümmerte sich im Jahr 2022 auch das Bundeskartellamt darum, als IVC Evidensia Deutschlands größte Tierklinik in Hofheim bei Frankfurt übernehmen wollte. Am Ende gab es – nach intensiven Ermittlungen – grünes Licht. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes urteilte: „Evidensia baut zwar seine starke Position in der Region weiter aus; Tierhalterinnen und -halter haben aber im Großraum Frankfurt auch nach der Übernahme noch ausreichend Behandlungsalternativen.“

Nach der Befragung von über 50 Wettbewerbern und Gesprächen mit Kammern und Verbänden habe das Bundeskartellamt keine wesentliche Beschränkung des Wettbewerbs feststellen können, hieß es damals. Auch wenn Evidensia mit der Tierklinik Kalbach bereits eine Tierklinik in 20 Kilometern Entfernung zur Tierklinik Hofheim betreibt, gebe es in der Region genügend Ausweichalternativen. Außer dem deutschen Marktführer Anicura gebe es in Frankfurt und Umgebung weitere eigenständige Tierkliniken und Praxen.

Eine davon ist die Tierarztpraxis Maja Firlé – auch hier haben im vergangenen Jahr schon Investoren an die Tür geklopft, wie Praxis-Manager Walter Firlé erzählt. Das Angebot sei allerdings nicht von Evidensia oder Anicura gekommen, sondern von der Tierarzt Plus GmbH. Das Unternehmen aus Berlin gehört mit aktuell 95 Tierarztpraxen neben Evidensia und Anicura ebenfalls zu den größten Betreibern von veterinärmedizinischen Praxen in Deutschland. Hinter Tierarzt Plus stehen die Berliner Venture- und Private Equity-Gesellschaft Econa AG und der Finanzinvestor Inflexion.

Praxen beklagen Fachkräftemangel

Die Investoren gehen bei ihrer Suche nach neuen Zukäufen auch aktiv auf Tierärzte zu. „Die ‚Vertreter‘ kommen in die Praxis und erkunden ihr Interesse an einer Übernahme“, erzählt Firlé. Dabei kämen die Interessenten gut vorbereitet und wüssten im Vorfeld um die Leistungskraft einer Praxis.

Bei den Firlés hat man sich zwar gegen das Angebot entschieden, was auch mit dem Wunsch nach persönlichem Freiraum zu tun habe. Der Praxis-Manager kann der Entwicklung am Markt aber durchaus etwas abgewinnen. Ja, Investoren streben Gewinnmaximierung an, sagt Firlé. Es müsse aber „nicht immer schlecht sein, wenn eine Praxis betriebswirtschaftlich professionell geführt wird. Nicht jeder Tierarzt ist auch ein guter Geschäftsführer.“

Hinzu komme das Thema der schwierigen Personalakquise und Nachfolgesuche. Das Fachkräfteangebot im tiermedizinischen Bereich sei in Deutschland „katastrophal“, sagt Firlé. Das liege auch daran, dass sich immer weniger Tierärzte noch selbstständig machen wollen.

Laut Tierärztekammer ist das Interesse an dem Beruf in Deutschland ungebrochen und die Zahl der praktizierenden Tierärzte und -ärztinnen von 2003 bis 2023 um 54% gestiegen. Die Zahl der niedergelassenen Praxisinhaber und -inhaberinnen bewege sich aber seit Jahren auf einem Plateau und sinke seit 2019. Immer mehr Tierärzte würden sich für ein Angestelltenverhältnis entscheiden. „Da ein Großteil der Berufsanfängerinnen Frauen sind und die gesetzlichen Regeln zu Mutterschutz und Elternzeit die Familienplanung im Angestelltenverhältnis deutlich erleichtern, ist dies nachvollziehbar“, sagt Tierärztekammerpräsident Vogel.

So dürfte es für Tierärzte und -ärztinnen also vorerst weiter schwierig bleiben, selbst für den Fortbestand ihrer Praxen zu sorgen – und das Interesse finanzkräftiger Investoren manch einem Veterinär ab einem bestimmten Zeitpunkt auch einfach gelegen kommen. „Wenn man sein halbes Leben als Tierarzt gearbeitet hat, ist oft auch die Luft raus“, sagt Firlé.