Unterm Strich

Rentabilität muss Vorrang haben im Kodex

Allzu viele Verbände und Experten haben sich in der Diskussion über Corporate Governance mit juristischer Fleißarbeit an Formalien und Begriffsdefinitionen abgearbeitet, ohne den inhaltlichen Kern der Kodexreform für mehr Nachhaltigkeit zu treffen.

Rentabilität muss Vorrang haben im Kodex

Es ist an der Zeit, an Milton Friedman und die nach ihm benannte Doktrin zu erinnern, deren Kernaussagen in dem Slogan gipfeln: „The Business of Business is Business“. In Friedmans Unternehmensethik steht der Aktionär im Zentrum. „In einem System freier Unternehmer und privatem Eigentum ist der Firmenmanager ein Angestellter der Eigentümer des Unternehmens. Er hat direkte Verpflichtungen gegenüber seinen Arbeitgebern. Diese Verpflichtungen sehen vor, das Unternehmen nach den Wünschen der Eigentümer zu führen“, postulierte Friedman, der damit die gedanklichen Grundlagen für das 15 Jahre später von Alfred Rappaport entwickelte betriebswirtschaftliche Shareholder-Value-Modell schuf.

Zieldreieck „ausgewogen“?

Warum die Reminiszenz an eine vor gut 50 Jahren formulierte Dok­trin? Weil in der gegenwärtigen Diskussion über Corporate Governance und deren Verankerung in Kodizes oder Gesetzen manche Beteiligte dabei sind, in ihrem Reformeifer Wirtschaftsunternehmen mit Nichtregierungsorganisationen (NGO), Stiftungen oder gemeinnützigen Vereinen zu verwechseln. Dies gilt namentlich für den Entwurf des neuen Governance-Kodex. Darin soll der Vorstand eines börsennotierten Unternehmens zu einer Unternehmensstrategie verpflichtet werden, die wirtschaftliche, ökologische und soziale Ziele „in einem ausgewogenen Verhältnis“ umsetzt.

Nun lässt sich über den Begriff „ausgewogen“ ähnlich munter streiten wie über den Begriff der „Angemessenheit“ bei der Vorstandsvergütung. Doch „ausgewogen“ unterstellt eine Gleichrangigkeit der drei genannten Ziele, die – zumindest bisher – weder durch das in Deutschland geltende Aktienrecht gedeckt ist noch dem Sinn und Zweck eines börsennotierten Unternehmens entspricht. Dass Unternehmen, auch börsennotierte, nicht ausschließlich Gewinnerzielungsinteressen verfolgen, sondern diese Unternehmen auch andere Ziele erfüllen wollen und dürfen, ist als „Interessenpluralität“ rechtlich verankert und anerkannte „Best Practice“. Doch bisher steht unbestritten der wirtschaftliche Erfolg an erster Stelle, da ohne ihn auch die anderen Interessen wie ökologische und soziale Ziele nicht nachhaltig erreicht werden können. Diese Kombination zwischen dem Principal-Agent-Ansatz, auf den liberale Ökonomen wie Milton Friedman und die Verfechter des Shareholder Value abhoben, und dem Stakeholder-Value-Ansatz von Edward Freeman hat sich in vielen marktwirtschaftlichen Ordnungen etabliert und bewährt.

Gottlob haben sich in der vor einer Woche beendeten Konsultationsphase für die Kodexreform 2022 auch einige Stellungnahmen kritisch mit der zentralen Änderung der ESG-Anpassung befasst, insbesondere jene des Investorenverbands DVFA. Leider allzu viele Verbände und Experten haben sich freilich mit juristischer Fleißarbeit an Formalien und Begriffsdefinitionen abgearbeitet, ohne den inhaltlichen Kern der Kodexreform für mehr Nachhaltigkeit zu treffen. Dem Industrieverband BDI beispielsweise fällt zum angestrebten Interessenausgleich von Aktionären und Stakeholdern nur ein, dass dies dazu führen könnte, dass die Unternehmen ihre Ziele neu bewerten und definieren müssten, und er schlägt deshalb vor, auf die Formulierung „in einem ausgewogenen Verhältnis“ zu verzichten.

Überhaupt scheint es den obersten Industrielobbyisten vor allem darum zu gehen, sich nicht schon wieder mit Kodexänderungen beschäftigen zu müssen – und wenn schon, dann bitte nur als Anregung statt Empfehlung. Die zurückliegende grundsätzliche Kodexreform sei ja erst 2019 erfolgt; da müsse man der Praxis doch zunächst einmal Zeit geben, um diese Änderungen umzusetzen, moniert der Verband. Die Regierungskommission versuche offenkundig, neue Standards zu schaffen oder weiterzuentwickeln, beklagt der BDI und empfiehlt deshalb dem Gesetzgeber, die Aufgabe der Kommission zu Empfehlungen auf Standards zu beschränken, die allgemein oder zumindest weithin anerkannt sind. Lieber BDI, warum dann nicht gleich die Forderung, den Governance-Kodex abzuschaffen und die Kommission aufzulösen? Sie wäre nicht einmal originell diese Forderung.

Kapitalgeber entscheiden

Geholfen wäre damit aber niemandem, am wenigsten der Industrie. Denn börsennotierte Unternehmen, daran hat jüngst der Corporate-Governance-Experte Andreas Zetzsche in einem lesenswerten Interview in der Börsen-Zeitung erinnert („Sozialpolitik ist nicht Aufgabe des Vorstands“, vgl. BZ vom 10. März), sind Institutionen, die dazu dienen, das knappe Gut Kapital möglichst effizient einzusetzen und dauerhaft Gewinn zu erzielen. Hierbei nachhaltig und unter Berücksichtigung von ökologischen, sozialen und Governance-Regeln (ESG) zu wirtschaften, ist höchst selten dem Idealismus angestellter Manager zu verdanken. Es sind vielmehr die Eigen- und Fremdkapitalgeber, die von den Unternehmen die Einhaltung von ESG-Standards verlangen. Denn nur damit kann wirtschaftlicher Erfolg auch langfristig gesichert werden. Je konkreter und verbindlicher sich Unternehmen also zu solchen, beispielsweise in einem Governance-Kodex niedergelegten Regeln verpflichten, desto leichter unterm Strich deren Kapitalbeschaffung.

Den Gesetzen voraus sein

Die Klage, dass die geplanten Kodexänderungen verschiedenen deutschen und europäischen Gesetzgebungsvorhaben zum Thema Nachhaltigkeit und ESG vorauslaufen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Stellungnahmen von Verbänden und Experten. Aber ist es nicht Aufgabe des Kodex, dem Gesetzgeber und damit den absehbaren Minimalbedingungen voraus zu sein und „Best Practice“ zu etablieren? Immer erst auf den Gesetzgeber zu warten, sollte nicht die Strategie einer Industrie sein, die für sich auch in Sachen Nachhaltigkeit einen Führungsanspruch reklamiert und dies als Vorteil im Wettbewerb um Kapital nutzen will.

c.doering@boersen-zeitung.de

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