Wertschöpfung

Rendite wichtiger als Nachhaltigkeit?

Nachhaltige Wertschöpfung ist für Unternehmen zur Überlebensfrage geworden: für viele Unternehmen längst ein „Muss“, kein „Kann“ mehr.

Rendite wichtiger als Nachhaltigkeit?

Als Lehre aus der verheerenden Finanzkrise 2008/09 und des Shareholder-Value-Modells verpflichtete der DCG-Kodex 2009 Vorstand und Aufsichtsrat, für den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertschöpfung zu sorgen (Unternehmensinteresse). Der Kodex-Entwurf 2022 sieht vor, dass ökologische, soziale und ökonomische Ziele als gleichrangige Aspekte betrachtet werden. Gut so, Kritik ist dennoch angebracht. Angesichts des weltweiten Klimanotstands, der sozialen Verwerfungen und der sich kumulierenden Krisen geht der Entwurf nicht weit genug. Es fehlt die klare Verpflichtung für Vorstand und Aufsichtsrat, Nachhaltigkeit als Gemeinwohlbeitrag der Unternehmen prioritär zu gestalten und nicht nur Auswirkungen des Naturverbrauchs zu „identifizieren“ und zu „bewerten“. Auch die Boni-Systeme der Manager sind danach radikal auszurichten.

Kein Primat der Profitabilität

Anderen geht indes die Vorstellung der Kommission für eine „Ausgewogenheit“ zwischen den drei Zielen viel zu weit, von einer Priorisierung der Nachhaltigkeitsziele ganz zu schweigen. Prof. Zetzsche fordert im Interview in der Börsen-Zeitung (Ausgabe vom 10.3.2022) „Rentabilität“ oder „Profitabilität“ zum obersten (!) Maßstab unternehmerischer Tätigkeit zu machen. Im Aktiengesetz findet sich das nicht. Er beruft sich auf die herrschende Rechtsmeinung, die jenseits jeder Diskussion stehe. „Dass das Recht veraltet, kommt nur daher, dass das Leben fortschreitet, aber die Jurisprudenz kann das Leben nicht aufhalten.“, spottete schon der Begründer des Arbeitsrechtes, Philipp Lotmar.

Nach Zetzsche können ökologische und soziale Ziele nicht auf einer Stufe mit der Rentabilität stehen, und es könne auch keinen Ausgleich untereinander geben. Dies entspräche nicht dem geltenden Recht. Wo steht das? Eine solche Position ist aus der Zeit gefallen. Zielkonflikte müssen entschieden werden. Eine Investition in Energieeffizienz ist nötig, auch wenn sie sich erst nach fünf, sechs Jahren rechnet.

In der heutigen Managementlehre und der Betriebswirtschaft geht es längst nicht mehr um die Vorherrschaft der Aktionäre („Shareholder supremacy“) oder nur um den Ausgleich der Stakeholder-Interessen („Interessenplurale Zielsetzung“), sondern um Entwicklung, Sicherung und langfristige Überlebensfähigkeit des Unternehmens durch verantwortliches Wirtschaften (Purpose). Es ist trivial, dass Unternehmen dauerhaft „rentabel“ sein müssen. Eine dauerhafte Unternehmensentwicklung und Wertschöpfung funktionieren jedoch nicht ohne ökologische und soziale Standards. Sie sind zwingende Voraussetzung für Überlebensfähigkeit und damit dauerhafte „Rentabilität“. Selbstverständlich muss gesichert sein, dass angelegtes Geld „angemessen“ verzinst wird. Doch das hat heute und zukünftig keine Priorität mehr. Kapital ist längst kein knappes Gut mehr, sondern überreichlich vorhanden. Knapp oder erschöpft sind hingegen Trinkwasser, Nahrungsmittel, Energie sowie einige wenige Rohstoffe und vor allem qualifizierte Fachkräfte, die „Wissensarbeiter“. Jeder arbeitet gerne und mit Liebe, wenn der Sinn klar ist. Nutzen für die Kunden stiften und Produkte erfinden, produzieren und vertreiben, die die Natur wenig belasten und Energie sparen, das ist für Beschäftige attraktiv! Sonst werden sich die Wissensarbeiter vom Unternehmen abwenden. Auch für große Anleger wie Pensionsfonds etc. sind nichtnachhaltige Unternehmen unattraktiv.

Der Ex-CEO von General Electric, Jack Welch, nannte Shareholder Value in später Einsicht die „blödeste Idee der Welt“. Das Wichtigste seien „die eigenen Mitarbeiter, die eigenen Kunden und die eigenen Produkte“. Das deutsche Gesellschaftsrecht und der Kodex unterstützen die Shareholder-Doktrin nicht. Zweck von Unternehmen ist nicht, Eigentümer oder Manager reich zu machen – nachzulesen beim visionären Managementdenker Peter F. Drucker. Unternehmen sind für die Kunden und die Allgemeinheit da. Diese erwarten nötige und nützliche Dinge, energieeffizient erzeugt, möglichst durch Kreislaufwirtschaft.

Gewinn ist nur Messgröße

Künftig wird es deutlich über den Stakeholder-Ansatz hinaus gehen müssen. Nicht maximale Rentabilität, sondern verantwortliches Wirtschaften, Überlebensfähigkeit und Gemeinwohl sind die Stichwörter für die Weiterentwicklung. Nachhaltigkeit wird so zum Teil der alten Frage: Wie hältst du es mit dem Gemeinwohlbeitrag von Unternehmen in einer sozialen Marktwirtschaft?

Niemand fordert, dass Sozialpolitik Aufgabe des Vorstandes sein soll. Kapitalunternehmen sind keine private Angelegenheit, sondern in erster Linie soziale Organisationen, in denen Menschen gemeinsam Werte erschaffen. Ein Unternehmen ist eine gesellschaftliche Veranstaltung, wie Unternehmer Heinz Dürr es 2003 treffend formulierte:

„Ein Unternehmen hat folgende Zielsetzungen: Erstens die Gesellschaft mit Gütern und Dienstleistungen zu versorgen; zweitens dafür zu sorgen, dass die Arbeitsplätze im Unternehmen möglichst sicher und langfristig angelegt sind; drittens auf eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu achten; viertens den ökologischen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Gewinn ist also nicht Zweck des Unternehmens, sondern Messgröße, ob die gesellschaftliche Veranstaltung Un­ternehmen funktioniert.“

Der vierte Punkt muss heute zum Punkt 1 beim Handeln werden. Nicht die Rendite, sondern Nachhaltigkeit, Bestandsschutz, Vermögensmehrung und verantwortliches Wirtschaften ist prioritär für das Überleben von Unternehmen. Mindestens müssen die Nachhaltigkeitsziele ausgewogen sein. Die Verantwortung dafür liegt bei jedem Vorstand sowie Aufsichtsrat – und beim Mut der Kodex-Kommission.

Dietmar Hexel war von 2002 bis 2014 Mitglied des DGB-Bundesvorstands und gehörte von 2002 bis 2015 der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex an.

In dieser Rubrik veröffentlichen wir Kommentare von führenden Vertretern aus der Wirtschafts- und Finanzwelt, aus Politik und Wissenschaft.

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